Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2024

Eine Ausstellung und ein Buch zum Hamburger Aufstand 1923
von Jürgen Bönig

Offensichtlich will das Bürgertum es sich mit seinen Verbrechen bequem machen und dabei gleich noch den Adel mit entschulden.

Vor mehr als 175 Jahren ließ der König von Preußen das Volk zusammenschießen, als es sich im März 1848 auf dem Schlossplatz versammelte – es folgten drei Barrikadennächte und die Verbeugung des preußischen Königs vor den Märzgefallenen. Heute findet sich auf dem Platz vor dem wiederaufgebauten Schloss kein Hinweis auf den Angriff des Königs auf sein Volk.
In Hamburg führte der Märzaufstand 1848 zum Entwurf einer Verfassung des Freistaats Hamburg von 1850, der erst nach der Wirtschaftskrise 1857 arg gerupft wurde und 1860 als Vorlage der ersten Wahlverfassung von Hamburg diente. Bei der Einheitsfeier in Hamburg am 3.Oktober 2023 wurde nirgendwo die Revolution von 1848 erwähnt.
Wegen Umbau der Dauerausstellung sind das Deutsche Historische Museum in Berlin und das Museum für Hamburgische Geschichte auf Jahre geschlossen. Auch die Hamburger Landeszentrale für politische Bildung wollte sich 2023 nicht mit bürgerlichen Revolutionen beschäftigen, sondern mit dem Hamburger Aufstand der Kommunisten. Sie finanzierte eine Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte, die wie der lesenswerte Katalog den merkwürdigen Titel Die bedrohte Stadtrepublik, Hamburg 1923 trägt:
»Das Jahr 1923 brachte für Hamburg wie auch die junge Weimarer Republik ganz besondere Herausforderungen. Sie waren mit politischen Kämpfen, der Bewährung der parlamentarischen Demokratie und der Hyperinflation Höhepunkt einer Entwicklung, die mit der Novemberrevolution 1918 einsetzte.«
So verquer führt der Leittext in die Ausstellung ein, als sei der Weltkrieg nicht der Bruch mit der Zivilisation gewesen, den die Zeitgenossen empfanden, und die Revolution der Ausweg aus der Schlächterei. Die Ausstellung konzentriert sich bedauerlicherweise im Unterschied zum Bruch so sehr auf den unmittelbaren Ablauf des Aufstands, dass ein Zusammenhang mit Weltkrieg, Revolution und rechten Putschversuchen kaum erkennbar ist. Weder wird der Erste Weltkrieg erwähnt noch die Revolution in Russland 1917 und das Ende des Weltenbrands mit der Revolution 1918/19, die in den Morden der Reichswehrtruppen und Freikorps mündete. Von diesen Opfern der Rechtsextremen 1919 und 1921 ist nicht die Rede und auch nicht vom Hitlerputsch im November 1923, der dem Aufstandsversuch der KPD im Oktober 1923 folgte.
Dadurch werden die Erkenntnisgewinne zunichte gemacht, die im Begleitbuch ausgebreitet sind. Meine Museumskolleg:innen Ortwin Pelc und Olaf Matthes haben Fachleute zu Worte kommen lassen, die genauer als bisher darstellen, was vom 23. bis 25.Oktober 1923 in Hamburg in den verschiedenen Stadtteilen geschah, welche Fotografien beim Aufstand entstanden, welche nachträglich gestellt worden sind und welche Aufnahmen mit welcher Zuschreibung in Zeitungen und Zeitschriften verwendet wurden, um eine spezifische Vorstellung des Aufstands zu vermitteln.

