Mit Industriestrom und Chipfabriken ökologisch vor die Wand
von Klaus Meier
Mitte November hat das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der CDU/CSU-Opposition den zweiten Nachtragshaushalt der Ampel-Regierung aus dem Jahre 2021 für null und nichtig erklärt. Für die deutsche Regierung entstand dadurch eine veritable Haushaltskrise.
Zahlreiche sozial- und umweltpolitische Maßnahmen stehen jetzt auf der Kippe. Das gilt auch für die massiven Ausgaben zur Industrieförderung, etwa die staatlichen Subventionen für energieintensive Unternehmen und die Förderung der Chipkonzerne. Doch diese dürften allen Erfahrungen nach Bestand haben. Sie werden schließlich nicht nur von Habeck und der Industrie unterstützt, sondern auch von Vertretern der rechten bürgerlichen Opposition. So will der ehemalige Gesundheitsminister Spahn die geplante Bürgergelderhöhung und das Heizungsgesetz streichen. Die Gelder, die die Regierung so einspare, solle man stattdessen für die Stärkung der Wirtschaft und für Zuschüsse zu den geplanten Chipfabriken in Magdeburg und Dresden nutzen.
Bis zur Schamlosigkeit
Die von der Ampel geplanten Subventionen für die Industrie sprengen alle Vorstellungen. Da ist zunächst ein privilegierter Kreis von 350 stromintensiven Unternehmen, der besonders gepampert wird. Für diese Konzerne sollen die Stromsteuer und die Netzentgelte gesenkt werden. Obendrein sollen sie eine weitere Strompreiskompensation für die nächsten fünf Jahre erhalten.
Dazu gibt es noch einmal eine Spitzengruppe von 90 besonders stromintensiven Unternehmen, die unter dem Begriff »Super-Cap« zusätzliche staatliche Geldgeschenke erhalten. Laut Handelsblatt sollen die Konzerne bis 2028 Finanzhilfen von 28 Milliarden Euro erhalten. Rechnet man zu diesen Subventionen noch den Netzentgeltezuschuss und die bereits vollzogene Abschaffung der EEG-Umlage hinzu, dann kommt man auf einen warmen Geldregen von 76 Milliarden Euro – allein bis 2028.
Laut Bundeswirtschaftsministerium sinkt dadurch der Strompreis für die energieintensiven Unternehmen auf unter 6 Cent je Kilowattstunde. Davon können weniger privilegierte Teile der Gesellschaft nur träumen. So ist der ökologisch wichtige Wärmepumpenstrom fast fünfmal so hoch und der Tarif für private Bestandskunden liegt sogar bei über 40 ct/kWh.
Zusätzlich zum verbilligten Industriestrompreis will die Ampelregierung auch die Chipindustrie geradezu schamlos subventionieren. Eingeplant sind Geldgeschenke im Umfang von 20 Milliarden Euro. Der US-amerikanische Intel-Konzern soll für die Ansiedelung eines neuen Werkes in Magdeburg sagenhafte zehn Milliarden Euro erhalten. Knapp dahinter rangiert der taiwanesische TSMC-Konzern, dem für eine neue Chipfabrik in Dresden 5 Milliarden Euro versprochen wurden.
Dazu kommen staatliche Zuschüsse von einer Milliarde Euro für ein neues Werk von Infineon in Dresden und 0,7 Milliarden für eine neue Halbleiterfabrik des Chipherstellers Wolfspeed im Saarland. Ampel-Politiker erklären dem zweifelnden Publikum, worum es geht: Deutschland soll zu einem Zentrum der weltweiten Halbleiterindustrie ausgebaut werden. »Wir brauchen Halbleiter, sehr viele Halbleiter, Halbleiter und nochmals Halbleiter.« So die hochgeistige Erklärung des SPD-Bundeskanzlers.
Plastikverbrauch wird subventioniert
Vielen Wählern der Ampelregierung dürfte unklar sein, warum diese Konzerne mit so gewaltigen Finanzmitteln beglückt werden. Bei Habeck von den Grünen vermutet man im ersten Moment vielleicht ökologische Motive. Man brauche niedrige Strompreise für die ökologische Transformation der Industrie, so seine Argumentation. Doch dies ist weit gefehlt. Man muss nur einen Blick auf die Unternehmen werfen, die mit dem warmen Geldsegen bedacht werden.
Das sind die Chemiekonzerne, die Stahl- und die Aluminiumbranche, die Zementindustrie sowie die Glas- und Papierhersteller. Alle diese Unternehmen haben eine Gemeinsamkeit: hoher Energieverbrauch und extreme CO2-Emissionen. Dazu kommt bei vielen noch eine ökologisch äußerst zweifelhafte Produktpalette. Etwa bei den Chemiekonzernen: Der größte Teil ihres Energieverbrauchs geht in die Herstellung von Kunststoffen. Das meiste davon wandert dann in kurzlebige Verpackungen, in die Innenausstattung und die Bereifung der mittlerweile fast 60 Millionen Autos zählenden deutschen Pkw-Flotte. Statt den Plastikverbrauch zu reduzieren, wird er mit dem Industriestrompreis sogar noch subventioniert.
Auch die stromintensive Herstellung von Stickstoffdünger durch die Chemiekonzerne ist kritisch zu sehen. Damit werden zuerst die Felder überdüngt, dann sickern giftige Stickstoffverbindungen nach und nach ins Grundwasser. Oder sie gelangen über die Flüsse ins Meer. Mittlerweile sind ganze Regionen der Ostsee durch den fortgesetzten Düngemitteleintrag zu lebensfeindlichen, nahezu sauerstofffreien Gebieten geworden. Statt eine alternative Landwirtschaft zu fördern, subventioniert die Regierung die Herstellung von Stickstoffdünger.
