Studentische Beschäftigte kämpfen für einen Tarifvertrag

Integrale Fassung des Gesprächs mit Laura und Heidi von TVStud.
Der Einsatz der studentischen Beschäftigten, Tarifbeschäftigten und Studierenden für die Abschaffung prekärer Arbeits- und Studienbedingungen und die Einführung eines Tarifvertrags für studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte und Tutor:innen hat in den letzten Monaten zur größten Mobilisierung an Hochschulen seit Jahrzehnten geführt. Am 20.November 2023 kam es zu Aktionen an über 100 Standorten, gleichzeitig wurde an mehr als 80 davon gestreikt.
Für die SoZ sprach Justin Turpel mit Laura und Heidi von TVStud darüber, wie es dazu kam, wie die Mobilisierung verlief und was herausgekommen ist.
Laura studiert an der Universität Hamburg im Master Politikwissenschaft, arbeitet dort als wissenschaftliche Hilfskraft und ist seit circa 2020 bei TVStud in Hamburg und bei Ver.di aktiv.
Heidi studiert Master Geschichte an der Universität Hamburg und arbeitet dort ebenfalls als wissenschaftliche Hilfskraft; sie ist seit Anfang 2020 bei TVStud und bei Ver.di aktiv. (1)
Was hat die studentischen Beschäftigten und Studierenden zu dieser beeindruckenden Mobilisierung bewegt?
Heidi: Studentische Beschäftigte, ebenso wie die Studis, möchten aus dem jetzigen Status quo rauskommen, so wie er eindrucksvoll mit klaren Fakten und Zahlen Anfang letzten Jahres in der Studie „Jung, akademisch, prekär“(2) beschrieben wurde: Zwei Drittel aller Studierenden müssen neben dem Studium arbeiten, um sich über Wasser halten zu können. Auch das BAföG (3), die staatliche Unterstützung für Studierende, bietet keine ausreichende Lebensgrundlage, abgesehen davon, ob man überhaupt den Höchstsatz bekommt oder nicht. Selbst der Höchstsatz liegt noch weit unter dem offiziell festgelegten Armutslevel.
Tatsächlich ist der Staat über die Hochschulen der größte Arbeitgeber für Studierende in Deutschland und hat somit eine Doppelrolle als Arbeitgeber und als gesetzgebende Kraft: An den Hochschulen arbeiten über 300.000 studentische Beschäftigte, darunter fallen auch studierende Angestellte; diese sind aber im Tarifvertrag der Länder, was deren Situation ein wenig verbessert. Hilfskräfte oder Tutor:innen hingegen werden oft auf Mindestlohnniveau oder, mit einem Abschluss, knapp drüber bezahlt. Die Arbeitsverträge haben meist zu kurze Laufzeiten, oft mehrmals hintereinander auf derselben Stelle – im Grunde Kettenbefristungen. So werden auf einer Stelle durchschnittlich drei Verträge angesammelt.
Zudem herrschen in den Arbeitsverhältnissen an den Hochschulen sehr starke Machtasymmetrien. Man arbeitet ja oft am eigenen Institut, zum Beispiel für die eigenen Dozierenden und Professor:innen. Somit sind diese nicht nur Vorgesetzte, sondern gleichzeitig die, die die Noten festlegen und auch für die weitere wissenschaftliche Karriere die Türklinke in der Hand halten. Da fühlt man sich vielleicht für die eigene Sache mehr verpflichtet, Überstunden zu machen, Krankheitstage nachzuarbeiten etc.
Dazu kommt, dass es in den meisten Bundesländern keine oder nur eine unzureichende Mitbestimmung gibt. Hier in Hamburg zum Beispiel haben wir als studentische Beschäftigte keinerlei Personalvertretung. Im Hamburger Personalvertretungsgesetz steht explizit drin, dass wir nicht zum öffentlichen Dienst gehören und deswegen nicht von diesem Gesetz erfasst werden. In anderen Bundesländern gibt es Mitbestimmung in verschiedenen Abstufungen. Nur in Berlin gibt es vollwertige Personalräte für studentische Beschäftigte mit aktivem und passivem Wahlrecht. Mit einer eigenen Vertretung, nicht integriert in die anderen Personalräte.
Diese Bedingungen – kein Tarifvertrag, Kettenbefristungen, kaum bis keine Mitbestimmung – führen dazu, dass regelmäßig grundlegende Arbeitnehmer:innenrechte unterwandert werden, wie etwa der Anspruch auf Urlaub, auf Krankheitstage und vieles andere mehr. Das kann man alles sehr gut in der erwähnten Studie nachlesen.
Laura: Ein Problem war es, dass prekäre Jobs, zum Beispiel Minijobs, sowie prekäre Arbeitsbedingungen es schwer machen sich zu organisieren. Hinzu kommen diese strukturellen Asymmetrien, die in Verbindung mit den Kettenbefristungen dazu führen, dass ich mir überlegen muss, ob ich die Einhaltung meines Urlaubsanspruchs und vieles anderes tatsächlich einfordere. Dazu gehört auch die Frage, ob ich mich traue, für die Durchsetzung meiner Rechte zu streiken. Möglicherweise wird dann mein kurzer Vertrag in den nächsten Monaten einfach nicht mehr verlängert.
