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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2024

von Oren Ziv
Bewaffnete israelische Siedler überfielen Mitte April mehr als ein Dutzend palästinensische Gemeinden unter dem Schutz der Armee und hinterließen eine Spur von Tod und Zerstörung.

Israelische Siedler haben im besetzten Westjordanland einen mörderischen Amoklauf gestartet, bei dem sie mindestens drei Palästinenser töteten und in mehr als einem Dutzend Dörfern und Städten Eigentum zerstörten.
Unmittelbarer Auslöser für die Angriffe war das Verschwinden von Binyamin Ahimeir, einem 14jährigen Israeli, der am Freitag, dem 12.April, von dem kürzlich "legalisierten" Außenposten Malachei HaShalom ("Engel des Friedens") aus zum Schafehüten ging. Als die israelischen Behörden am nächsten Tag Ahimeirs Leiche fanden und ihn zu einem Terroropfer erklärten, war der Amoklauf der Siedler in den umliegenden palästinensischen Gemeinden bereits in vollem Gange.

Nach Angaben der Menschenrechtsgruppe Yesh Din griffen israelische Siedler allein am Samstag elf palästinensische Dörfer und Städte an. Sie warfen Steine, setzten mehr als hundert Fahrzeuge in Brand, beschädigten zahlreiche Häuser und Geschäfte und schlachteten Hunderte von Tieren. Im Dorf Beitin in der Nähe von Ramallah erschossen Siedler den 17jährigen Omar Hamed. In Al-Mughayyir, etwas weiter nördlich, wurde der 25jährige Jihad Abu Aliya unter noch unklaren Umständen getötet. Siedler griffen das Dorf zu diesem Zeitpunkt an, doch die israelische Armee erklärte, Abu Aliya sei durch ihr Feuer getötet worden. Ein weiterer Vorfall, der von einer Überwachungskamera aufgezeichnet wurde, zeigt, wie israelische Soldaten Wache stehen, während Siedler in der Stadt Deir Dibwan, ebenfalls in der Nähe von Ramallah, ein Auto in Brand setzten

Khirbet al-Tawil
Die Pogrome setzten sich am Montag fort, als israelische Siedler zwei palästinensische Hirten – Abdelrahman Bani Fadel, 30, und Mohammed Ashraf Bani Jama, 21 – auf dem Land der Gemeinde Khirbet al-Tawil, östlich der Stadt Aqraba in der Nähe von Nablus, erschossen. Nach Aussagen von Dorfbewohnern betrat eine große Gruppe von Siedlern, von denen einige bewaffnet waren, gegen 16 Uhr mit einer Kuhherde palästinensisches Privatland in der Nähe der Häuser der Bewohner
(Siedler ziehen Kühe zunehmend Schafen und Ziegen vor, weil sie mehr fressen und schwerer zu erschrecken sind). Später trafen weitere Siedler ein, einige von ihnen bewaffnet und maskiert. Auch Soldaten trafen vor Ort ein.
Kurz darauf eröffneten laut Augenzeugen am helllichten Tag Siedler das Feuer auf die Palästinenser und töteten die beiden Männer. Der IDF-Sprecher gab anschließend bekannt, die Schüsse seien nicht von Soldaten abgegeben worden. Der Vorfall wurde auf der Facebook-Seite der benachbarten palästinensischen Stadt live übertragen; auf dem Video sind Dutzende von Schüssen zu hören, die mehr als eine Minute lang von mehreren Gruppen abgegeben werden.

Nidal, dessen Cousin Abdelrahman gestern getötet wurde und der am Tatort anwesend war, sagte zu +972: "Ich habe den Soldaten gesagt, sie sollen die Siedler rausschmeißen und wir werden gehen. Einige hatten Waffen und Knüppel, andere waren maskiert." Laut Nidal hat einer der Siedler dann einen der Palästinenser mit Pfefferspray angegriffen, woraufhin es zu einer Schlägerei kam. "Die Soldaten schossen in die Luft, und Sekunden später feuerten die Siedler mit M16-Gewehren aus nächster Nähe", sagte er. "Ich lebe hier seit 35 Jahren - hier gibt es kein Gesetz. Die Siedler stehen über dem Gesetz." Die Soldaten sahen zu und griffen nicht ein.

