Statt Sozialplan – Sozialtarifvertrag!
von Jakob Wassermann
Allnex in Hamburg beschäftigt 123 Kolleg:innen, die Kunstharze herstellen. Früher war der Betrieb mal bei der Hoechst AG, heute ist er Teil eines thailändischen Konzerns, der weltweit Standorte mit ähnlichen Produkten betreibt – in Deutschland in Wiesbaden und Bitterfeld, aber auch in den USA und China.
Mitte 2023 wurde angekündigt, dass der Hamburger Standort im Juni 2024 geschlossen wird, obwohl dort schwarze Zahlen geschrieben werden. Die Kolleg:innen wissen, dass die Produktion nach Bitterfeld verlagert werden soll, aber sie bezweifeln die technologische Machbarkeit und den wirtschaftlichen Sinn. Und sie sind empört und sauer, dass gute, tarifierte Arbeits- und Ausbildungsplätze wegfallen.
Die Bemühungen der betrieblich Aktiven und der Hamburger IG BCE, lokale und Landespolitik sowie mediale Öffentlichkeit zu mobilisieren, hatten kaum Erfolg. Nachdem die Kolleg:innen anfangs ihre Arbeitsplätze verteidigen wollten, geht es nun darum, die Abfindungen hochzutreiben.
Das Besondere an diesem Konflikt ist, dass nicht nur der Betriebsrat über Interessenausgleich und Sozialplan verhandelt. Das endet in Deutschland häufig bei einer Einigungsstelle, wo unter dem Vorsitz eines Arbeitsrichters die Schließung abgenickt und ein Sozialplan verabschiedet wird, der Abfindungen regelt. Stattdessen streiken die Kolleg:innen für einen Sozialtarifvertrag. Beim letzten Arbeitsplatzabbau 2009 war das der sehr gut organisierten Allnex-Belegschaft (über 90 Prozent) schon einmal gelungen.
Was ist ein Sozialtarifvertrag? Das ist ein Tarifvertrag zwischen der Gewerkschaft und dem Unternehmen, der rechtlich höherwertig ist als eine Betriebsvereinbarung – wie bspw. ein Sozialplan – und es der Gewerkschaft ermöglicht, für ihre Tarifforderung Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen. Damit wird eine Belegschaft, anders als bei Sozialplanverhandlungen, in einem Betrieb streikfähig. Dass es in der Praxis auch sonst in Betrieben zu Kundgebungen, Demonstrationen und faktischen Arbeitsniederlegungen kommen kann, zeigen viele Beispiele, aber es ist eigentlich illegal.
Betrieblich Aktive und die IG BCE haben sich lokal und zentral auf dieses Vorgehen verständigt. Seitdem wurde viermal ein Warnstreik von acht bzw. vier Stunden durchgeführt, der aufgrund der Art der Produktion eine Unterbrechung der Produktion für etwa die dreifache Zeit bedeutet. Die Streikmaßnahmen werden immer sehr kurzfristig angekündigt, um den Managern keine Möglichkeit zu geben sich darauf einzustellen. Zuletzt wurde am 15.Januar vier Stunden gestreikt, um die Verhandlungen am folgenden Tag vorzubereiten.
Die Aktionen der Kolleg:innen haben die Manager offenbar etwas beeindruckt. Am 16.1. kam die sog. Arbeitgeberseite mit einem deutlich verbesserten Angebot auf die Delegation von Betriebsrat und Gewerkschaft zu. Es gibt noch viele offene Fragen, die in den nächsten Wochen geklärt werden müssen, und ob das alles einvernehmlich geht, ist noch offen.
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