Für viele von uns ist das der erste Job. Hier findet eine Gewöhnung an schlechte Arbeitsbedingungen statt, die dann auch mitgenommen wird in die weitere Arbeitswelt. Genau deswegen ist es aber auch so wichtig, sich bereits während des Studiums gewerkschaftlich zu organisieren. Eben weil diese Erfahrung auch in die Arbeitswelt mitgenommen wird. Ich würde sagen, dass die Corona-Pandemie für viele ein ausschlaggebender Punkt war, wo sie erstmals gemerkt haben, dass sie wichtige Arbeit an den Hochschulen leisten – und das zu Bedingungen, die alles andere als Wertschätzung ausdrücken.
“‘Gefühlt vergessen’, aber immer erreichbar” – so überschreibt es die Studie sehr passend, finde ich. Denn zum einen kam es zu Vereinzelung. Gleichzeitig wurde von vielen Hilfskräften erwartet, möglichst flexibel zu sein, viele Tätigkeiten wurden auch auf sie ausgelagert. Gerade bei der Umstellung auf Online-Lehre wurde erwartet, dass Hilfskräfte das alles aus dem Nichts können und die Arbeit mit privaten Arbeitsmitteln erledigen. Ich denke schon, dass dadurch bei vielen erstmals ein bisschen das Bewusstsein für ihre Lage geschaffen wurde.
Gleichzeitig hat die Pandemie vieles von dem, was es an studentischer Organisierung an der Hochschule gab – und darüber hinaus – einfach kaputt gemacht. Doch der wichtigste Punkt: Für viele hat sich die finanzielle Lage drastisch zugespitzt. Es gingen Jobs verloren. Die finanziellen Hilfen kamen viel zu spät, fielen zu gering aus und viele Studierende mussten durchaus auf Kredite ausweichen. Und das Ganze gefolgt von einem sehr hohen Inflationsdruck.
Das eine sind die gesellschaftlichen Entwicklungen und das Bewusstsein darum. Das alleine führt jedoch nicht dazu, dass sich Menschen organisieren. Was es braucht, ist ein konkreter Plan, wie es sich verändern lässt. Und positive Beispiele, die man sich zum Vorbild nehmen kann. Als Vorbild diente uns Berlin, wo es seit den 1980ern den – bis jetzt einzigartigen – Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TVStud) gibt. Berlin zeigt, dass ein Tarifvertrag für studentische Beschäftigte möglich ist. 2018 haben die Berliner Kolleg:innen mit Streiks eine Verbesserung des Tarifvertrags erstritten. Dafür waren in Berlin zeitweise 1500 studentische Beschäftigte auf der Straße und haben mehrere Wochen lang für die Erneuerung ihres Tarifvertrags gestreikt.
Dieser Kampf 2018 in Berlin ist dann übergesprungen auf Hamburg, Bremen, Göttingen. Das war die Initialzündung für eine bundesweite Bewegung. 2021 gab es dann erstmals eine bundesweite Kampagne unter dem Titel „Keine Ausnahme“: Die Arbeitsbedingungen von studentischen Beschäftigten sollten nicht mehr eine Ausnahme sein von gesetzlichen Mindeststandards, Tarifbindung und Mitbestimmungsrechten. Insgesamt haben über 4000 Menschen aus Wissenschaft und Gewerkschaften eine entsprechende Petition unterschrieben.
Viel wichtiger aber: Wir haben die Petition zur persönlichen Ansprache unserer Kolleginnen genutzt, und sie gefragt, ob sie sich mit uns für bessere Arbeitsbedingungen organisieren wollen. Und tatsächlich sind wir so stark geworden, dass wir im Herbst 2021 erstmals auch Teil der Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder waren. Am Ende wurde im Tarifergebnis eine Gesprächszusage über eine Bestandsaufnahme über unsere Arbeitsbedingungen verabredet. Das war erst mal eine sehr vage Formulierung und man hätte sich denken können, das sei nur eine Hinhaltetaktik.
Wir haben gut daran getan, nicht auf die Initiative von der Arbeitgeberseite zu warten und diese Bestandsaufnahme selbst in die Hand zu nehmen. Herausgekommen ist eben die Studie „Jung, akademisch, prekär“ (**). Diese wurde im Januar 2023 mit großem Presse-Echo veröffentlicht - u.a. das ZDF, die Zeit und der Tagesspiegel berichteten. Damit hatten wir – und das ist ein wichtiger Punkt – die Deutungshoheit über unsere eigenen Arbeitsbedingungen erlangt. Das war eine wesentliche Voraussetzung, um auf der politischen Ebene Druck zu machen.
Heidi: Die Studienergebnisse wurden der Arbeitgeberseite eine Woche nach der Veröffentlichung in dem ersten Gespräch im Rahmen der Bestandsaufnahme vorgestellt. Im zweiten Gespräch waren dann die Arbeitgeber:innen am Zug. Ich muss sagen, es war einfach nur peinlich, was in deren Bestandsaufnahme rauskam, weil sie – überspitzt formuliert – nur aus Google-Suchen und Zitaten aus Broschüren von Gewerkschafts-Homepages bestand, um zu zeigen, dass es doch gesetzliche Regelungen zum Schutz von Arbeitnehmer:innen gibt und deswegen eigentlich gar nichts schieflaufen kann. Jaja, an Gesetze müssen sich die Hochschulen und Länder ja eigentlich halten…
In dem dritten Gespräch sollte es eigentlich darum gehen, die Spielräume für einen Tarifvertrag auszuloten und den Prozess vorzubereiten. Am Ende des dritten Gesprächs jedoch konnte man sich auf kein gemeinsames Ergebnis einigen. Die Arbeitgeber:innen wollten es auf die Tarifrunde ankommen lassen.
