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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2024

Eine Alternative zur Gewalt
von Shir Hever

Die rassistischen Stereotypen gegen Palästinenser:innen sind in Deutschland heute mehr denn je verbreitet. Gaza ist zum Synonym für die Hamas geworden. Selbst der Slogan »From the river to the sea, Palestine will be free«, der eine palästinensische Antwort auf den zionistischen Slogan »From the river to the sea, Palestine is ours« ist, wird nun als gewalttätiger Aufruf zur Vertreibung oder Tötung von Jüdinnen und Juden interpretiert.

Wie jedes indigene Volk, das gegen Imperialismus und Kolonialismus kämpft, führen auch die Palästinenser interne Debatten darüber, wie sie ihre Freiheit erreichen können. Es gibt Parteien auf der linken und der rechten Seite, bewaffnete Gruppen und gewaltfreie Bewegungen. Die palästinensische Zivilgesellschaft und die meisten politischen Parteien argumentieren seit Jahrzehnten, dass demokratische und friedliche Methoden zur Durchsetzung ihrer Rechte wirksamer sind als militärische Mittel.
Mubarak Awad, ein berühmter palästinensischer Psychologe, versuchte, eine gewaltfreie Protestbewegung gegen die israelische Besatzung zu gründen, und wurde dafür 1987, im Jahr der Gründung der Hamas, ausgewiesen.
Im Jahr 2005 formulierten palästinensische Organisationen der Zivilgesellschaft den Aufruf zu BDS: Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen. Die BDS-Kampagne erklärte von Anfang an, dass sie Gewalt und alle Formen von Rassismus, einschließlich Antisemitismus, ablehnt. BDS ruft nicht zum Boykott von Personen, sondern nur von Institutionen auf.
Die Bewegung stellt drei Forderungen an Israel: gleiche Rechte für alle Bürger:innen Israels; ein Ende der Besatzung; und das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr. Jede der drei Forderungen beruht nicht allein auf den Wünschen der Palästinenser:innen, sondern auf den Vorschriften des Völkerrechts. Das bedeutet, dass diejenigen, die argumentieren, BDS untergrabe das Existenzrecht des Staates Israel, in Wirklichkeit sagen, dass das Völkerrecht mit dem Existenzrecht Israels nicht zu vereinbaren ist. Wenn Israel nicht unter Einhaltung des Völkerrechts existieren kann, hat es kein Recht zu existieren.
Die Bewegung ist weltweit sehr erfolgreich geworden, wobei sich Gruppen innerhalb Israels und in jüdischen Gemeinden dem BDS-Aufruf angeschlossen haben, ebenso wie Kirchen, Moscheen, Synagogen, Gewerkschaften, Universitäten, Studentengruppen und sogar Regierungen. Große Unternehmen wie Orange, Veolia und sogar die Deutsche Bahn zogen sich aufgrund des rechtlichen und politischen Drucks aus Projekten in Israel zurück.
Die israelischen Streitkräfte sind sehr stark, aber ihre Militärtechnik hat sich als unwirksam erwiesen, wenn es darum ging, die BDS-Bewegung zu stoppen, eine Bewegung, die auf den Rechten der Bevölkerung basiert. Im Jahr 2011 räumte der israelische General Amos Gilad ein, dass »wir es mit Gandhi nicht besonders gut meinen«.
Die Unterdrückung von BDS in westlichen Ländern, vor allem in Deutschland, hat die Hoffnung vieler Palästinenser:innen, dass ein gewaltfreier Weg erfolgreich sein kann, zunichte gemacht. 2019 erklärte der Bundestag, BDS erinnere ihn an den Nazi-Aufruf »Kauft nicht bei Juden!« – und verglich damit die Nazis mit einer Menschenrechtsbewegung.
Die deutschen Behörden machen – aufgrund des Bundestagsbeschlusses und des Anti-BDS-Engagements des Beauftragten gegen Antisemitismus – keinen Unterschied zwischen friedlichen, demokratischen Aktionen und Gewalt, solange die Aktionen von Palästinenser:innen angeführt werden. Dieser halsstarrige Ansatz ist gefährlich. Er ermutigt zum Töten.
Die Hamas will den Erfolg der FLN in Algerien wiederholen – das israelische Militär besiegen, wie die FLN das französische Militär besiegte, und die Kontrolle übernehmen. Wenn dies geschieht, wird die Europäische Union die Hamas von der Terrorliste streichen, und Deutschland wird diplomatische Beziehungen zu Palästina unter ihrer Herrschaft aufnehmen. Hat BDS die gleiche Chance, als legitime Stimme der Palästinenser behandelt zu werden?

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