Grundrechte in Gefahr
von Matthias Becker
Mit einer sog. Antidiskriminierungsklausel will die Berliner Landesregierung Kritik an der israelischen Politik unterbinden.
»Alle potentiellen Zuwendungsempfänger bekennen sich zu einer vielfältigen Gesellschaft und gegen jede Form von Antisemitismus gemäß der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und ihrer Erweiterung durch die Bundesregierung. Sie verpflichten sich darüber hinaus dazu, alles Notwendige zu veranlassen um sicherzustellen, dass die gewährten Fördergelder keinen Vereinigungen zugutekommen, die als terroristisch und/oder extremistisch eingestuft werden.«
Ende Dezember 2023 führte der Berliner Kultursenat handstreichartig diese Klausel ein. Die Selbstverpflichtung sollte zur Voraussetzung werden, um finanziell vom Land Berlin gefördert zu werden (was für die Mehrzahl der Kultureinrichtungen in der Hauptstadt eine Existenzbedingung ist). Kulturschaffende reagierten mit einem offenen Brief, den knapp 6000 Personen unterzeichneten. »Bekenntnisklauseln, wie sie hier vorgelegt werden, dienen einzig dazu, eine verwaltungsrechtliche Grundlage für Ausladungen und Absagen von Veranstaltungen mit israelkritischen Kulturarbeite:innen zu schaffen«, heißt es darin.
Von der Kritik aus der Kulturszene ließ sich der Senat nicht beeindrucken. Allerdings fiel Juristen der Landesregierung nach kurzer Zeit doch auf, dass die Formulierung zu viele unbestimmte Begriffe enthielt (»sich bekennen«, »alles Notwendige tun«…!) und daher bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung wirkungslos wäre. Drei Woche nach ihrer Einführung verschwand die sogenannte Antidiskriminierungsklausel wieder.
Doch der Berliner Senat gibt nicht auf: Unter Federführung der Justizverwaltung soll eine Arbeitsgruppe eine neue, nunmehr gerichtsfeste Version erarbeiten. Die mitregierende SPD schlägt eine Änderung der Landesverfassung vor: Die Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus soll zum Staatsziel erhoben werden, was es ebenfalls einfacher machen würde, Kultureinrichtungen die Förderung zu entziehen. Auch eine Änderung der Landeshaushaltsordnung ist im Gespräch.
»Der CDU geht es um eine politische Kontrolle von Kunst und Kultur«, kritisiert Elif Eralp, Abgeordnete der LINKEN. Sie befürchtet auch eine Diskriminierung von Künstlerinnen mit jüdisch-israelischem Hintergrund, die die Politik der israelischen Regierung kritisieren.
Gegen Diskriminierung, für staatliche Meinungskontrolle?
Der offene Brief der Kulturschaffenden »Für die Wahrung von Kunst- und Meinungsfreiheit« prangert die Antisemitismusdefinition der IHRA an. Die Jerusalem-Deklaration sei die bessere Alternative. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen Erklärungen besteht darin, ob der Aufruf zum Boykott Israels (und damit die BDS-Bewegung) als antisemitisch beurteilt wird. »Es ist zu erwarten, dass Antragsteller:innen in vorauseilendem Gehorsam bestimmte Gruppen und Personen von geplanten Projekten ausschließen«, heißt es in dem Brief. »Die Befürchtung ist, dass durch die vorliegende Antisemitismusklausel niemand geschützt, aber viele gefährdet werden.«
Nach den Antisemitismusvorwürfen gegen Kunstwerke bei der Dokumenta-Ausstellung im Jahr 2022 gab die Kulturstaatsministerin Claudia Roth ein juristisches Gutachten in Auftrag, um die Frage zu klären, welche »präventiven Maßnahmen … in der staatlichen Kulturförderung« erlaubt und geeignet sind, um Antisemitismus und Rassismus zu bekämpfen.
Verfasst wurde die Stellungsnahme von dem Verfassungsrechtler Christoph Möllers, der an der Humboldt-Universität lehrt. Ende März wurden Auszüge bekannt. Es sei prinzipiell möglich, schreibt Möllers, Kultureinrichtungen auf »nicht kunst- oder kulturimmanente weitere Ziele« zu verpflichten. Aber der politisch liberal orientierte Jurist warnt: »Eine solche Erweiterung des öffentlichen Auftrags legt die Errichtung einer Kontrollstruktur nahe, die ihrerseits missbrauchsanfällig ist und die die faktischen Spielräume öffentlicher Kunstinstitutionen auf eine problematische Art und Weise zugunsten politischer Einflussnahme einengen könnte.«
Möllers bezweifelt auch, ob der Staat »Zuwendungsempfänger auf ein Bekenntnis zu einer bestimmten Definition des Antisemitismus verpflichten kann«, weil dies in die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit eingreife. Bei den Antisemitismusklauseln geht es nicht nur darum, welche Kritik an Israel legitim ist. Es geht um Grundsatzfragen und Grundrechte.
Der Aufruf findet sich auf https://openletterberlinculture.net.
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