Im Moment sieht es so aus, als ob die israelischen Behörden den Vorfall ernst nehmen: Das Militär ließ die Leichen nicht abtransportieren und übergab sie stattdessen dem Nationalen Zentrum für Gerichtsmedizin zur Autopsie, die es der Polizei theoretisch ermöglicht, die Schützen zu identifizieren. Am Dienstagmorgen wurden Beamte der gerichtsmedizinischen Abteilung der Polizei am Tatort gesehen, die Beweise sammelten und die Gegend fotografierten.
Die Chancen, dass ein gewalttätiger Siedler nach israelischem Recht vor Gericht gestellt wird, sind jedoch äußerst gering: Seit 2005 kam es nur in drei Prozent der von der israelischen Polizei im Zusammenhang mit Siedlergewalt eröffneten Verfahren zu einer Verurteilung. Auf unsere Anfrage nach einem Kommentar teilte die Polizei gegenüber +972 mit, dass es bisher keine Verhaftungen im Zusammenhang mit dem Vorfall gegeben habe.

Im Trauerzelt im Zentrum von Aqraba erzählte Maher Bani Fadel, der Vater von Abdelrahman, am Dienstag gegenüber +972 von dem Vorfall. "Zuerst kamen sie – vier Siedler mit ihrem Vieh – und gingen in den Olivenhain in der Nähe der Häuser", sagte er. "Sie riefen nach weiteren Siedlern, ein paar Dutzend kamen, und sie warfen Steine auf uns. Wir waren etwa 20 Leute, und vier oder fünf
Soldaten waren anwesend. Die Siedler feuerten mit scharfer Munition auf uns, vielleicht 30-40 Kugeln, aus einigen Metern Entfernung. Viele von ihnen hatten Waffen; ich weiß nicht, welche von ihnen geschossen haben. Es ist eine neue Waffe, die sie von [dem israelischen Minister für nationale Sicherheit Itamar] Ben Gvir erhalten haben.
"Als die Armee die beiden Leichen sah, begannen sie, [die Siedler und die Palästinenser] zu trennen", fuhr Maher fort und fügte hinzu, dass er bei dem Vorfall mit einem Knüppel und einem Stein getroffen wurde. Vor der Schießerei "haben wir [den Siedlern] gesagt, dass sie nicht hier sein dürfen. Sie sagten, die Regierung habe ihnen die Erlaubnis erteilt, aber das Land gehöre unseren Eltern und Großeltern".

Der Bürgermeister von Aqraba, Saleh Jaber, der vor der Schießerei am Tatort eintraf, erklärte gegenüber +972: "Anwohner riefen mich an und sagten, in der Nähe der Häuser befände sich eine Viehherde. Wir haben die Zivilverwaltung [den bürokratischen Arm der israelischen Besatzung] kontaktiert, aber die Polizei kam erst nach dem Mord."
Der Sprecher der IDF teilte nach dem Vorfall mit, dass die Soldaten nach Berichten über einen Angriff von Palästinensern auf einen jüdischen Schafhirten in dem Gebiet eingetroffen seien. Jaber weist diese Darstellung der Ereignisse zurück und stellt klar, dass es Siedler waren, die den Angriff initiierten. "Es stimmt nicht, dass die Schafhirten angegriffen haben", sagte er. "Ich war dort und es gab keinen Angriff der Hirten. Die Siedler, die geschossen haben, waren in Zivil gekleidet und mit M16-Gewehren bewaffnet. Die Soldaten feuerten zuerst in die Luft und dann feuerten die Siedler [auf die Palästinenser]. Die Soldaten standen daneben und griffen nicht ein.

"Sie nähern sich aus drei Richtungen"
Vor etwa einem Monat erschossen israelische Soldaten den palästinensischen Hirten Fakher Jaber, 43, in derselben Gegend. Laut einer von Haaretz veröffentlichten Zeugenaussage saß Jaber unter einem Baum, als er erschossen wurde. Auch damals behauptete der IDF-Sprecher, dass die Armee nach einem Bericht über einen Angriff auf einen Siedler am Tatort eintraf.
Dror Etkes, ein Forscher der Organisation Kerem Navot, die die Übernahme palästinensischen Landes durch Israel im Westjordanland genau beobachtet, bestätigte, dass der Angriff auf privatem palästinensischem Land stattfand. In den letzten Jahren sind in dem Gebiet zwei Außenposten der Siedler auf palästinensisches Land eingedrungen: "Jackson's Farm" in der Nähe der Siedlung Gitit und "Itamar Cohen's Farm" im Norden. "Die Siedlungen, Außenposten, Schießzonen und die Ausweisung von Staatsland nähern sich Aqraba und den Gemeinden in diesem Gebiet aus drei Richtungen", so Etkes gegenüber +972. "Die Gemeinden haben viel fruchtbares Land, so dass sie ein Ziel für Plünderungen geworden sind."

