Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2024

Ungerecht, klimaschädlich, kriegerisch
von Paul Michel und Klaus Meier

Knapp einen Monat nach dem Urteil aus Karlsruhe hat die Ampel den Bundeshaushalt für 2024 vorgestellt. Nicht einer der von Scholz, Lindner und Habeck vorgestellten Punkte ist wirklich gut – der überwiegende Teil geradezu verheerend. Er beschert den Menschen steigende Preise, Einschnitte im sozialen Bereich, Beschneidungen und klimaschädliche Operationen im ökologischen Bereich. Die Aufrüstung der Bundeswehr und die Fortführung des Krieges in der Ukraine belegen Spitzenplätze in der Prioritätenliste.

Der Haushalt 2024 trägt die Handschrift von Christian Lindner: Im nächsten Jahr gibt es keine Steuererhöhungen für die Superreichen und die unreformierte Schuldenbremse soll jetzt ohne Umgehungen wieder greifen. Der Haushalt markiert eine Zäsur in der Politik der Ampelkoalition: Die bisher noch vorhandenen Reformansätze (Wärmepumpe, Kindergrundsicherung), so unzureichend und holprig sie auch waren, dürften sich nun erschöpft haben. Jetzt geht es den Koalitionären vor allem darum, Haushaltslöcher zu stopfen und Sparmaßnahmen einzuleiten. Insbesondere durch den Abbau von Sozialmaßnahmen soll wieder Geld in die Staatskasse gespült werden.

Bürgergeld: Vorwärts in die Vergangenheit
Dabei hatten sich die SPD-Führer auf ihrem Parteitag noch vor den Kameras aufgebaut und verkündet, dass es keine Einschnitte im sozialen Bereich geben werde. Wenige Tage später stellte sich heraus: Es gibt diese Einschnitte sehr wohl.
So soll etwa der Bonus beim Bürgergeld für Weiterbildungen gekürzt werden. Der Druck auf Bürgergeldbeziehende soll verstärkt werden, jedweden Job, der ihnen angeboten wird, anzunehmen. Der Arbeitsminister will Bürgergeldbeziehenden für zwei Monate die Leistungen vollständig streichen, »wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte sich willentlich weigern, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen«.
Dies widerspricht einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das nach Pflichtverletzungen allenfalls eine 30prozentige Kürzung der existenzsichernden Leistung für verfassungskonform hält. In den bürgerlichen Medien argumentieren selbsternannte Experten jedoch spitzfindig: »Bei einer Art der Pflichtverletzung ist laut Bundesverfassungsgericht eine Totalstreichung des Regelsatzes als Sanktion möglich: Wenn die ›Aufnahme einer angebotenen zumutbaren Arbeit‹ abgelehnt wird. Denn damit habe es der Leistungsberechtigte in der Hand, seine menschenwürdige Existenz selbst zu sichern.«
Die Initiative Hubert Heils bekommt Beifall von der FDP und der oppositionellen CDU/CSU und von der AfD. »Es ist der Solidargemeinschaft der Steuerzahler nicht zuzumuten, dass sich andere auf ihre Kosten ausruhen«, so Carl-Julius Cronenberg von der FDP. Von »vier Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die lieber zu Hause sitzen und Bürgergeld kassieren«, schwadroniert René Springer von der völkischen AfD. Davon kaum unterscheidbar auch Stephan Stracke von der CSU: »Wer sich aus Bequemlichkeit jedem Jobangebot verweigert, darf nicht darauf zählen, dass ihn die Solidargemeinschaft dabei auch noch finanziell unterstützt.« Inzwischen hat auch die Chefin der Bundesanstalt für Arbeit, Andrea Nahles, (BA) öffentlich die Pläne von Heil unterstützt.
Heils Ministerium spricht im Gesetzentwurf von »einigen wenigen« Betroffenen. Laut Statistik der BA wurden von den 3,9 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeldbeziehenden lediglich 23400 Personen mit Sanktionen wegen mangelhafter Mitwirkung belegt – also gerade einmal 0,6 Prozent. Sozialverbände berichten immer wieder, dass es dabei überwiegend um Leute geht, die mit großen Problemen konfrontiert sind, etwa psychischen Störungen, Suchtkrankheiten oder anderweitigen Schicksalsschläge. Auch in früheren Jahren ging nur ein kleiner Teil der Sanktionen auf abgelehnte Arbeit zurück.

Ukrainer:innen sollen arbeiten
Die BA geht jetzt davon aus, durch die geplanten Maßnahmen 170 Mio. Euro einzusparen wären. Den Berechnungen des Vereins Tacheles zufolge müssten die neuen Sanktion aber pro Jahr über 210000mal eingesetzt werden, damit Bund und Kommunen diesen Betrag tatsächlich einsparen können. Der Arbeitsminister müsste er den Zielkorridor der Opfer also erheblich ausweiten. Das nährt den Verdacht, dass die bisherigen Ansagen nur ein Testballon sind und Heil eine Verallgemeinerung der Sanktionen im Stil von Hartz IV im Schilde führt.
Hinsichtlich der Zielgruppe, gegen die sich die Härte richtet, gibt es inzwischen Äußerungen, die tief blicken lassen. Finanzminister Lindner äußerte im ZDF: »Wir müssen unseren Sozialstaat treffsicher machen, und deshalb unternehmen wir jetzt Anstrengungen, um die Geflüchteten aus der Ukraine in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Bei den Verweigerern von Arbeitsangeboten im Bürgergeld muss es Sanktionen geben.« Auf der Tagung der CSU in Bad Seeon sprach CSU-Landesgruppenchef Dobrindt aus, was Heil vorher zurückhaltender formuliert hatte: »Ukrainer sollen arbeiten oder in den Westen des Landes zurückkehren.« Offenbar neigen sich die Zeiten deutscher staatlicher Großzügigkeit gegenüber ukrainischen Flüchtlingen ihrem Ende zu.
Dieser Rückgriff auf die Hartz-IV-Grausamkeiten ist kein Zufall. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass er zeitlich begrenzt ist, noch dass die Drangsalierungen sich auf die Flüchtlinge aus der Ukraine beschränken. Es werden alsbald noch mehr Mittelchen aus dem Hartz-IV-Arsenal wieder ausgepackt werden.