Auch die Aluminiumindustrie profitiert von den niedrigen Industriestrompreisen. Doch der größte Teil des Leichtmetalls wandert in die deutsche Autoproduktion. Die immer schwerer und größer werdenden Karossen sollen auf diese Weise wieder ein wenig an Gewicht verlieren. Man könnte diese widersinnige Subvention sofort beenden, wenn man die SUV-Herstellung mit einer drastischen Strafsteuer belegen würde.
Etwas anders sieht es bei der Stahlherstellung aus. Dieser Rohstoff wird heute einerseits für eine ausufernde Autoproduktion eingesetzt, andererseits ist er auch sinnvoll für den zukünftigen Ausbau der Eisenbahninfrastruktur oder für Windräder.
Wenn man allerdings große Summen von Steuergeldern in die Stahlkonzerne steckt, kann es nicht sein, dass ein Thyssen-Krupp-Konzern parallel dazu versucht, sein Stahlgeschäft meistbietend zu verhökern. Wenn diese Konzerne mit öffentlichen Geldern gefüttert werden, muss im Gegenzug dafür gesorgt werden, dass Eigentumsrechte an die Gesellschaft übertragen werden. Das wäre nur Fug und Recht.
Digitalisierung – die große Schlacht
Eine weitere Branche, die von der Ampelregierung mit Milliarden gefördert wird, ist die Halbleiterindustrie. Damit wird die Digitalisierung gepuscht, denn sie ist die große Schlacht des Kapitalismus im 21.Jahrhundert. Der deutsche Kapitalismus will dabei ganz vorne mitmischen.
Die hiesigen Konzerne setzen auf das Internet der Dinge. Mit Hilfe von Mikrocontrollern werden Konsumgüter, technische Geräte und Maschinen mit immer mehr intelligenten Funktionen ausgestattet. Und alles wird mit allem vernetzt. Diese Vision verfolgen auch die Automobilkonzerne. Die Fahrzeuge sollen mit dem Internet, mit intelligenten Ampeln, Verkehrsleitsystemen und untereinander kommunizieren. Dazu gehören auch hoch- und vollautonome Autos.
Um das zu erreichen, werden Fahrzeuge, Ampeln und Leitsysteme mit Mikrocomputern, Sendern, Digitalkameras und Sensoren vollgestopft. Genauso sollen auch alle anderen Bereiche in die Digitalisierung einbezogen werden: Industrieumgebungen, Lieferketten, Sharing-Plattformen oder Online-Shopping. Deswegen die Förderung der Chipkonzerne mit vielen Milliarden. Alle bürgerlichen Parteien sind begeistert und sehen nur Vorteile. Probleme werden schlicht ausgeblendet. Doch wie sehen sie aus?
Insbesondere die Autoindustrie ist ein Schwerpunkt der Digitalisierung. Bereits heute machen die elektronischen Steuerungskomponenten etwa 30 Prozent der gesamten Fahrzeugkosten aus. Ihre Hardware besteht aus Leiterplatten, Sensoren und dazu Aktoren. Sie enthalten eine Vielzahl kritischer Rohstoffe: seltene Erden, Platinmetalle, Kobalt oder Halbleiter. Die Mengen sind erheblich. Das zeigt sich, wenn man eine Studie aus der Schweiz auf die hiesigen Autos umrechnet, man kommt dann auf 90 Millionen Tonnen dieser kritischen Materialien in der deutschen Pkw-Flotte.
Laut dem Öko-Institut verdoppelt sich in neueren Autos der Anteil kritischer Rohstoffe sogar noch. Die Folgen für die Ökologie sind erheblich: Für den Abbau dieser seltenen Materialien müssen ganze Landschaften umgegraben werden. Das führt zu massiven Umweltzerstörungen und ist mit einem hohen Energieverbrauch verbunden.
30 Prozent des Stroms allein für Rechenzentren?
Wer Chipfabriken und die Digitalisierung fördern will, nimmt aber auch andere Folgen in Kauf. So werden in Deutschland immer mehr Rechenzentren in Betrieb genommen. Sie sind die Orte, an denen »die Cloud« ihren physischen Sitz hat. Hier wird besonders viel Strom verbraucht – mit schnell steigender Tendenz. Der Geschäftsführer von Cisco Deutschland wies jüngst in einem Beitrag für das Handelsblatt darauf hin, dass die Rechenzentren in wenigen Jahren bis zu 30 Prozent des gesamten Stroms verbrauchen könnten. Der zentrale Treiber dafür ist der zunehmende Energiehunger der neuen KI-Technologien.
Wissenschaftler:innen weisen in den letzten Jahren zunehmend dringlicher darauf hin, dass immer mehr ökologische Sektoren des Erdsystems eine kritische Schwelle überschreiten. Die ungebremste Industrieförderung der Ampelregierung ignoriert all dies, sei es bei der Senkung des Industriestrompreises oder den neuen Chipfabriken.
Der grüne Wirtschaftsminister will nicht wahr haben, dass der Grund für die globale Umweltkrise die vielfache Überlastung unseres Planeten ist. Und dass die Antwort nicht in einer weiteren Beschleunigung des Wirtschaftswachstums bestehen kann, sondern nur noch in einem kontrollierten und geplanten Rückbau von Produktion und Infrastruktur.
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