Rede von Jürgen Bönig auf der Ver.di-Kundgebung
dokumentiert
Die Interessen von MSC sind nicht die Interessen der Stadt Hamburg und ihres Hafens!
Der Verkauf staatlicher Gestaltungsmacht im Hafen an Private und zudem noch an die MSC als Reederei ist ein Bruch mit der jahrhundertealten Politik, dass der Staat die Bedingungen im Hafen gestaltet. Dieser Grundsatz, dass der Staat bestimmt, was im Hafen gebaut wird und wie es benutzt wird, war die Grundlage, auf der die Speicherstadt und der Freihafen errichtet worden ist. Warum hat sich diese Politik bewährt, mit der jetzt der Senat gebrochen hat?
Der Grundsatz war gut, weil nur in einem Hafen im Staatsbesitz und als Staatsbetrieb alle Kunden gleichbehandelt werden. Der Staat hat die Speicherstadt 1888 bauen lassen und die HHLA gegründet, um die Hafenanlagen zu betreiben und zu bewirtschaften – niemand sollte Kaianlagen, Schuppen, Böden und Speicher privat besitzen, weil nur so gewährleistet war, dass sich die Privatinhaber nicht gegenseitig in die Hacken treten und der Stärkere, Größere bewirken kann, dass der Kleinere nicht zum Zuge kam, weil er nicht bedient wurde oder die Umschlaganlagen des Kapitalstärkeren besser ausgebaut wurden. Alle waren Mieter, und das hat sich die letzten hundert Jahre bewährt.
2006 wurde diese Grundlage des Hamburger Hafens verteidigt, als nur ein kleiner Teil der HHLA-Aktien in Streubesitz gelangten, nur 30 Prozent, die vor allem HHLA-Beschäftigte und deren Vorstände kauften und anschließend Kursverluste hinnehmen mussten.
Wer wurde mitgenommen beim MSC-Deal?
Ihr habt euch in dieser Woche beschwert, dass beim Verkauf von drei der vier Containerterminals des Hamburgers Hafens an die Reederei MSC die Belegschaft der HHLA nicht mitgenommen worden sei. Das ist die Untertreibung des Jahres, wenn nicht des Jahrhunderts: Niemand wurde mitgenommen an den Frühstückstisch in Genf, als drei SPDler aus dem Senat, darunter der Erste Bürgermeister, über den Verkauf verhandelten und mit der italienischen Familie Aponte einen Vertrag schlossen.
Das Trio hat niemanden mitgenommen außer einer Anwaltskanzlei, die sie beriet. Die Verhandlungskommission des Senats hat nicht mal den Vorstand der HHLA mitgenommen, weil der offensichtlich zu viel von der Sache versteht. Sie hat nicht die politischen Parteien der Regierungskoalition mitgenommen und informiert – nur vom Ergebnis. Sie hat nicht die Bürgerschaft mitgenommen und beraten lassen, ob sie mit dem Grundsatz brechen will, auf dem die Speicherstadt und der Hamburger Hafen stehen. Sie hat die Bürgerschaft nicht gefragt, ob sie die HHLA-Anteile knapp unterhalb einer Mehrheit ausgerechnet an eine Reederei verkaufen will, die in Konkurrenz zu anderen Reedereien steht.
Absichten bitte nicht so ernst nehmen
Bereits am nächsten Tag zeigte sich, dass das Trio besser auf die gehört hätte, die wenigstens etwas von der Sache verstehen. Und das betrifft auch die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten der HHLA.
In dem Kaufangebot für die Aktien steht der schöne Satz: MSC beabsichtigt, die Rechte der Arbeitnehmer zu respektieren. Im Kaufangebot an die HHLA-Aktionäre steht nicht, MSC wird sich an Recht und Gesetz halten, eine Versicherung, die schon sehr sonderbar wäre, sondern: MSC beabsichtigt, die Rechte zu respektieren, was immer das heißen mag. Absichten sind gut, schade, wenn es dann nicht klappt.
In allen Verträgen und Äußerungen über diesen Deal folgt am Ende das Kleingedruckte, eine Erklärung gegenüber den Aktienhaltern, kleingeschrieben in zwanzig Zeilen, was mit beabsichtigt gemeint ist oder eben nicht: Dass man die Absichten nicht allzu ernst nehmen solle. Absichten können sich ändern, die Stimmung wechselt, am nächsten Tag sehen wir anders auf unsere Interessen.
Euer Vorstand, Frau Titzrath, musste nur einmal auf diesen Vorvertrag gucken um zu wissen, dass das genau so gemeint ist: MSC beabsichtigt die Rechte der Arbeitnehmer zu respektieren – nur zu respektieren und nicht unter Sanktionsdrohung auch tatsächlich einzuhalten. Und welche Rechte der Arbeitnehmer sind gemeint, nach welchem Recht? Nach dem Recht Italiens, aus der die Familie Aponte kommt, der MSC gehört? Oder nach dem Recht der Schweiz, in der MSC beheimatet ist und keine Steuern zahlt? Oder dem Recht Zyperns, wo eine GmbH die Anteile halten wird und das bestimmt als Standort gewählt worden ist, weil die Sonne dort so schön scheint? Oder dem Recht Luxemburgs, wo die zweite GmbH angesiedelt ist, keine Steuern zahlen wird und über die nur sehr beschränkt durchgegriffen werden kann auf das Familienvermögen der Familie Aponte, dessen Umfang und Struktur unbekannt ist und nicht veröffentlicht wird – ebensowenig wie das der MSC oder der GmbHs, die zwischengeschaltet und zu keinerlei Veröffentlichung ihrer Finanzgrundlagen verpflichtet sind?