Laura: Die Arbeitgeber:innenseite hat sich immer wieder darauf zurückgezogen, dass es gesetzliche Mindeststandards gebe, die auch für uns gelten würden – die, wie auch die Studie belegt, jedoch strukturell unterwandert werden. Und auch von den Hochschulleitungen heißt es immer wieder, dass fehlende Informationen das Problem seien. Dabei geht es jedoch um eine ganz andere fundamentale Frage, nämlich die Frage nach der Tarifbindung im öffentlichen Dienst. Das eine sind die harten Zahlen und das andere die politischen Fragen und die Verantwortung dahinter.
Mit gezieltem politischen Druck haben wir es geschafft, Zusagen von insgesamt zehn Landesregierungen einzuholen – acht haben sich explizit für eine Tarifierung der studentischen Beschäftigten ausgesprochen, zwei für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von uns studentischen Beschäftigten. Diese politischen Beschlusslagen, auf die wir pochen konnten, haben uns eine historisches Möglichkeitsfenster eröffnet. Dieses wollten wir nutzen.
Also trafen wir uns Anfang des Jahres 2023 zu einer bundesweiten Aktivenkonferenz in Göttingen, die unter dem Motto “Jetzt oder nie” stand. Insgesamt 200 Aktive aus dem gesamten Bundesgebiet kamen zusammen, führten Strategiedebatten und schulten sich gegenseitig in Organizing-Methoden. Gemeinsam haben wir das bundesweite Organizing-Semester 2023 ausgerufen, verknüpft mit dem Ziel, im Herbst Teil der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes der Länder zu werden und den TVStud bundesweit durchzusetzen.
Heidi: Bei der Organisierung bewegen wir uns keinesfalls nur in einer studentischen Blase. Die Streikkonferenz der Rosa Luxemburg Stiftung in Bochum nutzten wir zum Beispiel, um uns mit unseren Kolleg:innen aus dem Mittelbau (4) weiter zu vernetzen. Da hat man schon gemerkt, dass diese Kolleg:innen auch was machen wollen, und so kam die Idee auf, sich statusgruppenübergreifend an den Hochschulen zu bewegen.
Wie ist die Mobilisierung zum Tarifrunde 2023 dann konkret verlaufen, wie war es möglich so viele Menschen an den Hochschulen zu mobilisieren?
Laura: Tatsächlich zeigte sich jetzt in der Tarifrunde eine Bewegung an den Hochschulen, die es in der Form seit Jahrzehnten nicht gegeben hat. Für viele Menschen wurde an dem Ort, wo sie sich täglich aufhalten, nämlich der Hochschule, eine Möglichkeit eröffnet, sich dort zu organisieren. Gleichzeitig hat sich die hochschulpolitische Landschaft verändert. Viele Jahre wurden Kämpfe nur sehr defensiv geführt. Dann hat TVStud das Ganze aufgebrochen, um offensiv für die Verbesserung der eigenen Arbeitsbedingungen und auch der Studienbedingungen zu kämpfen. Arbeits- und Studienbedingungen hängen sehr eng miteinander zusammen. Vielen wurde bewusst, wie prekär eigentlich die Situation des Tutors, der Tutorin ist, die vor mir steht und mir wissenschaftliches Arbeiten beibringt. Und wie prekär die eigene soziale Lage ist. Gerade der Zusammenhang von Prekarität der wissenschaftlich Beschäftigten und dem studentischen Alltag sind ein Schlüssel, um darüber zu sprechen, Verständnis füreinander aufzubringen und vor allem, um unser gemeinsames Interesse zu erkennen.
Heidi: Ein dauerhafter persönlicher Eindruck, eine persönliche Erfahrung von mir dazu: TVStud war mein Politisierungserlebnis. Vorher hatte ich keine Ahnung von Hochschulpolitik und war auch sonst, muss ich zugeben, wenig an gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen und Arbeitskämpfen interessiert. Man sagt sich: okay, ich weiß, meine Arbeitsbedingungen sind schlecht, doch ich weiß nicht, was ich als Einzelne:r dagegen tun kann. Auch wenn es allen so geht, liegt es scheinbar doch an mir persönlich, wenn ich damit nicht klarkomme. Dann bekam ich durch TVStud diesen niedrigen Einstieg, um mich mit anderen zusammenzuschließen und ganz konkret etwas zu tun, um sowohl für mich selbst als auch für meine Kolleg:innen und für alle anderen Studierenden etwas zu verbessern. Dafür musste ich mich nicht erst jahrelang in irgendwelche Theorie einlesen, sondern konnte ganz praktisch mitmachen und gemeinsam mit den Kolleg:innen gegen die strukturellen Missstände vorgehen.
Der Höhepunkt der Mobilisierung war der bundesweite Hochschul-Aktionstag am 20. November 2023. Könnt ihr das Ausmaß davon beschreiben?
