Eine soziale Kriegserklärung
von Violetta Bock
Der Bundeshaushalt gibt dieses Jahr alles andere als Halt. Kaum vorgelegt, ist er schon mit Fragezeichen versehen.
Bereits der erste Haushaltsentwurf war ein klarer Kürzungshaushalt. Einsparungen im zweistelligen Prozentbereich waren geplant, von der Migrationsberatung über Mittel für politische Bildung bis hin zu Mitteln für den Katastrophenschutz.
In der Bereinigungssitzung im November wurde nach starkem Drängen seitens der Sozialverbände so manche Kürzungen minimiert oder zurückgenommen, so etwa beim Bundesfreiwilligendienst.
Doch noch bevor der Haushalt verabschiedet wird, wirft das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Mitte November alles um. Das Verschieben von 60 Milliarden Corona-Geldern in den Klima- und Transformationsfonds durch einen Nachtragshaushalt war nicht zulässig. Vorbereitungen hat die Ampel offenbar nicht getroffen. Relativ zügig einigt man sich darauf, den Klima- und Transformationsfonds bis 2027 auf 45 Milliarden zu verringern. Das Tauziehen findet daraufhin vor allem um 17 Milliarden statt.
Die große Frage: Wer zahlt? Die FDP jedenfalls nicht. Von ihr wird Anfang Dezember erst einmal bekannt, dass sie eine Beförderungswelle in ihrem Bundesjustiz- und Bundesfinanzministerium plant.
Angesichts des Urteils verdrängt die Haushaltskrise für einen kurzen Moment die rassistische Migrationsdebatte, in der Migrant:innen als Sündenböcke für alles herhalten müssen. Die Schuldenbremse steht endlich wieder in der Diskussion. Doch CDU und FDP wollen da dogmatisch nicht ran. Stattdessen wird die Hetze nun auf Sozialleistungsempfänger:innen umgestellt.
Obwohl das Bundesverfassungsgericht eine existenzsichernde Grundsicherung angemahnt hat, fordern sie ungeniert, den Rotstift beim Bürgergeld anzusetzen. Noch vor Abschluss des nächsten Entwurfs ist jedoch klar, dass die Erhöhung um 12 Prozent beim Bürgergeld in 2024 so kurzfristig nicht aufzuhalten ist. Der Grundsicherungssatz steigt also wie geplant auf 523 Euro für eine alleinstehende Person ab Januar.
Auch das ist viel zu wenig, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband vorrechnet. Um wirksam vor Armut zu schützen, müsste der Satz mindestens 813 Euro betragen. Doch soll zukünftig wieder sanktioniert werden, wenn Arbeitsangebote abgelehnt werden, und der Bonus von 75 Euro für die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen entfällt.
Um 1,5 Milliarden soll die Vermittlung in Arbeit insbesondere von ukrainischen Geflüchteten den Bund entlasten. So heißt es im nächsten Haushaltsentwurf, der schließlich zehn Tage vor Weihnachten vorgelegt wird. Die 17 Milliarden werden als Stückwerk aus verschiedenen Ressorts zusammengekratzt. Schon kurz darauf stehen sie in der Kritik. Sie wurden auf dem Papier gemacht, offensichtlich ohne Abschätzung ihrer realen Umsetzbarkeit.
Der Umweltbonus beim Kauf von Elektroautos sollte schon am dritten Advent auslaufen. Die Bundesregierung verspricht sich davon Einsparungen von 209 Millionen Euro. Nur betrifft dies auch bereits getroffene Kaufentscheidungen. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert ein geordneteres Verfahren.
Weitere 3 Milliarden sollen durch die Streichung von klimaschädlichen Subventionen erreicht werden. Dies betrifft etwa die Förderung des Agrardiesels und die Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge, mithin viele Kleinbauern, die wirtschaftlich ohnehin in einer schwierigen Lage sind.
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft hält die Proteste daher für gerechtfertigt. Schon am Montag nach Veröffentlichung des neuen Haushaltentwurfs fahren zahlreiche mit ihren Treckern nach Berlin, um zu demonstrieren. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir verspricht Nachbesserungen.
Zahlreiche weitere Maßnahmen bedeuten eine Umverteilung der Kosten. So will sich der Bund 1,4 Milliarden Euro bei der Plastikabgabe sparen. Große Auswirkungen wird auch die geplante Anhebung der CO2-Abgabe für Sprit, Heizöl oder Gas haben. Der Bund lässt damit eine weitere Milliarde von der Bevölkerung bezahlen, statt das lang angekündigte Klimageld einzuführen.
Auch Elektrizität wird teurer durch Streichung des Milliardenzuschusses zu den Stromnetzentgelten, was sich auch bei Bürgergeldempfänger:innen direkt auswirken wird.
12,7 Milliarden sollten über den Klima- und Transformationsfonds bis 2027 in die Sanierung der Bahn gesteckt werden. Finanziert werden soll dies nun über die Privatisierung von Bundesbeteiligungen bei der Bahn, der Deutschen Post, der Telekom oder Uniper.
Es ist also ein Sammelsurium von Maßnahmen, die darin bestehen, Kosten weiterzugeben. Olaf Scholz fasst es zusammen: »Die Regierung hält an ihren Zielen fest.« In der Tat. Unangetastet bleibt der Kriegsetat samt Sonderschulden, mit allein 8 Milliarden Euro Militärausgaben für die Ukraine.
Nicht zur Kasse gebeten werden Superreiche. Auf Steuererhöhungen wird »verzichtet«. Stabil bleiben die 9 Milliarden für Konzerne durch Senkung der Stromsteuer für produzierendes Gewerbe und das Wachstumschancengesetz. Beibehalten wird die Schuldenbremse, mit möglichen Ausnahmen – für den Krieg und die Folgen der Flutkatastrophe im Ahrtal.
Statt Zugeständnissen in Zeiten der Inflation, steigender Armut und Fachkräftemangel zum Beschwören eines »sozialen Friedens« ist dies eine soziale Kriegserklärung.
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