Einvernehmlich wird es kaum gehen, zu verschieden sind die Interessen
von Matthias Becker
Seit der Föderalismusreform 2006 sind die Bundesländer zuständig für den landwirtschaftlichen Grundstücksverkehr. Neue Agrarstrukturgesetze sind angekündigt, auch in den Koalitionsverträgen sämtlicher ostdeutscher Landesregierungen.
Seit Jahren liegen Entwürfe in den Schubladen der Ministerien (»Agrarstruktursicherungsgesetze«, »Agrarsicherungsgesetze«). Sie sehen neue Anzeigepflichten vor, Obergrenzen für Preiserhöhungen bei Kauf und Pacht (vergleichbar mit den städtischen Mietpreisbremsen oder Mietspiegeln), teilweise auch Einschränkungen von Anteilkäufen. So soll der Vorrang für Landwirte im Grundstücksverkehr sichergestellt werden.
Die Gesetzentwürfe wandern aber regelmäßig wieder zurück in die Schublade, weil der Widerstand zu stark ist. Die Finanzbranche kämpft um ein lukratives Geschäftsfeld. Viele Bauern wollen wie bisher an den Meistbietenden verkaufen. Diese Position vertritt insbesondere der Deutsche Bauernverband, in Westdeutschland eng verwoben mit CSU und CDU, in Ostdeutschland auch mit der Partei Die LINKE.
Daher zögern, zaudern und verwässern die Landesregierungen. In Niedersachsen wird das Gesetz seit mittlerweile fünf Jahren immer wieder überarbeitet. In Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg bleiben die Landesregierungen schlicht untätig. Lediglich in Sachsen besteht noch eine Chance, dass das Gesetz vor den nächsten Wahlen verabschiedet wird.
Die Gesetzentwürfe sind mittlerweile von fast allen erfolgversprechenden Maßnahmen gereinigt worden. Mit Ausnahme von Brandenburg werden die Anteilskäufe, die den Preisanstieg antreiben, überhaupt nicht mehr erfasst. In Thüringen sieht der Entwurf lediglich vor, dass die Behörden über Anteilskäufe informiert werden müssen. Dort soll eine moderate Kauf- und Pachtpreisbremse eingeführt werden. Dennoch läuft der Thüringer Bauernverband Sturm gegen das angeblich verfassungswidrige Vorhaben.
Kommerzialisiertes Agrarsystem
Vielleicht wird das Bundesverfassungsgericht tatsächlich zu dieser Einschätzung kommen. Die neuen Agrargesetze berühren zentrale Rechtsgüter in Deutschland und der Europäischen Union: die Vertrags-, Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit und die freie Verfügung über das Eigentum. Allerdings stellt sich dann die Frage: Kann eine Agrarwende überhaupt gelingen, wenn sie Eigentum und Kapital nicht berühren darf? Auf die Gerichte sollten sich die Befürworter jedenfalls nicht verlassen.
Welche Rolle die Investoren in der landwirtschaftlichen Praxis spielen, ist umstritten. Jan Brunner, Geschäftsführer des Vereins Arbeitsgemeinschaft kleinbäuerliche Landwirtschaft (AbL) Mitteldeutschland, hält ihre Geschäftsmodelle für besonders rabiat und »gewinnorientierter«. Anders sieht es das Thünen-Institut, das schreibt: »Bei genauerer Betrachtung unterscheiden sich die Produktionsmodelle der überregionalen Agri-Holdings und der meisten lokalen Holdings, aber auch der Familienbetriebe kaum.«
Das Narrativ, wonach Investoren über eine ländliche Idylle herfallen, verzerrt die Wirklichkeit. Es verharmlost die Verhältnisse im kommerzialisierten Agrarsystem. Auf die verbliebene Handvoll bäuerlicher Familienbetriebe wirken die gleichen Marktkräfte wie auf Agrarunternehmen.
Lohnarbeit spielt bei allen eine wachsende Rolle (in Gestalt hochqualifizierter Auftragnehmer und weniger qualifizierter, meist migrantischer Erntearbeit). Begleitet vom Mantra »Wachsen oder Weichen« wurden aus Bauern Agrarunternehmer. Viele führen mittelständische Unternehmen, um konkurrenzfähig zu sein. Manche Bauern haben sich gegen die politisch gewollte Spezialisierung und Konzentration gesperrt, andere vorgedrängelt, die meisten den Beruf gewechselt. Es gibt keine Kleinbauern mehr, die die breite Bevölkerung versorgen könnten.