Laura: Mit dem Beschluss der Tarifkommission war klar, wir sind Teil der Tarifrunde, und ab da ging's eigentlich richtig los. Auch wenn bereits vorher viel Arbeit in die Organisierung gesteckt worden war, so wurde nun quasi alles darauf hinmobilisiert, am 20.11.2023 gemeinsam zum Aktionstag auf die Straße zu gehen. Der Aktionstag war bewusst so ausgerufen, dass unter dem Motto „Schluss mit prekärer Wissenschaft“ die tariflichen mit politischen Forderungen verbunden werden konnten.
Der erste Punkt war die Forderung nach einem Inflationsausgleich in Form von höheren Löhnen und einem höheren BAföG.
Zweiter Punkt war „Schluss mit prekärer Wissenschaft“, also eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und der Tarifvertrag für studentische Beschäftigte.
Die dritte Forderung war die nach der Ausfinanzierung der Hochschulen.
Unter dieser Klammer – nämlich der Frage, wie viel sind uns gute Arbeits- und Studienbedingungen eigentlich wert – waren Studierende und Beschäftigte geeint, um gemeinsam auf die Straße zu gehen. So gab es am 20.November in über 100 Städten Aktionen und an über 80 Standorten wurde an dem Tag gleichzeitig gestreikt. Diese Dimensionen von Mobilisierung, Bewusstsein und vor allem auch Dynamik gab es an den Hochschulen seit langem nicht mehr.
Heidi: Und das tatsächlich auch in jedem Bundesland! Also auch zum Beispiel in Bayern, wo es in der hochschulpolitischen Landschaft eher ein bisschen mau aussieht.
Und das war kurz vor der dritten Verhandlungsrunde.
Laura: Genau, zwei Wochen vor der dritten Verhandlungsrunde. Die Hochschulen, eigentlich einer der größten Bereiche im Tarifgebiet öffentlicher Dienst, sind bis dahin noch bei keiner der letzten Tarifrunden so in Erscheinung getreten. Das konnte in diesem Jahr verändert werden. Das lag auch daran, dass Ver.di sich auf eine neue Strategie einließ. Dazu gehörte der Einsatz der sogenannten Delegiertenstreiks. An diesen Tagen wurden wir – vor allem die Kernaktiven – zum Streik aufgerufen, also von der Arbeit freigestellt, um diese Zeit für die Organisierung zu nutzen. Dabei bin ich Kolleg:innen begegnet, die meinten, sie seien seit 20 Jahren Gewerkschaftsmitglied, doch dies sei ihr erster Streik.
Wie hat die Verbindung mit den Tarifbeschäftigten funktioniert?
Heidi: Diese Delegiertenstreiks haben wir zusammen mit den Tarifbeschäftigten gemacht. Wir hatten fünf, sechs solcher Streiktage, die wir alle zusammen gestaltet haben, mit gemeinsamen Planungssitzungen, Rundgängen durch Büros, Telefonaktionen, um die Kolleg:innen für die großen Warnstreiktage zu mobilisieren – so auch für den Aktionstag vom 20.11.2023.
Von der Unterfinanzierung, dem Personalmangel und anderen Missständen sind alle Beschäftigten der Hochschulen betroffen, sowohl das Personal in Technik und Verwaltung als auch der Mittelbau und die studentischen Beschäftigten. Wir konnten diese Kämpfe zusammen denken, uns gegenseitig inspirieren, sagen, was für eine Gruppe von uns gut ist, ist für alle gut und zusammen sind wir stärker.
Die Kolleg:innen organisieren sich z.B. in der Ver.di-Betriebsgruppe an der UHH. Und im Gegensatz zu uns kennen viele von ihnen ihre Kolleg:innen, die mit ihnen in den Büros und auf demselben Gang sitzen. Dadurch haben sie in ihren Bereichen oft eine bessere Vernetzungsgrundlage als wir. Studentische Beschäftigte haben nämlich oft keine wirklichen Arbeitsplätze.
Und auch über die Hochschulen hinaus haben wir den Kontakt zu den tarifbeschäftigten Kolleg:innen des Landes gehalten, die z.B. in den Behörden und bei den Schleusen arbeiten und eine Stadtstaatenzulage fordern. Bei einer Kundgebung im Sommer und bei landesweiten Warnstreiktagen während der Tarifrunde waren wir auch mit ihnen zusammen auf der Straße. Die Kolleg:innen haben in der Tarifrunde wirklich bewundernswerte Arbeit geleistet.
Neben dieser gegenseitigen Befruchtung und Dynamisierung, dem Zusammenrücken, war vor allem auch der Grad der Selbstorganisierung der studentischen Beschäftigten sehr beeindruckend und ein Pfeiler der ganzen Mobilisierung – wie hat diese Selbstorganisierung funktioniert, wie kam sie zustande und was hat sie gebracht?
