Ines Schwerdtner auf Tour durch die Ostverbände der LINKEN
Interview mit Ines Schwerdtner
Ines Schwerdtner ist Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Sie war bis zum Sommer 2023 Chefredakteurin der deutschsprachigen Ausgabe des Magazins Jacobin. Das Interview führte Angela Klein
Du hast kürzlich eine Rundreise durch die Kreisverbände in Ostdeutschland unternommen. Wo warst du da und was war der Zweck deiner Besuche?
Die Ost-Tour war eigentlich der Kern der innerparteilichen Wahlkampagne. Ich wollte zeigen, dass es in dieser existenziellen Krise der Partei jetzt vor allem darum geht, dort zuzuhören, wo es auseinander zu brechen droht. Und ich werde sie in jedem Fall auch so fortführen für den Wahlkampf. Denn ehrlich gesagt hat es auch einfach großen Spaß gemacht und ich habe enorm viel gelernt.
Gerade wurde der erste AfD-Oberbürgermeister in Pirna gewählt – vor einer Woche habe ich die Genossinnen und Genossen dort besucht und mit ihnen gesprochen. Man versteht den Aufstieg der Rechten nicht, wenn man sich nicht wirklich mit dem auseinandersetzt, was vor Ort geschieht. Genauso erschütternd war es in Sonneberg, wo sich seit der Wahl des Landrats niemand mehr für die Stadt interessiert hat. Ich war aber auch in Nordhausen, wo die Zivilgesellschaft Widerstand organisieren konnte. Zu unseren großen Analysen müssen ganz materialistisch auch konkrete Beobachtungen kommen.
Es geht dabei zum einen darum, den Genossinnen und Genossen vor Ort den Rücken stärken. Aber wir müssen auch daraus lernen, was in der Parteiarbeit anders laufen muss. Debatten können nicht in Talkshows oder Hinterzimmern ausgetragen werden. Gerade jetzt ging es auch ganz banal darum, einen anderen Politikstil zu etablieren, der das direkte Gespräch vorzieht. Und ich glaube, erst wenn wir das nach innen neu kultivieren, können wir auch wieder nach außen als solidarische Kraft gesehen werden.
Was hast du erlebt, wie wird die Spaltung der LINKEN in den Kreisverbänden wahrgenommen? Wie reagieren die Menschen in deren Umfeld darauf? Leidet ihre Arbeit darunter?
Wir haben viele innerparteiliche Diskussionen zur Lage der LINKEN gehabt und viele – besonders ältere Genossen – zeigten sich besorgt oder hadern mit dem Kurs der Partei. Sie würden sie aber nie verlassen. Das hat viele historische und kulturelle Gründe, die man erst richtig versteht, wenn man eben mit ihnen spricht. Einige sagten, sie hätten schon viele Existenzkrisen der Partei erlebt, da würde man nicht einfach so die Partei verlassen.
Bei aller Freude über Neueintritte und viele neue Aktivitäten geht es eben auch darum, schonungslos die Fehler der letzten Jahre zu analysieren und auch denen einen politische Heimat zu geben, die zuletzt skeptisch waren. Ich habe aber auch Kreisverbände und Basisgruppen erlebt, die in konkreter praktischer Arbeit diese Spaltung überwinden konnten – und das gibt mir eigentlich Hoffnung, wie die Erneuerung auch der ganzen Linken gelingen kann. Sei es durch konkrete Hilfe in einem linken Laden oder in der Basisorganisation. Ich glaube, es gibt da einige Leuchttürme, von denen viel zu wenige etwas mitbekommen.
In den Medien heißt es, wenn das Wahlbündnis BSW in kommenden Jahr zu den Landtagswahlen in Ostdeutschland antritt, wird sie große Erfolge erzielen. Wie wird das im Osten gesehen?
Ich bezweifle, dass sie das organisatorisch tatsächlich in allen Landesverbänden schaffen. Von den aktiven Basisgenossen gibt es nur einzelne Übertritte in Kreisverbänden, etwa jetzt in Werdau und Zwickau, was mich besonders schmerzt, weil ich dort herkomme. Aber auch dort wird sich eine neue Partei erst gründen und etablieren müssen. Und der Weg ist trotz großer Aufmerksamkeit hart.
