Das Urteil des IGH in der Klage Südafrikas impliziert auch eine Verantwortung von Drittstaaten
von Shir Hever
Nachdem Südafrika eine Klage gegen den Staat Israel eingereicht hatte, in der dem Land Völkermord an den Palästinenser:innen im Gazastreifen vorgeworfen wurde, erließ das Gericht am 26.Januar eine vorläufige Entscheidung in einer Rechtssprache, die bereits unterschiedlich interpretiert wurde. Die israelischen Medien haben sogar Desinformationen verbreitet, als ob das Gericht entschieden hätte, dass kein Völkermord stattfinde und das Gerichtsverfahren beendet sei, um das israelische Militär zu beruhigen, dass die weitere Tötung von palästinensischen Zivilist:innen im Gazastreifen keine schlimmen rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen werde.
Das ist natürlich falsch, denn das Gericht hat noch nicht über das Verbrechen des Völkermords entschieden. Es hat jedoch eine vorläufige Entscheidung erlassen, die den Staat Israel bereits eindeutig und verbindlich dazu verpflichtet, Handlungen gemäß Artikel 2 der Internationalen Konvention zur Verhütung von Völkermord zu unterlassen. In den Wochen nach dem Beschluss haben die israelischen Streitkräfte ihre Angriffe auf Gebiete im Gazastreifen verstärkt, in denen palästinensische Zivilist:innen Zuflucht gesucht hatten, weil sie den Evakuierungsbefehl des israelischen Militärs befolgt hatten.
Diese Angriffe erfolgen in vollem Bewusstsein, dass sie den Tod zahlreicher unbeteiligter Zivilisten zur Folge haben werden. Israel hat sogar einen höchst illegalen Anschlag auf das Al-Sina-Krankenhaus in Jenin im Westjordanland verübt, indem es ein Team von Attentätern als medizinisches Team getarnt hat. Es steht daher außer Zweifel, dass die israelischen Behörden die Entscheidung des Gerichts ignorieren.
Die Entscheidung des Gerichts schafft jedoch nicht nur Verpflichtungen für den Staat Israel, sondern auch für Drittstaaten. Professor Jinan Bastaki von der New York University veröffentlichte eine juristische Analyse der vorläufigen Entscheidung des IGH. Ihre Analyse macht deutlich, dass Drittstaaten die gebotene Sorgfalt walten lassen müssen, um nicht in einen Völkermord verwickelt zu werden, und dass sie auf die israelischen Verstöße gegen die Gerichtsbeschlüsse mit Maßnahmen reagieren müssen.
Bastaki stellt auch klar, dass die Verantwortung im Verhältnis zur Stärke der politischen Beziehungen zwischen dem Staat Israel und den Drittstaaten steht. Staaten, die enge politische und handelspolitische Beziehungen zu Israel unterhalten – die USA, gefolgt von der Europäischen Union (insbesondere Deutschland) und Kanada – sind stärker verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sie nicht zu Israels Völkermord beitragen.
Komplizenschaft kann viele Formen annehmen, nicht zuletzt auch durch militärische Zusammenarbeit. Die größte palästinensische Menschenrechtsorganisation Al-Haq hat eine ausführliche juristische Analyse über die rechtliche Verpflichtung von Drittstaaten veröffentlicht, ein Militärembargo gegen Staaten einzuhalten, in denen die Gefahr von Kriegsverbrechen und insbesondere die Gefahr von Völkermord besteht. Die Staaten sind verpflichtet, keine Waffen an Israel zu verkaufen, keine Waffen von Israel zu kaufen und keine Waffen nach Israel durchzuliefern. Diese Verpflichtung ist nach dem Zwischenurteil des IGH zweifelsfrei geklärt, da die Gefahr eines Völkermordes vom Gericht bestätigt wurde und dies eine verbindliche rechtliche Verpflichtung schafft.
Die belgische Regionalregierung von Wallonien hat die Ausfuhrgenehmigung für Sprengstoffe nach Israel widerrufen und damit den ersten Schritt einer europäischen Regierung zur Einhaltung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen unternommen. Spanien kündigte im Dezember an, dass es keine Waffen mehr an Israel verkaufen wird. In Großbritannien, in den Niederlanden und in Finnland wurden Klagen gegen die Regierung eingereicht, weil sie der Entscheidung des Gerichts nicht unverzüglich nachgekommen ist.
Die deutsche Regierung hat deutlich gemacht, dass sie beabsichtigt, die israelische Regierung zu unterstützen, selbst wenn Israel Völkermord begeht, und hat im November sogar die Exportgenehmigungen für Israel erhöht. Sie hat jedoch nicht die Möglichkeit, allein zu handeln, da sie Teil der Europäischen Union ist.
Hafenarbeiter, Flughafenangestellte und ihre Gewerkschaften in anderen EU-Mitgliedstaaten haben Erklärungen veröffentlicht, dass sie sich weigern werden, Waffen nach Israel durch ihr Gebiet zu transportieren. Wenn ein Schiff oder ein Flugzeug aus Deutschland angehalten und durchsucht wird und dabei festgestellt wird, dass es illegal gegen das Embargo verstößt und Waffen nach Israel liefert, sollten deutsche Beamte damit rechnen, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das Gleiche gilt für alle Beamten, die versuchen, sich über internationales Recht hinwegzusetzen, um einen Völkermord zu unterstützen.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.