Wirtschaftliche Perspektiven und Planungssicherheit gefordert
Gespräch mit Berit Thomsen (AbL)
Berit Thomsen ist Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (AbL).
Die AbL ist eine Interessenvertretung für konventionell und ökologisch wirtschaftende Betriebe. Mit Berit Thomsen sprach Gerhard Klas
Obwohl die Bundesregierung eingelenkt hat, an der Steuerbefreiung für landwirtschaftlich genutzte Kraftfahrzeuge festhält und die Subventionen für Agrardiesel nicht auf einen Schlag, sondern schrittweise abschaffen will, will der Deutsche Bauernverband weiter protestieren. Wie steht die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft dazu?
Die Streichung der Agrardieselsubvention trifft die Bäuerinnen und Bauern in einer wirtschaftlich äußerst angespannten Situation. Dann noch beim Einkommen den Rotstift anzusetzen, verschärft die Lage. Allerdings ist diese Streichung – auch wenn sie jetzt schrittweise durchgeführt wird – nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Der Deutsche Bauernverband will über das Fass nicht reden. Aber genau da liegt die Ursache: Eine jahrzehntelang exportorientierte Agrarpolitik hat dazu geführt, dass die Betriebe unter einem immensen Kostensenkungsdruck wirtschaften mussten. Es brauchte und braucht billige Produkte, damit die Lebensmittelindustrie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist.
Der Bauernverband hat die Exportorientierung immer mit unterstützt. Damit hat er zumindest wissentlich hingenommen, dass viele Betriebe diese Billigpreisentwicklung nicht überstehen werden.
Wer leidet unter den Maßnahmen – eher die Großbetriebe oder die Familienhöfe und Kleinbauern?
Ein großer bis sehr großer Betrieb muss natürlich ein gesteigertes Interesse daran haben, dass die Steuererleichterungen weiter bestehen. Der Bauernverband vertritt entgegen seinen Beteuerungen auf jeden Fall die Interessen der großen Betriebe und hat die Agrarpolitik bis jetzt maßgeblich in diese Richtung beeinflusst.
Die Initialzündung für die Proteste kam deshalb vom Bauernverband, wohl wissend, dass die Masse der Betriebe die Proteste mittragen und antreiben wird, weil sich hier eine generelle Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation Bahn bricht, die nur vordergründig mit den Kürzungen zu tun hat.
Sind bestimmte Betriebe dadurch in ihrer Existenz gefährdet?
Ein Wegfall wäre in den meisten Fällen nicht existenzbedrohend. Das wäre dann der Fall, wenn sich ein Betrieb schon in einer wirtschaftlich instabilen Lage befindet. Das Höfesterben, das wir seit vielen Jahren beobachten, wird dadurch nicht angeheizt.
Eine Milchbäuerin hat das für ihren Betrieb durchgerechnet und sagt: Wenn sie einen halben Cent mehr Milchgeld bekäme, dann hätte sie die Agrardieselsubvention wieder raus. Und ich habe auf den Protesten Stimmen von Bäuerinnen und Bauern gehört, die gesagt haben: Wir wollen vom Verkauf unserer Produkte leben und nicht von Subventionen.
Die Politik hat Instrumente, die sie aktivieren kann. Preis, Qualität, Laufzeit und Menge der Produkte sollten vorab festgelegt werden. Dadurch hätten die Bäuerinnen und Bauern eine bessere Marktstellung gegenüber der Lebensmittelindustrie.
Aktuell ist es so, dass Bauernhöfe ihre Milch abliefern und erst sechs Wochen später erfahren, was sie dafür bekommen. Das sind Restgeldempfänger. Das gibt es in keinem anderen Wirtschaftszweig und hat mit Markt überhaupt nichts zu tun. Also: Die Politik muss liefern.
Wer treibt die Proteste an und welche Interessen stehen dahinter?
Die Proteste werden vom Deutschen Bauernverband zusammen mit »Land schafft Verbindung« koordiniert. Es ist richtig und nachvollziehbar, dass die Bäuerinnen und Bauern auf die Straße gehen. Es wäre jetzt immens wichtig, dass beide Verbände grundlegende agrarpolitische Änderungen fordern.
Die Borchert-Kommission mit ihren Empfehlungen für einen Umbau der Tierhaltung oder die Zukunftskommission Landwirtschaft haben wegweisende Forderungen vorgelegt. Sie werden vom Bauernverband, von der AbL, von zivilgesellschaftlichen Organisationen gemeinsam getragen, also von einer beeindruckenden Breite der Verbände. Jetzt gibt es die Chance, sie ins Zentrum der Forderungen zu stellen.
