Buchtipp
von Rolf Euler
Ami Ajalon mit Anthony David: Im eigenen Feuer. Erinnerungen eines Geheimdienstchefs. Mit einem Vorwort von Daniel Barenboim. Bonn: Dietz, 2021 360 S., 26 Euro
Da wird uns ein Buch aus 2020 empfohlen, das zum jetzigen Krieg zwischen Israel und Gaza wie die berüchtigte »Faust aufs Auge« passt: die Erinnerungen des ehemaligen israelischen Geheimdienstdirektors Ami Ajalon. Aus dem einstigen Elitesoldaten, Kämpfer gegen palästinensische Terroristen, Chef der israelischen Marine und Direktor des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet ist ein Streiter für eine Friedens- und Sicherheitslösung für Israelis und Palästinenser geworden, dessen Buch die »Torheit der Regierenden« in Israel massiv angreift.
»Ins eigene Feuer« geriet Ajalon nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst. Er wollte nicht mehr die seiner Meinung nach verhängnisvolle »militärische Lösung« der Palästinafrage unterstützen. Darum berichtet er in seinem Buch von seinem Leben im Kibbuz nach 1945 bis zu seinen militärischen Posten und seinen Erfahrungen, die ihn dazu brachten, sich überhaupt einmal in die andere, die palästinensische Seite hineinzuversetzen, Palästinenser:innen als Menschen mit eigenen Traumata zu sehen und ihren politischen Forderungen zuzuhören.
Ajalons Eltern kamen 1938 aus Siebenbürgen als geflüchtete Juden nach Palästina und beteiligen sich an der Kibbuzbewegung. Die mit sozialistischen Ideen gegründeten Kibbuzim und die Erzählung der Israelis von der gerechten Wiederbesetzung »ihres« Landes führten Ami Ajalon dazu, sich als junger Mann zur Eliteeinheit der Kampfschwimmer zu melden. Er nimmt an mehreren militärischen Aktionen in den Kriegen teil, die Israel mit den Nachbarländern führt. Palästinenser lernt er zunächst nur als Ziele von Antiterroraktionen kennen.
In seinen Erinnerungen an die Jahre der Besetzung ehemals von Palästinenser:innen bewohnter Häuser und Gebiete, an die massiven polizeilichen und militärischen Aktionen wachsen seine Zweifel an der Richtigkeit der israelischen Politik.
Nach den Anschlägen auf israelische Zivilisten und den Antiterrormaßnahmen, den Tötungen von Hamas-Chefs und Folterungen von Verhafteten in israelischen Gefängnissen geht Ajalon mit seinen Erfahrungen als Geheimdienstchef mit einem Interview an die Öffentlichkeit und sagt: »Wenn wir den Terror stoppen wollten, mussten wir aufhören, die Palästinenser:innen als Erbfeinde zu betrachten und sie wie streunende Hunde zu behandeln. Diese Menschen strebten nationale Rechte an, wie wir sie hatten, und sie verdienten sie auch.«
Daraufhin gerät er ins »eigene Feuer«. Er untermalt seine »Wandlung« mit vielen Erlebnissen, Begegnungen mit Verhafteten, palästinensischen Intellektuellen, mit Arabern, in deren ehemaligen Häusern nun Israelis wohnen.
Aber Ajalon versucht auch, die Siedler zu verstehen, denen mehrere israelische Regierungen offene oder versteckte Unterstützung zusagen, gleichzeitig ist er beteiligt an den Friedensgesprächen mit Arafat in den USA, wo ein Rückzug ausgehandelt werden soll. Als für die Sicherheit der Israelis Zuständiger stellt er sich ebenso offen gegen den Siedlerterrorismus in der Westbank wie gegen den der Hamas.
Er schildert, wie die gebrochenen Zusagen Netanyahus und Ehud Baraks und die »dröhnenden Zementmischer« in der Westbank die palästinensische Autonomiebehörde unter Arafat gegenüber der erstarkenden Hamas schwächen und jedwede Verhandlung mit den Israelis für viele Palästinenser:innen unglaubwürdig machen.