Laura: Wir haben von Beginn an auf Selbstorganisierung gesetzt und mit den Methoden gearbeitet, die zum Beispiel auch in der Krankenhausbewegung in Berlin oder in NRW eingesetzt wurden. Ein Ansatz, der darauf setzt, die Macht von Beschäftigten durch systematische Organisierung aufzubauen. Der Schlüssel des Ansatzes liegt in der persönlichen Ansprache. Es wäre falsch davon auszugehen, dass wir sowieso die besseren Argumente haben und dass, wenn wir sie auf Flyer schreiben und laut genug rufen, die Leute schon kommen. Es braucht Beziehungsarbeit und das persönliche Gespräch, um Menschen davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, sich für ein gemeinsames Ziel einzusetzen. Und genau das, würde ich sagen, hat sich auch ausgezahlt. Damit schafft man selbstbewusste Beschäftigte, die ihre Anliegen gegenüber den Arbeitgebern selbst in die Hand nehmen, und dies auch innerhalb der Gewerkschaften vertreten. Dies gilt für die Organisierung genauso wie für den Arbeitskampf: auch hier bestimmen wir gemeinsam, was im Streik passieren soll.
Gibt es nicht eine krasse Diskrepanz zwischen dem Ausmaß der Selbstorganisierung und dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad, der, soweit ich weiß, auf 1 % eingeschätzt wird?
Laura: Von Anfang an waren wir mit der Schwierigkeit konfrontiert, gar nicht zu wissen, wer wo arbeitet. Das heißt, wir mussten bei den Kolleg:innen anfangen, die wir kannten und die uns dann gesagt haben, hier in meinem Team arbeiten noch drei Hilfskräfte oder, da kenne ich auch noch jemanden. So konnten wir über die eigenen Arbeitsbedingungen ins Gespräch kommen, ohne dabei stehen zu bleiben, wir konnten auch über unseren Plan sprechen, wie wir diese verändern können.
Dazu gehört es natürlich auch, Gewerkschaftsmitglied zu werden. Am Ende aber müssen wir sagen, dass wir hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben sind. Es gab eine Diskrepanz zwischen der Anzahl an Menschen, die beim Protest mit auf der Straße standen und denen, die gewerkschaftlich organisiert waren oder sich neu organisierten, bzw. der Zahl der Streikenden. Dies ist auch eine Konsequenz der prekären Arbeitsbedingungen. Es gab einen großen Teil an studentischen Beschäftigten, die im Rahmen des Organizing-Semesters gewonnen wurden, die aber im nächsten Semester, zum Zeitpunkt der Streiks, nicht mehr beschäftigt waren. Diese waren dennoch aktiv in der Organisierung und waren auch bei den zahlreichen Aktionen dabei, konnten dann bei den Streiks aber nicht als Streikende mitgezählt werden.
Das heißt, Streikgeld von der Gewerkschaft zu bekommen, ist kein so großes Argument zur gewerkschaftlichen Organisierung; diese beruht dann doch eher auf einem gewissen Bewusstsein, oder?
Laura: Es stellt sich tatsächlich die Frage, wie ein Arbeitskampf an den Hochschulen aussehen muss, um wirksam zu sein. Und genau da muss sich etwas verändern. Es reicht nicht, zu einem eintägigen Warnstreik aufzurufen, auch wenn dieser gut vorbereitet ist. Das Problem ist nämlich, dass studentische Beschäftigte nicht an fünf Tagen die Woche arbeiten. Wenn beispielsweise an einem Dienstag zum Streik aufgerufen wird, ich aber am Donnerstag arbeite, kann ich schon mal nicht streiken. Das ist ein Problem, weil man genau den Arbeitstag braucht, um tatsächlich streiken und Streikgeld beantragen zu können.
Zudem ist es nochmals was anderes, am Streiktag nicht zur Arbeit zu gehen und sich damit auch irgendwie zu exponieren, als bei einer Demo mitzumachen. Dieses Problem gibt es nicht nur im Bereich studentischer Beschäftigung, sondern auch im Mittelbau. Dort bestreiken die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen ihre eigene Qualifikationsarbeit oder sie bestreiken, was wirksamer ist, die Lehre, die auch nur an bestimmten Tagen stattfindet.
Es braucht eine andere Strategie, um Streiks an den Hochschulen wirksam zu machen und den Betrieb wirklich lahmzulegen. Nichtsdestotrotz heißt Gewerkschaftsmitglied sein, auch solidarisch zu sein und vor allem auch mitzubestimmen über die Forderungen, die aufgestellt werden. Am Ende entscheiden immer noch die Gewerkschaftsmitglieder über Annahme und Ablehnung des Verhandlungsergebnisses. Das waren Argumente, mit denen eine Reihe von Kolleg:innen für Gewerkschaften gewonnen werden konnten.
Als Resultat der Verhandlungen ist schlussendlich nicht die Integration in den Tarifvertrag der Länder herausgekommen. Für einige war das enttäuschend, für andere ein erster wichtiger Schritt – wie schätzt ihr dieses Resultat ein?
Heidi: Der Unterschied zwischen einer schuldrechtlichen Vereinbarung und einer Integration in den Tarifvertrag ist, dass eine schuldrechtliche Vereinbarung nicht individuell von den einzelnen Arbeitnehmer:innen eingeklagt werden kann, sondern die Gewerkschaft kollektiv gegen Verstöße vorgehen muss. Dabei rausgekommen ist, dass es jetzt Mindestlöhne gibt, statt wie bisher maximale Löhne für studentische Beschäftigte, und zwar mindestens 13,25 Euro ab dem Sommersemester 2024 und mindestens 13,98 Euro ab dem Sommersemester 2025. Das ist erstmal keine große Steigerung und holt uns nicht aus der Armut raus. Aber die Umkehr von Maximallöhnen zu Mindestlöhnen eröffnet ein neues Fenster: Durch die Abschaffung der Maximallöhne kann jetzt auf Landes- oder lokaler Ebene für höhere Löhne gestritten werden. Die Länder können auch von sich aus höhere Löhne festlegen, statt sich wie bisher darauf zu berufen, dass die Richtlinie des Arbeitgeberverbands TdL (Tarifgemeinschaft deutscher Länder) es nicht erlauben würde, uns mehr zu zahlen.