Kann es eine ökologische und klimafreundliche Agrarwende geben, wenn am Dieselprivileg festgehalten wird?
Es kann eine ökologischere und klimaverträgliche Agrarwende geben, wenn Planungssicherheit für die Betriebe hergestellt wird. Wie sehen die Tierwohlställe der Zukunft aus? Wie können die Ställe umgebaut werde? Wie wird sichergestellt, dass höheren Arbeitskosten und die damit verbundenen Investitionen mit langfristigen wirtschaftlichen Perspektiven einhergehen?
Durch die Weidehaltung wird CO2 im Boden gespeichert. Das ist eine Senke. Wie kann das teurere Haltungssystem honoriert werden? Aktuell ist es so, dass Betriebe, die Weidemilch liefern, kaum mehr bekommen als Betriebe mit ganzjähriger Stallhaltung. Bei den Zahlungen aus der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU spielt die Weidehaltung keine Rolle – das kann die Politik jetzt ändern.
Der Diesel macht den Kohl nicht fett, aber ein anderes landwirtschaftliches System mit wirtschaftlichen Perspektiven für Bäuerinnen und Bauern schon. Trotzdem kann auch beim Diesel angesetzt werden.
E-Trecker sind noch nicht serienreif. Es braucht also Innovation und Förderung für die Betriebe.
Wie könnte eine Alternative aussehen?
Natürlich ist es wichtig, dass wir die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen auch in der Landwirtschaft verringern und mittelfristig beenden. Bis jetzt gibt es aber noch keine wirklichen Alternativen zu diesen Antriebsstoffen bei großen Arbeitsmaschinen.
Ein Wegfall des Dieselprivilegs würde sicherlich die Einsparungsbemühungen vorantreiben. Die Möglichkeiten reichen hier von der kritischen Überprüfung des eigenen Verhaltens über technische Veränderungen bis zum Einsatz und der Neuentwicklung pflanzlicher Antriebsstoffe. Bei letzterem muss die Flächenkonkurrenz zum Nahrungsmittelanbau im Auge behalten werden.
Insgesamt ist der Bereich der fossilen Antriebsstoffe neben vielen anderen wie Biodiversität, Moorschutz, Zustand der Böden, Tierhaltung usw. aber nur ein Teil einer ökologischen und klimafreundlichen Agrarwende.
Die aktuelle Bundesregierung, aber auch die Vorgängerregierungen, haben zu viele Gelegenheiten verstreichen lassen, Planungssicherheit für die Betriebe zu schaffen und wirtschaftliche Perspektiven zu bieten.
Die Sauenhalter:innen bspw. müssen jetzt umbauen, weil der Kastenstand verboten wird. Dafür gibt es gute Gründe. Aber es ist noch völlig ungeklärt, wie das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz oder das Tierschutzgesetz für Sauenhaltung konkret aussehen wird. Auf der einen Seite gibt es den Druck umbauen zu müssen, auf der anderen die Unklarheit, wie die Auflagen in ein, zwei oder fünf Jahren genau aussehen werden und ob der neue Stall dann nicht schon wieder umgebaut werden muss.
Das sind zum Teil Investitionen in Millionenhöhe. Das führt zu Frust, Betriebe steigen deshalb auch aus der Produktion aus. Fast alle zwei Stunden gibt in Deutschland ein Betrieb auf, der Kühe oder Schweine hält.
Rechte Parteien und Organisationen wollen die Proteste nutzen, um ihren politischen Einfluss zu stärken und die Regierungskrise zu verschärfen. Mit welchen Mitteln und wie erfolgreich sind sie damit?
Wir haben alle mitbekommen, dass einige Aktionen nicht gut gelaufen sind. Die Ausgrenzung von extrem Rechten hat unzureichend stattgefunden, die Protestform war nicht konstruktiv. Aber die Protestspitze hat sich davon distanziert.
Ich habe von vielen Situationen gehört, dass übergriffige und undemokratische Beiträge in bäuerlichen WhatsApp-Gruppen oder bei Protesten von den Bäuerinnen und Bauern sofort unterbunden wurden. Sie machen den Rücken gerade. Wir müssen wachsam bleiben, keine Frage, aber wir dürfen auch nicht vorschnell alle über einen Kamm scheren.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat jetzt eine unfassbar große Verantwortung, er muss agrarpolitisch liefern und erste Schritte einleiten. Die Agrarverbände müssen darauf hinwirken, dass sich die Agrarpolitik insgesamt ändert für wirtschaftliche Perspektiven und Planungssicherheit für die Höfe.
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