Letzten Monat erklärte der Staat 8160 Dunam (rund 2000 Hektar) Land in Aqraba zu "Staatsland", ohne das Land, auf dem die beiden Hirten am Montag erschossen wurden. Jaber zufolge hat sich die Übernahme von palästinensischem Land in diesem Gebiet unter der rechtsextremen israelischen Regierung beschleunigt. "Ihr Ziel ist es, sich das gesamte Land im Jordantal anzueignen", sagte er. "Was [am Montag] passiert ist, ist das direkte Ergebnis der Schikanen der Siedler und der Landenteignung."

Duma
Eine weitere palästinensische Stadt, die schwer von Siedlerangriffen betroffen wurde, war Duma. Nach Angaben von Einwohnern, die mit +972 sprachen, stürmten rund 200 Siedler – viele von ihnen maskiert und einige von ihnen bewaffnet – die Stadt kurz nachdem die Leiche des Teenagers Ahimeir gefunden worden war. Sie setzten Häuser, Autos und landwirtschaftliche Geräte in Brand und griffen die Bewohner an. Wie auf Videos zu sehen ist, waren auch Soldaten anwesend, die sogar Tränengas auf Palästinenser abfeuerten, die versuchten, die Siedler abzuwehren.
"Wenn sie nicht maskiert gewesen wären, hätte ich sie vielleicht erkannt", sagte Murad Dawabsheh, ein 52-jähriger Mann, Vater von fünf Kindern, über die Siedler, die am Samstag sein Haus angegriffen hatten. Vor dem 7. Oktober arbeitete er als Bauarbeiter in einer der nahe gelegenen Siedlungen. Während des Gesprächs mit +972 saß er vor seinem verbrannten Garten und bot den besuchenden Gratulanten etwas von dem an, was er von den geschwärzten Pflanzen bergen konnte.

Neben dem Garten brannten die Siedler auch ein kleines Gebäude neben seinem Haus nieder, das als Büro und Lagerraum diente, sowie ein Lager mit Holzbrettern im Wert von Tausenden von Schekeln. Die Angreifer versuchten auch, die Eingangstür des Hauses mit Kleidern und Schuhen in Brand zu setzen, die sie in der Nähe gefunden hatten. "Es waren Soldaten bei ihnen", erzählte Murad. "Als ich sie kommen sah, ging ich ins Haus. Später öffnete ich kurz die Tür, goss Wasser aus und schob die brennenden Kleider mit dem Fuß weg. Die Siedler kamen fünfmal zurück."
In seinem ehemaligen Büro zündeten Siedler zahlreiche Bücher an, darunter religiöse Bücher und Gedichte. "Das ist mein Archiv", klagte er. "Wer verbrennt Bücher? Ich verstehe Hebräisch, ich hörte, wie sie sich gegenseitig befahlen, das graue Haus [das Hauptgebäude, in dem sich Dawabshehs Familie versteckt hielt] niederzubrennen. Ich hatte keine Zeit, um mich selbst zu fürchten, ich hatte Angst um meine Frau und meine Kinder."

Der Vorsitzende des Stadtrats, Hussein Dawabsheh, erklärte gegenüber +972, dass nach ersten Informationen drei landwirtschaftliche Gebäude und sieben Häuser teilweise und fünf Häuser vollständig verbrannt seien. Fünfzehn Fahrzeuge, ein Bagger und drei Traktoren, Ackerland und Olivenbäume wurden ebenfalls in Brand gesetzt.
"Wir sind alle in Gefahr, wenn die Armee mit den Siedlern kommt", sagte er. "Die Siedler sind in einer großen Gruppe gegangen. Die Älteren gaben den Jüngeren Anweisungen – wohin sie gehen und was sie verbrennen sollten." Laut Hussein hinderte das Militär während des Angriffs Feuerwehrfahrzeuge und Krankenwagen daran, das Dorf zu betreten.

Die meisten Schäden bei dem Angriff auf Duma entstanden im Viertel Khalat al-Dara, das parallel zur Alon-Straße liegt, die das Gebiet von Ramallah mit dem Jordantal verbindet. Am Sonntag stand Mohammed Salawdeh in seiner Werkstatt und begutachtete die umfangreichen Schäden. Hier, wie auch in anderen Häusern, waren in verschiedenen Ecken des Hauses Stroh- und Reisighaufen zu sehen - Beweise für die Versuche der Siedler, das Gebäude in Brand zu setzen.
Als der Angriff begann, floh Salawdeh in ein anderes Haus in einem sichereren, zentraleren Teil des Dorfes. "Auf dem Weg dorthin sahen wir bewaffnete Leute – einige mit Benzinflaschen und Molotowcocktails, andere in Militäruniformen –, die von der Armee bewacht wurden. Wenn jemand versuchte, [das Dorf] zu verteidigen, wurde er erschossen."

Nur wenige Meter von Mohammeds Haus entfernt stehen die verkohlten Überreste des Hauses seines Verwandten Anwar Salawdeh. