Was ist besser, besonders für Frauen?
von Ayse Tekin
Alle sind für die Viertagewoche – fast alle! So viel Zustimmung hat ein Vorschlag der Gewerkschaften bisher kaum gefunden.
Jede liest die Sache natürlich anders: Die positiven Erwartungen reichen von der Entlastung der Umwelt durch weniger Fahrten zur Arbeitsstelle und damit weniger CO2-Ausstoß bis zum Motivationsschwung der Beschäftigten, der die Produktivität und im Endeffekt Profitabilität der Unternehmen erhöht. Auch sog. Frauenzeitschriften begrüßen die Idee, weil sie den Frauen zugute komme, die dadurch Beruf und Familie besser unter einen Hut kriegen.
Ist das tatsächlich so? Ist eine Viertagewoche wünschenswert? Für viele zweifellos. Allerdings gibt es auch andere Vorstellungen, die Frauen im Beruf und bei sonstigen Verantwortlichkeiten besser entlasten würden und mehr mit ihren umfassenden Wünschen und Träumen zu tun haben.
Die Ausgangslage
Einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung zufolge wollen »81 Prozent der Vollzeitbeschäftigten die Viertagewoche«. Die Gewerkschaften fordern seit Jahrzehnten eine Verkürzung der Arbeitszeit, seit 1978 wird dafür in gemeinsamen Aktionen gekämpft, aber leider ist sie immer noch nicht in ausreichendem Maße durchgesetzt.
Laut dem Statistik-Portal Statista beträgt die wöchentliche Arbeitszeit für Vollzeiterwerbstätige 40,5 Stunden. Berücksichtigt man die Teilzeitarbeit, reduzierte sich die wöchentlich geleistete Arbeitszeit im Jahr 2022 auf 35,3 Stunden. Damit hat die jetzige Wochenarbeitszeit keine Wirkung auf die Organisation des täglichen Lebens: Das läuft leider immer noch so, dass Frauen deutlich mehr Haus- und Pflegearbeit, auch Reproduktions- oder Carearbeit genannt, leisten als Männer.
Zahlen des Statistischen Bundesamts zufolge hat Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Ländern die dritthöchste Erwerbstätigenquote von Frauen: 2022 gingen 73,6 Prozent der Frauen im Alter von 15 bis 65 Jahren einer bezahlten Arbeit nach, davon allerdings 49,2 Prozent in Teilzeit. Von diesen Teilzeitlerinnen gaben 41 Prozent »persönliche und familiäre Verpflichtungen« als Grund für ihre Entscheidung an. Trotz jahrzehntelanger Diskussion über die Rollenverteilung bei der Organisation der Reproduktion werden immer noch mehrheitlich die Frauen als Hauptverantwortliche für Haus-, Pflege- und Erziehungsarbeit gesehen.
Sorgearbeit und Erwerbsarbeit
Die Erwerbsbeteiligung und der Umfang der geleisteten Sorgearbeit stehen in direkter Abhängigkeit zu einander: Übernimmt der Mann Betreuungsaufgaben oder Hausarbeit von der Frau, wirkt sich dies unmittelbar auf die Erwerbsbeteiligung beider aus – und damit langfristig auf ihre gesamte Erwerbsbiografie. Die individuelle Last der Sorgearbeit hängt dabei sowohl von der Aufteilung von Hausarbeit und Kinderbetreuung unter den Partnern als auch von öffentlichen Unterstützungsangeboten ab.
In der Corona-Zeit, wo Frauen und Männer mehr zu Hause waren bzw. zu Hause Erwerbsarbeit gemacht haben, hat sich an der Aufteilung wenig geändert. Der Dritte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung kommt zum Schluss, dass sich im Homeoffice der Umfang der Sorgearbeit nochmal zulasten der Frauen verschoben hat.
Eine Expertise für das Gutachten der Sachverständigenkommission zeigt anhand des Gender-Care-Share (Aufteilung der Sorgearbeit unter den Geschlechtern), wie die Aufteilung der Sorgearbeit sich verändert, wenn ein Elternteil oder beide Eltern ihren Arbeitsplatz nach Hause verlegen: Dann erledigen die Frauen 66 Prozent der Care-Arbeit und Männer 34 Prozent. Ihre Schlussfolgerung: »Die gerechte Verteilung von Sorgearbeit bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die auf vielen Ebenen angesetzt werden muss. So müssen zum Beispiel Geschlechterstereotype abgebaut werden, die Frauen eine ›natürliche‹ Begabung für Sorgearbeit zuschreiben.«
Der Vierstundentag
Diese offiziellen Ergebnisse belegen, wie realitätsfremd die Vorstellung ist, Sorgearbeit und Vollzeittätigkeit beider Partner seien miteinander vereinbar. Sie zeigen aber auch, dass das herrschende System für eine andere Organisation des Lebens nur wenig Möglichkeiten lässt, solange das Rollenmodell in der Gesellschaft sich nicht oder kaum ändert.
Deshalb müssen Mann und Frau nicht nur für eine Verkürzung der Arbeitszeit kämpfen, sondern auch für eine andere Art, wie wir leben wollen.
Wie es besser organisiert werden kann, wurde in der Frauenbewegung vielfach breit diskutiert, Frigga Haug hat dazu eine Utopie formuliert: die Vier-in-Eins-Perspektive. Die Voraussetzung dafür ist aber nicht die Viertagewoche sondern der Vierstundentag.
Haug skizziert eine grundlegend andere Arbeitsteilung in vier Bereichen der menschlichen Tätigkeit. Wenn eine andere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums vorgenommen werden würde, würde die Effizienz der Produktionsmittel ausreichen, um mit vier Stunden bezahlter Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen. Sie teilt die 16 Stunden des Tages – die restlichen acht Stunden gehören dem Schlaf – in vier mal vier Stunden ein und ordnet sie in Blöcke aus beruflichen Aktivitäten, Pflege und Erziehung, persönlicher Entwicklung und politischen Aktivitäten.
Sie betrachtet den Aufwand für den Fortbestand der Gattung, also Kinderbetreuung und Bildung, als unverzichtbare Erfahrungen für die Entwicklung des Einzelnen. Diese individuelle Erfahrung muss durch soziale Verantwortung unterstützt werden, damit Zeit für andere Lebensbereiche bleibt, etwa für die persönliche Entwicklung sowie für kulturelle und politische Aktivitäten. Deshalb kann auf gesellschaftliche, professionelle Dienstleistungen in der Kinder-, Patienten- und Altenpflege nicht verzichtet werden, auch wenn es sich dabei um einen individuellen Beitrag handelt.
All diese Aktivitäten sind notwendiger und gesellschaftlich wertvoller Teil der persönlichen Entwicklung des Menschen. In der Konsequenz sollten vier Stunden Mehrwertarbeit (Erwerbsarbeit) geleistet und bezahlt werden, um alle diese Bedürfnisse zu erfüllen. Dieses Ziel ist nur mit einer radikaleren Arbeitszeitverkürzung – um mindestens die Hälfte – und mit einer anderen Verteilung des Sozialeinkommens möglich. Durch die Verkürzung der Arbeitszeit steigt die Zahl der Beschäftigten, und da jede und jeder einen bezahlten Job hat, tragen auch alle zur unbezahlten Hausarbeit bei. Damit bleibt Zeit für persönliche Weiterentwicklung und Engagement für Politik.
Das Neue an der 4-in-1-Perspektive besteht in der Anordnung der vier Tätigkeitsbereiche – Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit, Kultur, Politik – in vier zeitlich gleich große Blöcke, die einander nicht über- oder untergeordnet sind. Damit sind sie gleichwertig. Solange Erwerbsarbeit, Zuwendungsarbeit, kulturelle Selbstentwicklung und Politik jeweils getrennt verfolgt werden, entstehen Interessenkonflikte. Ihre Verknüpfung hingegen setzt eine andere politische Dynamik frei.
Es ist sinnvoll und notwendig, nicht nur über eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung nachzudenken und zu streiten, sondern über eine Umverteilung der gesamten Lebenszeit und aller Tätigkeiten. Eine reine Lohnarbeitszeitverkürzung, so erstrebenswert diese auch ist, wird allein die oben genannten Probleme nicht lösen. Deren Lösung muss aber unbedingt mitgedacht werden.
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