Angesichts des Ergebnisses, das die Beteiligten noch nicht kannten, wäre wichtig zu wissen, inwieweit der Putschversuch von 1923 der Niederlage gegen den Faschismus zehn Jahre später die Bahn bereitet hat.
Der Aufstand 1923 war geplant als Protest und Reaktion auf die Absetzung der ersten Einheitsfrontregierung von SPD und KPD in Sachsen und Thüringen, die im Auftrag der Reichsregierung durch Reichswehrtruppen erfolgte. Obwohl der Aufstand von der KPD abgesagt worden war, weil die erhoffte Unterstützung für einen Generalstreik durch Betriebsräte und Arbeiterkonferenzen ausblieb, ließ die Hamburger KPD-Leitung dennoch, vermutlich aus politischen Gründen, Polizeireviere in bestimmten Stadtteilen angreifen, um auf diese Weise, gedrängt auch durch die verzweifelte bolschewistische Regierung in Russland, eine Erhebung in ganz Deutschland zu provozieren.
Opfer des missglückten Aufstandsversuchs, der nur in einigen Stadtteilen gelang, aber keinen Widerhall in der Stadt fand, wurde ausgerechnet die Führung der KPD um Brandler und Thalheimer, die vor einer militärischen Aktion ohne Unterstützung der Arbeiter gewarnt hatte. Nach der Niederlage setzte sich im Zuge der folgenden Stalinisierung der KPD mit Hilfe der Linken Ernst Thälmann durch, der eine der KPdSU gefällige Vorwärtstaktik vertrat, die 1933 mit der Sozialfaschismustheorie eine Einheitsfront von KPD und SPD gegen den Nationalsozialismus vereitelte.
Mit den sogenannten »Rechten« der KPO verlor die KPD einen großen Teil ihrer Kader mit großer gewerkschaftlicher und politischer Organisationserfahrung. Insofern beschleunigte der missglückte Putsch von 1923 die Unselbständigkeit der KPD gegenüber der russischen KP, die immer abhängiger von den sowjetischen Genossen, deren Geldern, Losungen und Revolutionswünschen wurde.
Zahlreiche KP-Kader wurden durch den Nationalsozialismus ermordet, aber ungefähr halb so viel der damals am Aufstand Beteiligten wurden in der Sowjetunion umgebracht, wie Hermann Weber bereits vor Jahrzehnten darlegte. Von solcher Wirkung war in der Nachbereitung und Heroisierung des Hamburger Aufstands durch die KPD und in der DDR nicht die Rede. Es wurde ein Bild der Entschiedenheit, Tatkraft und Unterstützungsbereitschaft in der Bevölkerung gezeichnet, das nicht dem wirklichen Verlauf des Aufstands entsprach, aber dazu diente, Polizeibewaffnung und Polizeitaktik in der Folgezeit zu begründen.

Denn der losgebrochene Aufstand warnte nicht nur die Polizei vor künftigen Angriffen, er veränderte auf lange Zeit auch deren Ausbildung – zumindest in Hamburg. Der Sozialdemokrat Wolfgang Kopitzsch, langjähriger Ausbilder der Hamburger Polizei und Polizeipräsident, stellt in seinem Katalogbeitrag zur Polizeisicht fest: »Die Ereignisse des Hamburger Aufstandes prägten über viele Jahre und bis in die frühen 1970er Jahre das polizeiliche Denken und Handeln, auch in der Vorbereitung auf mögliche vergleichbare Situationen in der Zeit des ›Kalten Krieges‹.« Bis in die Einsatzplanung des G20-Gipfels zieht sich die Verblendung der Polizeiführer, die Bevölkerung militärisch beherrschen zu wollen und zu können und mit entsprechender Ausrüstung auf einen bewaffneten Angriff aus der Bevölkerung vorbereitet zu sein, der bereits 1923 den Charakter einer politisch und sozial gescheiterten Minderheitsaktion trug.

Die Ausstellung folgt leider genau dem Rahmen, den die Leiterin der Landeszentrale setzt: »Gewalt als wesentlichen Faktor bei der Zusammenarbeit der antidemokratischen Extreme rechts und links mit Netzwerken in ganz Deutschland« darzustellen. Gewalt von Kommunisten wird in der Ausstellung breit erörtert, aber nicht die vorhergehende viel stärkere und skrupellosere Gewalt von rechts.
Dabei war Hamburg zur Zeit der Weimarer Republik eine Hochburg rechtsextremer Kräfte und deutschnationaler Vereinigungen, wie dem antisemitischen Deutsch-Nationalen Handlungsgehilfen-Verband, die sich am Kapp-Putsch beteiligten und deren Wirken innerhalb der Polizei nach der Niederschlagung des Hamburger Aufstands nur mit Mühe begrenzt werden konnte.
Wer so geschichtsfälschend die Demokratie von radikalen Kräften von links und rechts gefährdet sieht und nur Hinweise auf die Pläne und Aktionen der KPD gibt, ist auf den Kampf gegen die AfD schlecht vorbereitet.
Besser informiert über rechte Gewalt das Buch Vier Jahre politischer Mord von 1922, in dem der Mathematiker Emil Julius Gumbel (1891–1966) die Zahl von über 350 politischen Morden durch rechte Täter nachzeichnet, dem allenfalls zwei Dutzend Morde aus dem linken Spektrum gegenüberstehen. Über dessen Aktivität für die Deutsche Liga für Menschenrechte läuft parallel zur Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte bis zum 26.März 2024 eine Ausstellung in der Bibliothek der Helmut-Schmidt-Universität.

Der Autor ist Technikhistoriker und hat vormals im Museum der Arbeit, Hamburg, gearbeitet.

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