Dies spricht nicht gegen Maßnahmen, um die Grundrente zu senken, denn aus sozialer und ökologischer Perspektive hat sie verheerende Folgen. Gesine Langlotz, eine Sprecherin der AbL Mitteldeutschland, bringt es auf den Punkt: »Dieser Preis wird durch Übernutzung, Verschmutzung oder die Ausbeutung von Arbeitskräften an die Umwelt sowie an die osteuropäischen Saisonarbeiterin weitergereicht.« Der wachsende Anteil der Grundrente ist nicht produktiv, sondern destruktiv. Er spannt die Erzeuger noch fester ein in das Laufrad der Rationalisierung und (Selbst-)Ausbeutung.
Politische Blockaden
Die geplanten Agrarstrukturgesetze werden kaum etwas ändern. Die geplanten Änderungen sind nicht gerade unbedeutend, aber sicher auch nicht durchgreifend. Die Bodenspreisbremse beispielsweise würde den erlaubten Anstieg auf 20 Prozent über dem aktuellen Verkehrswert festsetzen. Sie sind, bildlich gesprochen, ein Pflaster auf eine klaffende Wunde.
Die AbL hat unterdessen eine Kampagne für »Gemeinwohl-Verpachtung« gestartet. Die Verpächter sollen soziale und ökologische Kriterien anlegen, wenn sie ihr Land überlassen. »Wenn etwa ein bestehender Pachtvertrag endet, sollte es transparente Bewerbungsverfahren geben«, erklärte Gesine Langlotz die Idee. »Wer das Konzept mit den meisten Gemeinwohlpunkten vorlegt, bekommt den Pachtvertrag. Bewertet werden etwa Biodiversität und Klimaschutz, Arbeitsplätze pro Hektar, Tierwohl oder Direktvermarktung.«
Dieser Kampagne ist es gelungen, die Evangelische Kirche Mitteldeutschland und die Diözese Münster von der Idee zu überzeugen. Auch Thüringen wird die landeseigenen Flächen in Zukunft gezielter verpachten, nach Kriterien wie Direktvermarktung, Zahl der Arbeitsplätze und eine Kombination aus Tierhaltung und Ackerbau. Die Gemeinwohl-Verpachtung betrifft allerdings nur die öffentlichen Eigentümer, damit maximal 10 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche.
Internationale Auswirkungen
Das Steigen der Bodenpreise wird allgemein beklagt, vom Bauernverband über die Agrarminister aller parteipolitischen Couleur bis zu den Umweltorganisationen. Wirksame Maßnahmen, um die Bodennutzung zu steuern, kommen dennoch nicht in Gang. Die marktliberal-ökologische Agrarpolitik scheut den Konflikt mit Investoren, Grundbesitzern und Erzeugern. Dass diese sich mit ein bisschen Grünlandprämie hier und etwas Tierwohl-Label da »mit ins Boot holen« lassen, wie die gängige Floskel lautet, ist allerdings Traumtänzerei.
Die Bodenfrage stellt sich in der ökologischen und Vielfachkrise auf neue Art. Es geht nicht mehr nur darum, Kleinbauern und Landarbeitern Zugang zu Land zu verschaffen. Die Bodennutzung muss demokratisch kontrolliert und zwischen notwendigen, verzichtbaren und unerwünschten Nutzungen unterschieden werden. Das beinhaltet, Prioritäten zu setzen.
Solche Entscheidungen haben allerdings erhebliche internationale Folgen. Ein großer Teil der landwirtschaftlichen Produktion in Lateinamerika und Südostasien wird exportiert, um in Mastanlagen verfüttert oder als sogenannter Biotreibstoffe verbrannt zu werden. Wird die landwirtschaftliche Erzeugung in Deutschland heruntergefahren, um Platz für Erneuerbare Energie, Bioanbau und Naturschutz zu schaffen, werden unweigerlich Nachfrage und Preise auf dem Weltmarkt steigen – und damit der Druck auf die Ökosysteme in den Exportregionen.
Doch wie unabhängig sollten Energiegewinnung, Nahrungserzeugung und Rohstoffversorgung sein? Wie unabhängig könnten sie sich überhaupt vom Austausch mit anderen Nationen machen – und welche Formen des internationalen Austauschs wären möglich und erstrebenswert? Darauf gibt es keine einfachen Antworten. Selbst Ökosozialist:innen führen diese Debatte bislang nicht.
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