Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2024

Ein armenischer Résistancekämpfer in Frankreich
von Kai Böhne

Am 21.Februar 1944 wurde Missak Manouchian zusammen mit weiteren 25 Widerstandskämpfern auf dem Mont-Valérien hingerichtet. Unter den Toten waren 22 Mitglieder eines von Manouchian angeführten Partisanennetzwerks sowie drei bretonische Gymnasiasten, die wegen Freischärlertätigkeit verurteilt worden waren.

»Ich habe mich der Befreiungsarmee als freiwilliger Soldat angeschlossen und sterbe nur wenige Zentimeter vom Sieg und vom Ziel entfernt. Glück für diejenigen, die überleben und die Freiheit und den Frieden von morgen erleben dürfen.« Diese Sätze stammen aus einem Brief, den der armenische Résistancekämpfer Missak Manouchian (1906–1944) am Tag seiner Hinrichtung an seine Ehefrau Mélinée schrieb. Dann fuhr er fort: »Ich bin sicher, dass das französische Volk und alle, die für die Freiheit kämpfen, unser Andenken mit Würde zu ehren wissen.«

Der Mont-Valérien ist eine Festungsanlage auf einer kleinen Anhöhe zwölf Kilometer westlich von Paris. Die Festung diente der französischen Armee 1870/71 als Stützpunkt. Von 1941 bis 1944 nutzte die deutsche Besatzungsmacht die Festungsanlage als Hinrichtungsstätte. Über tausend Opfer wurden dort erschossen.
Schon am 26.Mai 2015 hatte die armenische Post Missak Manouchian auf einer 170-Dram-Sondermarke (MiNr.938) verewigt: stehend im Militärmantel mit dem Arc de Triomphe und einem roten Propagandaplakat im Hintergrund. Auf den Tag genau 80 Jahre nach seiner Hinrichtung, am 21.Februar 2024, erinnert auch die französische Post mit vier Briefmarken auf einem Sammlerbeleg an den Armenier, der nach Frankreich floh und dort gegen die deutschen Besatzer kämpfte.
Bereits ein Jahr zuvor kam Missak Manouchian die größte Ehre zuteil, die verstorbene Persönlichkeiten in Frankreich erlangen können: Seine Urne und die Urne seiner Ehefrau Mélinée wurden in die Pariser Ruhmeshalle Panthéon überführt.
Wer auf diese Weise geehrt wird, entscheidet der französische Präsident. Unter anderem ruhen die Philosophen Jean-Jacques Rousseau und Voltaire, die Schriftsteller Alexandre Dumas, Victor Hugo, Émile Zola und die Naturwissenschaftlerin Marie Curie im Panthéon auf dem Montagne Sainte-Geneviève, allesamt Berühmtheiten, die französische Kultur und Identität verkörpern. »Mit Manouchian ziehen alle Armenier, Italiener, Spanier und mitteleuropäische Juden ins Panthéon, die für die Befreiung ihr Leben gelassen haben«, äußerte der Historiker Denis Peschanski.

Wer war dieser Missak Manouchian? 1906 wurde er in der Stadt Adiyaman im Südosten der heutigen Türkei geboren. Als neunjähriges Kind musste er miterleben, wie seine Eltern beim Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich starben. Mit seinem Bruder konnte Missak nach Syrien fliehen, dort lebten beide in einem Waisenhaus. Im Libanon lernte Missak seine spätere Frau Mélinée kennen. Gemeinsam flohen sie 1925 zu Verwandten nach Frankreich. Missak arbeitete für einen Automobilhersteller und engagierte sich auf kultureller Ebene. Bei seiner Ankunft in Frankreich hatte er einige Hefte mit Gedichten im schmalen Gepäck. Mit Freunden gab er zwei literarische Zeitschriften heraus. 1934 trat er der Kommunistischen Partei Frankreichs bei. Daneben engagierte er sich in Hilfskomitees für Armenien und als Republikaner während des Spanischen Bürgerkriegs.
In einer Gruppe armenischer Kommunisten arbeitete er als Zeitungsredakteur und als Sekretär der Armenischen Volksunion, einer Sammelbewegung für linke Armenier. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs wurde Manouchian militärischer Leiter der Einwanderergruppe der kommunistischen Partisanenorganisation FTP/MOI des Bezirks Paris und beteiligte sich am militärischen Kampf. Seine Gruppe unternahm zahlreiche Anschläge gegen die deutsche Besatzungsmacht.
Im November 1943 wurde Manouchian verhaftet und gefangen genommen. Seiner Gruppe wurden 56 Anschläge zur Last gelegt. In einem spektakulären Prozess wurde er im Februar 1944 vor einem deutschen Kriegsgericht zum Tode verurteilt.
Im Frühjahr 1944 ließen die Vichy-Behörden und die nationalsozialistischen Besatzer zur Abschreckung tausendfach ein rotes Propagandaplakat mit den Porträts der verhafteten und hingerichteten Résistancekämpfer aufhängen.
Was als Mahnung gedacht war, wurde zum Symbol des französischen Freiheitskampfes. Der Dichter Louis Aragon schrieb ein Gedicht »L’Affiche rouge« (Das rote Plakat) über die Widerstandgruppe. Der Komponist Léo Ferré vertonte das Gedicht zu einem Chanson. So sei Manouchian durch die Poesie schon seit sechzig Jahren in das Kollektivgedächtnis der Franzosen eingezogen, meint der Historiker Denis Peschanski. Dies sei bedeutsamer als der Einzug ins Panthéon.

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