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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2024

Eine Utopie
von Thies Gleiss

Jakob Schäfer: Mellopolis ’48 – ­Eine Reportage. Vision einer Gesellschaftsordnung nach der Überwindung des Kapitalismus. Wien: New Academic Press, 2023. 128 S., 12,90 Euro

Seit einigen Jahren wird gerne zitiert, dass es leichter ist, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Im Diskurs der linken Öffentlichkeit dominieren tagespolitisch-opportunistischer Reformismus oder abstrakt-radikale Forderungen nach Revolution, wenn nicht gar ein pessimistisches Verdikt gegenüber allen Visionen einer neuen, nichtkapitalistischen Weltordnung ausgesprochen wird.
Dabei stehen Ausarbeitungen darüber, wie eine andere, nachkapitalistische Gesellschaft aussehen könnte, durchaus in der Tradition linker, auch marxistischer Theorie – auch wenn gerne auf das Kommunistische Manifest verwiesen wird, in dem der Kommunismus nur als wirkliche Bewegung zur Aufhebung der bestehenden Verhältnisse beschrieben wird.
Unser SoZ-Autor Jakob Schäfer hat gegen diesen Mainstream in der Linken ein schmales, schnell zu lesendes Buch veröffentlicht, in dem er eine detaillierte und in Form einer Reportage eines fiktiven Reporters in einer fiktiven Stadt der Zukunft namens Mellopolis ausgearbeitete Utopie das Funktionieren einer postkapitalistischen Gesellschaft beschreibt.

Wir schreiben das Jahr ’48 – ob 2048 oder 2148 bleibt unklar. Eine mittelgroße Stadt organisiert das tägliche ökonomische und vor allem politische Funktionieren. Der Reporter Daniel Weber ist an diversen Orten dabei.
Wie können die systemischen Probleme, die der Kapitalismus hinterlässt, in einer neuen gesellschaftlichen Praxis überwunden oder zumindest in Richtung Überwindung bearbeitet werden? – Trennung zwischen Kopf- und Handarbeit, die Hegemonie von »Spezialist:innen«, die radikale Reduzierung der Arbeit in der Produktion und die Ausweitung der gemeinsamen Verwaltung, die möglichst breite Beteiligung aller Bewohner:innen, das zunehmende Absterben eines eigenständigen »Staates« und die Einbettung in ein regionales, landesweites und internationales Gemeinwesen – das jeweils durchaus unterschiedliche Entwicklungsstufen in der Überwindung des Kapitalismus erreicht hat.
Das ist alles mit ziemlich guter Kenntnis der heutigen Verhältnisse und den Ansätzen für deren Überwindung zusammengetragen. Allgemeine Politik, Sport, Kultur, Gleichstellung der Geschlechter, neue demokratische Umgangsformen – alles wird in eine Utopie einer komplett anders funktionierenden Stadt zusammengeführt.
Wie bei jeder Utopie bleibt immer die Frage, ob es wirklich so kommen wird und wo der konkrete Ursprung dieser ausgemalten Entwicklung in den Klassenkämpfen von heute liegt. Aber spannend ist diese Reportage schon.
Im zweiten Teil des Buches, den Jakob Schäfer selbst als »eigentlich überflüssig« erklärt, gibt es noch einen sehr kursorischen Ausflug in die marxistischen Grundlagen: Ob der Mensch grundsätzlich zu einer sozialistischen Gemeinschaft fähig ist und welche Bedeutung die Utopie in der Entwicklung einer solchen hat.

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