Es stehen auch Vertragslaufzeiten von „in der Regel“ zwölf Monaten in der Vereinbarung, wobei diese begründet nach unten oder oben abweichen können. Bis jetzt lag die durchschnittliche Vertragslaufzeit in Deutschland unter sechs Monaten, was uns auch die Organisierung als Bewegung erschwert. Zwölf Monate sind auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch noch lange nicht genug. Die Leute werden perspektivisch länger als studentische Hilfskräfte und Tutor:innen eingestellt und damit auch länger in der Bewegung aktiv sein können.
Ebenfalls perspektivisch sehr wichtig ist die Zusage, dass in der nächsten Tarifrunde weiter über unsere Löhne und weitere Arbeitsbedingungen verhandelt wird. Das heißt, auch die Tarifierung kann wieder auf den Tisch kommen. Insgesamt ist zu sehen, dass es das erste Mal außerhalb von Berlin eine beidseitige Vereinbarung über unsere Arbeitsbedingungen gibt und nicht mehr einseitig von den Arbeitgeber:innen diktiert wird, wie es zu laufen hat. Wir sitzen jetzt mit am Tisch und werden da auch nicht mehr weggehen!
Wenn du sagst, es gibt Menschen, die enttäuscht sind und für andere ist es ein strategischer Teilerfolg, so finde ich, dass beides sich nicht ausschließen muss. Man kann einerseits enttäuscht sein, andererseits aber erkennen, was mit dieser Vereinbarung geschafft wurde.
Laura: Die starke Mobilisierung führt uns vor Augen, wessen es bedarf, um die Arbeitgeber in die Knie zu zwingen. Und das ist schon eine ganze Menge! Das ist ein wichtiger Teil der politischen Bewertung. Wir hatten zehn Landesregierungen in der Tarifrunde – als Sachsen-Anhalt sich als ein weiteres Bundesland dazu bekannt hat, einer Tarifierung nicht im Weg zu stehen, sogar elf Landesregierungen innerhalb des Arbeitgeberverbands, die sich für eine Integration der studentischen Beschäftigten in den Tarifvertrag der Länder aussprachen.
Trotz dieser eindeutigen politischen Beschlusslage und der Zusagen hat die Mitgliederversammlung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder am Ende einstimmig gegen einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte gestimmt! Gerade vor dem Hintergrund, dass es innerhalb der Tarifgemeinschaft der Länder eine rot-grüne Mehrheit gibt, glaube ich, dass wir Gewerkschafter:innen zur Kenntnis nehmen müssen, dass auch SPD und Grüne keine verlässlichen Partner:innen sind. Worte wie Tarifbindung, Tariftreue, usw. schmücken sehr gerne politische Sonntagsreden und werden in Zeiten von Wahlkampf bemüht. Wenn es dann aber darauf ankommt, die Arbeitsbedingungen und soziale Lage von über 300.000 Studierenden wirklich zu verbessern, wird blockiert! Das ist etwas, das wir auf jeden Fall weiter skandalisieren müssen.
Gab TVStud eine Empfehlung für die Mitgliederbefragung zur Annahme oder Ablehnung des Tarifergebnisses ab?
Laura: Wir haben viel über das Ergebnis diskutiert, sowohl auf Bundesebene als auch hier in Hamburg und bei vielen lokalen Initiativen. Einige von uns – insbesondere von den Verhandlungskommissionsmitgliedern – haben verlangt, dass wir eine Empfehlung abgeben, aber das wollten wir nicht. Die Entscheidung darüber wollten wir jeder Person selbst überlassen. Wir haben aber dazu aufgerufen, sich an der Befragung zu beteiligen.
Hätte eine Ablehnung des Resultats nicht neue Perspektiven eröffnet?
Laura: Wenn es abgelehnt worden wäre, dann wäre die Mobilisierung weitergegangen. Das hätte natürlich eine Chance sein können, im Rahmen einer vierten Verhandlungsrunde mehr zu erstreiten. Die Möglichkeit einer vierten Verhandlungsrunde wurde gerade vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zur Einhaltung der Schuldenbremse sehr ernsthaft diskutiert. Und mit einer vollkommen neuen Dynamik, die es in diesem Tarifbereich aufgrund des schlechten Organisationsgrades bisher noch nicht gegeben hat.
Die Mobilisierung – nicht nur im Hochschulbereich, sondern auch in anderen Bereichen, wobei gerade die Stadtstaaten treibende Kräfte waren – hat dazu geführt, dass man sich eine vierte Runde grundsätzlich schon zugetraut hätte. Das war auch das Ergebnis davon, dass man in dieser Tarifrunde viel Neues ausprobiert hat. Daraus gilt es für zukünftige Tarifrunden zu lernen. Aber jetzt liegt ein Ergebnis vor.