Auch Umfragen sind mit Vorsicht zu genießen. Von den Gesprächen mit den Menschen auf der Straße würde ich aber sagen, dass schon sehr viele bereit wären, eine Wagenknecht-Partei anstelle der LINKEN zu wählen. Und das würde ich sehr ernst nehmen. Viele erhoffen sich davon eine »ganz andere« Politik, das gibt das, was wir bisher darüber wissen, aber nicht her. Ich befürchte einfach, es wird erneut zu einer großen Frustration kommen, wenn das Projekt nicht gelingt oder sich, wie angedeutet, an Regierungen mit der CDU beteiligt. Dann wäre der Glaubwürdigkeitsverlust für linke Projekte unermesslich.
Wie wirkt sich deiner Meinung nach die Erfahrung der Regierungsbeteiligung in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern auf das Bild der LINKEN im Osten aus?
Die Regierungsbeteiligungen führen natürlich dazu, dass Die LINKE als Teil der etablierten Parteien wahrgenommen wird. Gleichzeitig erwarten viele Menschen im Osten auch, dass Die LINKE mitregiert. Dieses Widerspruchs muss man sich bewusst sein. Ich glaube für die Menschen müsste deutlich werden, was Die LINKE in einer Regierung auf Länderebene – die ich nicht per se ablehnen würde – für einen Unterschied macht. Und auch da braucht es vor erneuten Wahlen einen kühlen Blick auf das, was tatsächlich erreicht werden konnte, und eine ehrliche Debatte, unter welchen Bedingungen Regierungsbeteiligungen sinnvoll sind. Das muss immer konkret entschieden werden.
Was ist dein Eindruck vom Parteitag?
Der Parteitag war in meiner Wahrnehmung grundsätzlich von einer positiven Stimmung geprägt, ich würde sagen, es war auch etwas Erleichterung dabei. Dennoch wurde an zentralen Themen wie dem Nahostkonflikt hart miteinander für einen Beschluss gerungen. Das zeigt, dass mitnichten jetzt alle Konfliktlinien die Partei verlassen haben. Ich denke so wird es an Fragen von Klima- und Außenpolitik auch erst einmal bleiben. Der Erneuerungsprozess beginnt ja erst; es entscheidet sich in den kommenden Monate, welche Schwerpunkte gelegt werden.
Nach heutigem Stand gibt es 2000 Neueintritte in Die LINKE. Schlägt sich die Eintrittswelle auch in Ostdeutschland nieder? Wenn ja, was sind das für Menschen?
Ja, in Städten wie Leipzig, Dresden, Halle usw. schlägt sich das auch nieder, etwas weniger in der Fläche – das war aber auch zu erwarten. In meiner Wahrnehmung handelt sich es einerseits um geplante Eintritte aus der Klimabewegung, der Seenotrettung, dem Spektrum der radikalen Linken, die für sich entschieden haben, dass es eine linke Partei braucht. Aber es sind auch viele, die sich eher zivilgesellschaftlich links orientieren und bisher kaum bis wenig organisiert waren.
Die größte Herausforderung wird vermutlich sein, die Neuen in bestehende Strukturen einzubinden. Denn so wunderbar neues aktivistisches Potenzial ist, es birgt natürlich auch die Gefahr, nur kurzfristig zu halten. Die Parteiform ist eben eine besondere und keine Bewegung, um das Programm wird gerungen, es gibt Hierarchien und Maximalpositionen finden sich nicht in Beschlüssen wieder. Das könnte also ein ungeheurer Lernprozess werden.
Wie wichtig ist in Ostdeutschland die Europawahl und wie willst du sie für deine Kandidatur gewinnen?
Ich denke fürs gesamte Bundesgebiet gilt, dass die Europawahlen von Bundesthemen dominiert sein werden. Mein Eindruck ist, dass die aktuelle Kürzungspolitik hierzulande und in Europa das Leben der Menschen dominieren wird. Das würde ich aufgreifen, weil das schonungslose Klassenpolitik von oben ist, die man immer wieder offenlegen und anprangern muss. Sie ist ja auch der Wegbereiter für den drohenden Rechtsruck in ganz Europa.
In vielen ostdeutschen Bundesländern finden außerdem gleichzeitig Kommunalwahlen statt. Hier will ich vor allem versuchen, weiterhin die Genossinnen und Genossen vor Ort zu unterstützen. Ich denke, es macht schon einen Unterschied, wenn man vor Ort und präsent ist. Ich würde mir wünschen, dass wir zeigen, dass ein Wahlkampf jenseits der üblichen Routinen auch Spaß machen kann: nah bei den Leuten, mit gemeinsamen Aktionen, zuspitzender Öffentlichkeitsarbeit, wo wir gemeinsam was anpacken.
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