Profite für Rüstungsindustrie, jedoch nicht fürs Weltkapital
von Ingo Schmidt
Er lässt sich gern in Bundeswehrparka und aus dem Turm eines Kampfpanzers schauend fotografieren – Boris Pistorius, vor ein paar Monaten noch ein sogar in Niedersachen, wo er Innenminister war, wenig bekannter SPD-Mann. Als Verteidigungs- bzw. Kriegsminister hat er sich zu einem echten Mann der Truppe, zum Mobilmacher der Nation gemausert.
Das nach dem russischen Angriff auf die Ukraine aufgelegte Sondervermögen Bundeswehr sei bestenfalls eine Untergrenze zur Finanzierung des Militärs. Außerdem bräuchte es einen Mentalitätswandel. Die Deutschen müssten kriegstauglich werden, sich wieder auf Kriege in Europa einstellen. Er sagt das, als habe es nie einen NATO-Angriff auf Jugoslawien gegeben und als läge die Ukraine in Asien, obwohl er das Land in Sachen EU-Beitritt natürlich in Europa verortet. Doch er ist nicht der einzige, der die Grenze zwischen Europa und Asien, zwischen westlicher Demokratie und orientalischer Despotie nicht klar angeben kann.
Es gehört zum Diskurs des neuen Militarismus, dass mehr insinuiert als argumentiert wird. Wer wen angreifen und worum gekämpft werden soll, bleibt unklar. Man darf aber annehmen, dass der Feind aus dem Osten kommt. Etwas klarer ist die Ansage, dass Deutschland im Kampf gegen ihn eine Führungsrolle spielen müsse. Die Frage, ob andere europäische Länder unter deutscher Führung in den Krieg ziehen wollen, wird gar nicht erst gestellt. Ebenso wie die Frage, ob Europa eigenständig oder als Juniorpartner der USA handeln solle. Wird einerseits der Westen als einheitlicher Block gegenüber östlichen Autokratien beschworen, geht andererseits die Angst um, dass mit dem Wiedereinzug Trumps ins Weiße Haus ein America-First-Unilateralismus zurückkehrt, der Europa vom Juniorpartner zum Vasallen zurückstuft.
Die Ungereimtheiten des neuen Militarismus sind so zahlreich wie die Wiedersprüche, die den Kapitalismus in der Zerfallsphase des Neoliberalismus durchziehen. Zu zahlreich, um den Schwenk vom Primat internationaler Wettbewerbsfähigkeit zum Primat militarisierter Außenpolitik auf eine einfache Formel zu bringen. Einige dieser Widersprüche lassen sich jedoch als Ursachen des neuen Militarismus ausmachen. Sie geben auch Hinweise auf dessen Ziele, die Pistorius und andere Bellizisten entweder verschweigen oder selbst nicht kennen.
Die Geschäftsbedingungen
Immer wieder ist dieser Tage von einem neuen Kalten Krieg die Rede. Ob mit der propagandistischen Gegenüberstellung von Demokratie und Autoritarismus eine Systemkonkurrenz verbunden ist, wie sie zwischen dem US-geführtem Kapitalismus und der Sowjetunion bestand, sei dahingestellt. Der russische Kapitalismus ist zwar durch seine sowjetische Erbschaft geprägt, weist aber keinerlei Merkmale einer irgendwie sozialistisch zu nennenden Gesellschaftsformation auf. Kontinuität besteht nur in Sachen atomarer Erst- und Zweitschlagkapazität.
In China herrscht zwar eine KP, und der Aufstieg zur größten oder zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt wäre ohne die unter dem Staatssozialismus erfolgte ursprüngliche Akkumulation nicht möglich gewesen, doch mit der beschleunigten Akkumulation im Zuge der Weltmarktintegration ging auch die Ausbreitung kapitalistischer Produktionsverhältnisse einher.
Trotz aller Vorbehalte gegenüber der Ausrufung eines neuen Kalten Krieges: Die Anspielung auf den alten Kalten Krieg liefert einen geeigneten Ausgangspunkt, um die aktuelle Lage des kapitalistischen Weltmarkts, Staatensystems und der sozialen Verhältnisse innerhalb einzelner Länder zu verstehen. Und damit auch die Ursachen des neuen Militarismus.
Das Ende der Systemkonkurrenz mit der Sowjetunion markierte den Beginn der doppelten Hegemonie von USA und Neoliberalismus. Das Versprechen: Integration in den Weltmarkt und Akzeptanz der wesentlich von den USA geschriebenen Geschäftsbedingungen erlaube Wohlstand für alle, überall auf der Welt. Großmachtkonflikte und Kriege um Einflusszonen gehörten der Vergangenheit an. Militäreinsätze gegen Schurkenstaaten und Terrornetzwerke seien keine Kriege, sondern eine Art Polizeieinsatz zur Durchsetzung der allgemeinen kapitalistischen Geschäftsbedingungen.
Diese kombinierte Hegemonie wies zwei zentrale Widersprüche auf:
– Die herrschende Klasse der USA beanspruchte für sich das Recht, die Regeln für alle anderen Weltmarktteilnehmer zu bestimmen, sich selbst aber nicht daran halten zu müssen.