Wer zahlt und wer kassiert
Ab 2024 steigt die CO2-Steuer pro Tonne Kohlendioxid von 30 auf 45 Euro. Das sind 5 Euro mehr als ursprünglich vorgesehen. Ab 2025 soll diese Steuer dann noch einmal auf 55 Euro erhöht werden. In der Konsequenz müssen die Verbraucher:innen mit steigenden Sprit-, Öl- und Gaspreisen rechnen. Was das für einen Musterhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 20000 Kilowattstunden im Jahr 2024 bedeutet, hat das Vergleichsportal Check24 ausgerechnet. Bei einer Gasheizung sind Mehrkosten von 370 Euro zu erwarten, u.a. weil die Mehrwertsteuer auf Gas ab März wieder auf 19 Prozent angehoben wird. Besitzer:innen von Ölheizungen müssen mit 96 Euro Mehrkosten in 2024 rechnen. Es ist auch davon auszugehen, dass die gestiegenen Energiepreise erneut auf viele Lebensmittel und Konsumgüter des täglichen Bedarfs umgelegt werden.
Eigentlich sollten die Mehrkosten, die durch die CO2-Abgabe entstehen, mit Hilfe des sog. Klimagelds ausgeglichen werden. Die Einnahmen über den CO2-Preis sollten über eine Pro-Kopf-Auszahlung ganz oder teilweise den Bürger:innen zurückgezahlt werden. Menschen mit einem geringeren CO2-Fußabdruck würden eher mehr Geld zurückbekommen, als sie bezahlt haben, Menschen mit einem hohen Fußabdruck wie Vielflieger und SUV-Fahrer würden eher draufzahlen. Eine Gruppe um die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hat die Höhe des Klimagelds berechnet und kommt auf 167 Euro pro Person 2024, für eine vierköpfige Familie wären dies 668 Euro. Im Jahr 2025, wenn der CO2-Preis weiter gestiegen ist, läge das Klimageld bereits bei 202 Euro pro Person.
So weit die Theorie. In der Praxis zeigt sich die Regierung unwillig. Die Einnahmen aus der CO2-Steuer flossen bisher in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), allein bis Ende 2023 11,4 Milliarden Euro. Doch Habeck, Lindner und Scholz haben dieses Geld bereits für die Ansiedlung von Chipfabriken und die Subventionierung energieintensiver Chemiekonzerne ausgegeben, nun fehlt es offensichtlich für den Klimaschutz.
Habeck behauptet, die Regierung habe mit der staatlichen Übernahme der EEG-Umlage schon eine Entlastung geschaffen. Allerdings wurde diese Abschaffung in der Bevölkerung kaum wahrgenommen und sie hat auch nicht die gleiche Verteilungswirkung wie das Klimageld. Aus dem Finanzministerium heißt es: »Momentan sind alle Einnahmen aus dem CO2-Preis für Fördermaßnahmen im Klimabereich oder für Subventionen wie die Förderung von Chipfabriken verplant.«
Im Klartext: Die kleinen Leute zahlen in Form der gestiegenen CO2-Steuer ein, das Geld erhalten dann aber Konzerne wie Intel, TSMC, Infineon oder Northvolt. Ihre Batterie- oder Chipfabriken werden im übrigen nicht subventioniert, weil das dem Klima nützlich wäre, sondern weil die Herrschenden der Auffassung sind, dass damit Deutschlands Position im Machtkampf mit China verbessert wird.
Die Verschleppung oder Nichtauszahlung des Klimagelds dürfte in der Bevölkerung Wut auslösen. Davon würde einmal mehr die rechtsextreme AfD profitieren. Zum erfolgreichen Mobilisierungsportfolio dieser Partei gehören mittlerweile neben dem Thema Migration auch die steigenden Infrastrukturkosten gegen die Klimakatastrophe.

Unsozial, aber kriegstüchtig
Von den Kürzungen ausgenommen ist einzig der Rüstungsetat. Es gibt weniger zu essen, dafür führen wir jetzt wieder mehr Krieg. Die Bundeswehr soll im kommenden Jahr 1,7 Mrd. Euro mehr erhalten, der offizielle Haushalt steigt dadurch auf 51,8 Milliarden Euro; hinzu kommen 2024 19,2 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen der Bundeswehr. Zusammen mit den Ausgaben, die von den sog. NATO-Kriterien erfasst werden (u.a. die Kosten für Waffenlieferungen an die Ukraine), sollen 2024 erstmals 2 Prozent des BIP für Militärausgaben aufgewendet werden – nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds wären das 84 Milliarden Euro.
Bislang hat Deutschland etwa 18 Milliarden Euro Militärhilfe für die Ukraine bereitgestellt, sie belegt damit den zweiten Platz nach den USA. Das soll 2024 so weiter gehen. Die Bundesregierung will die Militärhilfe für die Ukraine noch einmal von 4 Milliarden auf 8 Milliarden Euro verdoppeln.

Die Autoren sind aktiv im »Netzwerk Ökosozialismus« (netzwerk-oekosozialismus.de/).

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