Genau, 66,51 Prozent der Ver.di-Mitglieder, die sich an der Befragung beteiligten, haben der Einigung zugestimmt, und das Ergebnis wurde angenommen. Wie wollt ihr die Bereitschaft zur Mobilisierung für die Tarifrunde 2025 aufrechterhalten?
Heidi: Zum einen gibt es jetzt die Möglichkeit, höhere Löhne auf Landesebene zu erstreiten. Dann gibt es auch das große Thema Mitbestimmung. Das ist eines der Kernthemen von TVStud, weil es unabhängig von Tarifrunden ein essenzieller Teil der Arbeitsbedingungen ist. Das ist etwas, das wir nun sowohl auf Bundesebene als auch hier in Hamburg noch mal stark angehen werden. Jetzt muss dafür gesorgt werden, dass das, was für studentische Beschäftigte in der Tarifeinigung steht, auch auf Landesebene umgesetzt wird.
Wer aber macht das und wer überwacht die Umsetzung? Wir haben ja keinerlei Personalvertretung in Hamburg. TVStud ist schon seit Jahren eine Art Ersatzpersonalvertretung. Genau deswegen ist das ein Thema, das noch mal stärker angegangen werden muss und das auch Potenzial bietet, um Leute mit einzubinden, sie für TVStud neu zu interessieren und dabei zu halten.
Das heißt, über die Mitbestimmung wollt ihr die Selbstorganisierung und Eigenbestimmung aufrechterhalten?
Laura: Wir brauchen jetzt in einem ersten Schritt die Umsetzung der schuldrechtlichen Vereinbarung auf der betrieblichen Ebene. Die Frage nach der Einhaltung von Mindestvertragslaufzeiten hängt ganz unmittelbar mit der Möglichkeit zur Kontrolle durch Personalräte zusammen. Und da, wo es diese Möglichkeit der Mitbestimmung in Form von Personalräten nicht gibt, muss sie entsprechend politisch gefordert werden, auch hier in Hamburg.
Auch wenn in Anbetracht des Ergebnisses die Hoffnung in die Arbeitgeber, auch in SPD und Grüne, nicht so groß ist, so gilt es, sie genau hier wieder für ihre politischen Versprechen in die Verantwortung zu nehmen. Mitbestimmung ist etwas, das von ihnen selbst immer wieder zum Thema gemacht wird. Und gerade in diesen politischen Zeiten ist es überaus wichtig, immer wieder darüber zu sprechen, “Was bedeutet Demokratie und was bedeutet Demokratie am Arbeitsplatz?”, und das auch einzufordern. Wichtig ist vor allem, Demokratie erfahrbar zu machen, damit sich die Menschen eben nicht davon abwenden.
Wie wollt ihr diese Mitbestimmung auf Landesebene und auf Hochschulebene ohne eigene Personalvertretungsstrukturen organisieren und strukturieren?
Heidi: Wir sind im Austausch mit den bestehenden Personalvertretungen der Hamburger Hochschulen. Das Schöne ist, dass diese sich jetzt auch über die einzelnen Hochschulen hinweg untereinander vernetzen. Wir werden uns noch mal genau anschauen, wie diese Personalvertretungen strukturiert sind und mit ihnen zusammenarbeiten.
Die bestehenden Personalratsstrukturen der Tarifbeschäftigten können aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen natürlich nicht 1 zu 1 auf uns übertragen werden. Aber zur möglichen angepassten Ausgestaltung wurde und wird sich auf Bundesebene bei TVStud schon Gedanken gemacht. Wegen der viel kürzeren Vertragslaufzeiten müssten z.B. die Wahlen in kürzeren Abständen stattfinden. Auch hier zeigt Berlin wieder, dass es möglich ist. Genaueres können wir aber noch nicht sagen. Hier in Hamburg steht der Prozess noch am Anfang. In dem Zusammenhang wünschen wir uns, dass auch Studierendenvertretungen die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen von studentischen Beschäftigten, die kein unerheblicher Teil der Studierendenschaft sind, als eine ihrer Kernaufgaben verstehen.
TVStud bietet die Möglichkeit für einen neuen Ansatz gewerkschaftlicher Hochschularbeit, da es bestehende Beratungs- und Bildungsangebote um eine wichtige Sache ergänzt: nämlich die Möglichkeit, gewerkschaftliches Handeln unmittelbar und ganz konkret durch die Verbesserung der eigenen Arbeits- und Lebensbedingungen erfahrbar zu machen. Dem Konkurrenzdruck, auch und gerade innerhalb der Wissenschaft, kann der Gedanke der praktischen Solidarität gegenübergestellt werden. Dazu gehört der Kampf um den Tarifvertrag genauso wie der Kampf um Mitbestimmung. So schaffen wir es nicht nur, zahlreiche junge Menschen für die Gewerkschaften zu begeistern, sondern auch Arbeitskämpfe langfristig an den Hochschulen zu etablieren.
Wurde schon mal berechnet, was die Abschaffung prekärer Arbeitsbedingungen für studentische Beschäftigte kosten würde?