Sicherheit ist keine militärische Frage
Der Autor wohnt in einem früher von Arabern bewohnten Haus. Er liest einen arabischen Dichter, der auf dem Feld, auf dem er Bananen anbaut, als Jugendlicher früher Fußball gespielt hat. Er trifft einen Araber in Jerusalem, dessen Familiengeschichte hunderte von Jahren zurückreicht, und der nur noch auf eine hohe Mauer blickt, die sich durch die Stadt zieht. Er bemerkt mit Erschrecken die hasserfüllten Blicke eines Jugendlichen bei seiner Fahrt durch Gaza. Er kommt mit seinen Schlussfolgerungen als ehemaliger Geheimdienstchef bei den Regierungschefs nicht durch. Es sind unter anderem diese Details und die Berichte von vielen Gesprächen, die den Sinneswandel Ajalons glaubwürdig machen.
Er gründet eine »Graswurzelbewegung« für den Frieden, unterstützt Breaking the Silence – eine Organisation ehemaliger Soldaten, die Verbrechen der Armee in den besetzten Gebieten anprangert – sowie Unterschriftensammlungen. Dies und seine Zeit als Parlamentarier machen ihn zu einem Mann zwischen den Fronten.
Und so formuliert Ajalon in seinem Buch seine Überzeugung:
»Unsere dringlichste Sicherheitsfrage war deshalb keine militärische mehr. Sie lautete, wie sich die Hoffnung unter den Palästinensern am besten stärken ließ. Unsere Sicherheit hing von Millionen von Palästinensern ab, die in ihren heruntergekommenen Städten und elenden Lagern daran glaubten, sie könnten bald von unserer Herrschaft frei sein.
Hoffnung, palästinensische Hoffnung, war für Israels Sicherheit entscheidend. Erst wenn die Palästinenser daran glaubten, dass der Friedensprozess zu einem Ende von Besatzung und Diskriminierung sowie zur Gründung eines eigenen Staates an Israels Seite führen würde, stellten sie die Unterstützung für den Terror ein.«
Hoffnung für den Feind
Nach der Lektüre von The Utility of Force (Vom Nutzen der Gewalt) des britischen Generals Sir Rupert Smith, der die UN-Schutztruppe in Bosnien befehligt hatte, lautete seine Einschätzung:
»Gerechte Kriege gehen mit dem Einsatz angemessener Gewalt und der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten einher. Und sie dürfen immer nur das allerletzte Mittel sein. Die Gaza-Blockade erfüllt keine dieser Bedingungen… ›In einem gerechtfertigten Krieg gegen den Terror müssen angemessene Waffen zum Einsatz kommen‹, schrieb ich an die Seitenränder von Smiths Buch. ›Und diese Waffen müssen heute Hoffnung für die »feindliche« Bevölkerung einschließen.‹ In Gaza brachte unser Krieg nichts als Verzweiflung hervor.« Dies vor vielen Jahren Geschriebene liest sich wie ein Menetekel für 2023.
Ami Ajalon hat ein Buch geschrieben, das mir mehr über Israel und Palästina gesagt hat als vieles andere. Er endet mit einer nicht gerade optimistischen Sicht auf die Zukunft:
»So, wie ich es sehe, brauchen wir Israelis wohl noch einige weitere Jahre einer rechtsgerichteten Herrschaft mit Angriffen auf Gaza und einer Zivilgesellschaft, die noch härter in den Würgegriff genommen wird. Erst dann erkennen wir, dass wir in einer dystopischen Gesellschaft leben, die für diejenigen, die unter unserer Knute leben, tyrannisch und für alle giftig und selbstzerstörerisch ist.« Es sieht so aus, als ob er leider recht behalten hat.
Die deutsche Übersetzung des Buches erschien 2021, die kürzlich erfolgte Empfehlung des Dietz-Verlags hat angesichts des gegenwärtigen Krieges dazu geführt, dass keine Besprechungsexemplare mehr zu bekommen waren und wir auf die PDF-Datei zurückgreifen mussten – danke an den Verlag!
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