– Der Befreiung des Marktes von staatlicher Reglementierung wurde die Schaffung von ökonomischer Gleichheit zugeschrieben – in einzelnen Ländern, aber auch im internationalen Rahmen. Es dauerte nicht lange, bis jedoch klar wurde, dass mit der Globalisierung des Neoliberalismus zunehmend Ungleichheit einherging und der Neokolonialismus ein neues Gesicht erhielt. Die Peripherien des Weltmarkts lieferten nunmehr nicht nur billige Rohstoffe und Agrarprodukte, sondern auch einen Gutteil der industriellen Fertigwaren und billige Arbeitskräfte für die Dienstleistungssektoren in den Metropolen. Finanz- und Wirtschaftskrisen, die schon in den 80er Jahren, in der Endphase des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion, periphere Märkte dem Zugriff metropolitanen Kapitals geöffnet hatten, kehrten schließlich in das American Empire selbst zurück.
Seitdem Immobilien- und Finanzkrisen »made in America« die Weltwirtschaft in Krise und Stagnation gestürzt haben, ist die ideologische Herrschaft des Neoliberalismus dabei zu zerbröseln. Seitdem fragt sich die US-Bourgeoisie, ob ihren Profit- und Weltmachtansprüchen mit der neoliberalen Globalisierung weiterhin gedient ist. Seitdem mischen sich Globalisierungspolitik mit Protektionismus, Sanktionen und der Wiederentdeckung der Großmachtpolitik. Nicht Schurkenstaaten, sondern »richtige Feinde« wie Russland und China gilt es nun zu bekämpfen. Was vorher schamvoll verschwiegen wurde, wird jetzt offen proklamiert: America First.
Extraprofite
Dabei wird immer klarer, was schon immer ökonomische Grundlage der US-Hegemonie war: nicht Äquivalententausch zwischen gleichberechtigten Handelspartnern, sondern Herrschaft des Monopolkapitals samt der damit verbundenen Aneignung von Extraprofiten. Genauer: technologische Renten, die auf dem, wenn auch nur zeitweiligem Monopol neuer Produkte und Produktionsverfahren beruhen. Extraprofite, die auf der Rolle des Dollars als Weltwährung beruhen und den USA eine nahezu unbegrenzte Kreditaufnahme ermöglichen. Dazu ein Militärpotenzial, das es den USA erlaubt, die ganze Welt in Geiselhaft zu nehmen.
Diese »drei Monopole«, Technologie, Währung und Militär, auf denen das American Empire ruht, bestehen weiter, aber die daraus gewonnenen Extraprofite gelten der amerikanischen Bourgeoisie als bedroht. Nur dem kommunistisch regierten China gelang die nachholende Entwicklung, die allen Ländern im Zuge ihrer Weltmarktintegration versprochen, aber von keinem anderen Land erreicht wurde. Zumindest nicht soweit, dass aus einem auf arbeitsintensiver Massenproduktion spezialisierten Land ein Standort technologischer Spitzenforschung werden konnte. Chinas mittlerweile erreichte wirtschaftliche und technologische Stärke, verbunden mit jener einer Reihe anderer Schwellenländer, macht die Schaffung eines Währungssystems jenseits des Dollars immerhin denkbar, auch wenn bislang wenig in dieser Richtung geschehen ist.
Das US-Militär erweist sich immer mehr als Kostenfaktor. Was gut für die Profite der Rüstungskonzerne ist, ist noch lange nicht gut für die Verwertungsbedingungen des amerikanischen Kapitals und schon gar nicht für jene des Weltkapitals. Überlegene Feuerkraft erlaubt es den USA, Schurkenstaaten zu zerstören, aber die Schaffung akkumulationsförderlicher Regime gelingt nicht. Stattdessen entstehen Failed States, von denen aus Terrornetzwerke die Lieferketten der globalen Kapitalzirkulation angreifen können.
Und dann erst Russland. Unter Jelzin bestimmte eine Koalition russischer Liberaler und westlicher Berater die Politik. Das russische Atomarsenal stellte kaum mehr eine Quelle eigenständiger Machtentfaltung dar, das russische Volkseigentum wurde versilbert, die Erlöse von neureichen Russen in den Westen geschafft. Unter Putin ist der Staat wieder zu einem Machtfaktor geworden. Die Kombination von Atomwaffen und Rohstoffreichtum, nicht nur Öl und Gas, sondern auch Mineralien aller Art, stellen die einseitige Kontrolle globaler Rohstoffreserven durch die imperialistischen Zentren des Westens in Frage. Andere Länder mögen über viele Rohstoffe verfügen, sind aber politisch machtlos. Deshalb wurde es, neben dem Industrie- und Technologieemporkömmling China, zum Gegner des Westens erklärt. Obwohl China mit dem Beitritt zur WTO die amerikanisch geprägten Geschäftsbedingungen des Welthandels anerkannt und Putin eine NATO-Mitgliedschaft Russlands vorgeschlagen hat.
Feindbilder
Die Militarisierung der Außenpolitik wird die Extraprofite der imperialistischen Zentren nicht sichern. Sie ist ein Zeichen der Schwäche. Das Getöse um Aufrüstung und Kriegstauglichkeit steht in umgekehrtem Verhältnis zum Selbstvertrauen der herrschenden Klassen in den imperialistischen Zentren. Massen, die sich um ihren Anteil an der imperialistischen Ausbeutung betrogen fühlen, greifen nach den Luftschlössern nationaler und rassischer Überlegenheit. Verlieren die herrschenden Klassen auch an Glaubwürdigkeit, so teilen Herrschende und Beherrschte doch die Angst und Unsicherheit über die Zukunft. Kriegsgeschrei ist ein hilfloser Versuch, sich von der eigenen Zukunftslosigkeit abzulenken. Aber es kann zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden.
Ingo Schmidt ist marxistischer Ökonom und lebt in Kanada und in Deutschland.
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