Was, wenn Versprechen nicht eingehalten werden?
Frau Titzrath hat in einem Nebenvertrag durchzusetzen versucht, dass das deutsche Recht gelten solle, die Mitbestimmung eingehalten und die Zusagen über Investitionen wenigstens für die nächsten fünf Jahre so verbindlich sein sollen, wie Absichten der MSC eben sind. Es gibt keinen einzigen Satz im Vorvertrag und im Angebot an die HHLA-Aktionäre, der die Sanktionen, die mit der Nichteinhaltung von Zusagen seitens MSC verbunden sind, benennt und verbindlich festlegt: kein Schadenersatz an Hamburg, keine Eigentumsrückübertragung, keine Straf- oder Ersatzzahlungen – nichts.
Nachträglich hat Frau Titzrath in einem Zusatzvertrag, dessen Verbindlichkeit fraglich ist, etwas vereinbart, was mich sprachlos gemacht hat – weil es vorher im Senatsvertrag eben nicht vereinbart worden ist: Sie hat den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Kunden der HHLA in einem Zusammenarbeitsvertrag nachträglich eingebracht. Die Grundlage des Hamburger Hafens, alle Kunden gleich zu behandeln, niemand zu benachteiligen oder zu bevorzugen, egal wie viel Geld er mitbringt, war im ursprünglichen Vertrag nicht enthalten. Wahrscheinlich wusste das Verhandlungstrio noch nicht einmal, dass es ihn gibt und dass dieser Grundsatz der Grund ist, warum Hafenanlagen und Hafenbetrieb in öffentlicher Hand bleiben müssen. Und warum die HHLA mit ihren Anlagen auf keinen Fall an nur einen Kunden, eine Reederei und dazu noch die größte und fragwürdigste, nämlich die MSC, verkauft werden sollte.
Das Prinzip des Amalgams
Frau Senatorin Leonhard, die ich als integre Kollegin aus den Museen kenne, hat die Entscheidung für MSC damit begründet, dass diese größte Reederei der Welt von den drei angesprochenen die einzige gewesen sei, die mit einer Beteiligung knapp unter der Mehrheit einverstanden gewesen sei.
Das vergiftete Angebot ist so grotesk, weil die Verhandlungskommission ihr nicht vorhandenes Verhandlungsmandat zum Abschluss eines Vorvertrages in einer Form genutzt hat, die ich für illegitim halte: Sie hat das in den Beschluss eines Kaufangebots an die Reederei MSC gefasst, der nur mit großen Schäden und Schadenersatzansprüchen gegen Hamburg abgelehnt werden könnte. Sie hat dies mit einer Begründung getan, die nicht sticht, nämlich dass Insidergeschäfte und Spekulation mit den HHLA-Aktien verhindert werden müssten, die bei Bekanntwerden des Angebotes vor der Zeit eintreten würden.
Doch niemand hat den Senat gezwungen, nicht schon vor zwei Jahren die Bürgerschaft zu fragen: Wollt ihr vom Grundsatz der Gleichbehandlung in unserem Hafen abweichen und einen Teil der HHLA-Aktien an Private verkaufen, statt sie weiter in Staatsbesitz zu halten? Niemand hat den Senat gezwungen, einen Bürgerschaftsbeschluss zu unterlassen, ob diese Anteile denn überhaupt und ausgerechnet an einen Kunden, eine Reederei verkauft werden sollen, und ob der größte Kunde, die Reederei MSC mit dem größten Appetit, den stärksten Spekulationsgewinnen und als Familienvermögen mit der undurchsichtigsten Geschäftsführung der geeignete Kunde ist oder nicht. Erst auf der Grundlage eines Bürgerschaftsbeschlusses wären die drei SPD-Senator:innen bevollmächtigt gewesen, solche Verhandlungen zu führen.
Das Trio aber hat nach einem Prinzip gehandelt, das man Amalgam nennen kann und das unserem parlamentarischen System fremd ist: Der amerikanische Souverän handelt so. Der eine will mehr Waffen beschaffen, der andere das Abtreibungsrecht verschärfen, packen wir das also in ein Gesetz und Republikaner und Demokraten können im Parlament zustimmen.
Bisher war dieses Verfahren, das jetzt angewandt wird, in Hamburg nicht üblich – nämlich mit einem empfindlichen Übel zu drohen, sollte der Deal abgelehnt werden, weil man der darin eingebetteten Grundsatzentscheidung nicht folgt – Gestaltungsmacht des Staates über den Hafen abzugeben durch Verkauf und das noch an eine Reederei und ausgerechnet diese MSC. […]
Der Verkauf an MSC, der Bruch der Grundsätze von staatlicher Hafenpolitik und der Angriff auf die Speicherstadt hat das Potential, die SPD in Hamburg um die Macht zu bringen. Egal, ob sie diesen Vertrag durch die Bürgerschaft bringt oder daran scheitert: Wenn der Deal mit MSC durchgeht, wird sichtbar werden, das MSC sich an nichts halten muss und den Gesamthafen ruiniert durch die ausschließlich auf die Profite der Reederei gerichtete Form rücksichtsloser Schifffahrt.
Jürgen Bönig ist Technikhistoriker und Ver.di-Mitglied, ehemals beim Museum der Arbeit beschäftigt. Die Kundgebung für die Hafenbeschäftigten fand am 11.November 2023 auf dem Rathausmarkt Hamburg statt. Wir veröffentlichen einen Auszug aus der Rede, in voller Länge steht sie unter »Nur Online« auf www.sozonline.de.
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