Laura: Das ist eine spannende Frage und stellt uns gleichzeitig wieder vor die Schwierigkeit, dass beispielsweise mit dieser Studie nicht nur unsere Arbeitsbedingungen, sondern darüber hinaus die Kategorie von studentisch Beschäftigten als solche erstmals empirisch erfasst wurde. Bereits 2020 haben wir gemeinsam mit der Linksfraktion eine Anfrage an den Senat gestellt, um zu erfragen, wie viele von uns an den Hamburger Hochschulen arbeiten. Doch nicht mal der Senat konnte darauf antworten, weil wir nicht als Personal, sondern als Sachmittel gelten, und damit in keiner Personalstatistik auftauchen. Sie konnten uns lediglich sagen, wie viele Verträge pro Jahr abgeschlossen werden. Da sehr viele von uns mehrere Verträge hintereinander haben und manchmal auch noch mehrere Verträge gleichzeitig, ist es sogar schwierig, Schätzungen abzugeben. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu absurd, dass in den Tarifverhandlungen die Kosten für einen TVStud von Seiten der Arbeitgeber:innen als sehr hoch beziffert wurden. Dabei handelte es sich offensichtlich nicht um die realen Lohnkosten, sondern vor all um den politischen Preis, um die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst gegeneinander auszuspielen und zu spalten.
Während der letzten Sitzung des Studierendenparlaments wurde ein Antrag von mir angenommen, um die Frage der Hochschulfinanzierung offensiver anzugehen und die diesbezüglichen finanziellen Bedürfnisse zu beziffern, auch in Zusammenarbeit mit der Unileitung oder der Univerwaltung, die die Daten dazu liefern sollen. Dazu gehört, neben dem Bedarf in Bezug auf Infrastruktur, Lehre und Forschung, BAföG, Studienwerk (welches Wohnungen und Mensen zur Verfügung stellt), usw. auch der Bedarf in Bezug auf die studierenden Beschäftigten. Ist das eurer Meinung nach ein Weg, der auch für euer Anliegen zielführend sein könnte und wie sollten wir dabei vorgehen?
Laura: Ich kann dem Vorhaben durchaus was abgewinnen. Einfach weil es noch mal viel konkreter ist als immer nur globale Forderungen. Vor allem aber eröffnet es Räume, dass wir miteinander ins Gespräch darüber kommen, was wir wirklich brauchen. Und – genau wie du meinst – gibt dies letztendlich auch der Unileitung im Konflikt mit der Behörde etwas Konkretes in die Hand. Sonst besteht die Gefahr, dass die politischen Fragen hinter diesem Konflikt, wie etwa die bedarfsgerechte Grundfinanzierung der Hochschulen, in den Hintergrund gedrängt oder dazu genutzt werden, um Interessen gegeneinander auszuspielen.
Bestünde die Möglichkeit – um diese Daten zu erfahren –, nochmals über parlamentarische Anfragen zu gehen, also den Senat zu fragen, was die Tarifeinigung mit Blick auf die jeweiligen Beschäftigtengruppen denn nun bedeutet?
Heidi: Da wirst du, glaube ich, keine andere Antwort bekommen als die, die schon gegeben wurde. Anfragen könnte man auch auf Ebene der Uni machen, die eh damit befasst ist, die Tarifeinigung umzusetzen. Auch das Studierendenparlament könnte eine solche Anfrage stellen, nach der Anzahl der studierenden Beschäftigten, den Lohnkosten und dem Ausmaß der in der Tarifeinigung festgelegten Änderungen usw. fragen.
Ich bedanke ich mich sehr für dieses Interview und die ausführlichen Informationen und wünsche euch viel Erfolg bei eurem beispielhaften Einsatz.
(1) TVStud ist die bundesweite Vernetzung der studentischen Beschäftigten im Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen und einen Tarifvertrag für studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte und Tutor:innen an den Hochschulen. Justin Turpel studiert im Master für ökonomische und soziologische Studien an der Uni Hamburg und ist dort gewählter Vertreter im Studierendenparlament. [Foto der Mobilisierung vom 20. November 2023]?[Text zum Foto] Informationen zu TVStud befinden sich auf deren Webseite unter tvstud.de
(2) Hopp, Marvin/ Hoffmann, Ann-Kathrin/ Zielke, Aaron/ Leslie, Lukas/ Seeliger, Martin (2023): Jung, akademisch, prekär. Studentische Beschäftigte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen: eine Ausnahme vom dualen System regulierter Arbeitsbeziehungen. 2. überarbeitete Fassung. Bremen: iaw. www.iaw.uni-bremen.de/archiv/mitteilungen/detail?news=90#news90
(3) BAföG steht für Bundesausbildungsförderungsgesetz und regelt die staatliche Unterstützung für die Ausbildung von Schülern und Studenten in Deutschland. Mit dem Kürzel BAföG wird umgangssprachlich auch die Sozialleistung bezeichnet, die sich aus dem Gesetz ergibt.
(4) Akademischer Mittelbau ist die Bezeichnung für die Gruppe der wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter an Hochschulen; hierbei handelt es sich um examiniertes beziehungsweise graduiertes wissenschaftliches Personal, das keine Professur innehat.
Das Interview wurde am 12.Januar 2024 geführt und aufgezeichnet, nach der Mitgliederbefragung von Ver.di und der Annahme des Tarifergebnisses textlich angepasst und am 3.Februar veröffentlicht. Eine Kurzfassung des Interviews wurde in der Printausgabe der SoZ 02/24 veröffentlicht und kann auch auf SoZ-online unter https://www.sozonline.de/2024/02/wir-sitzen-jetzt-mit-am-tisch/ gelesen werden.
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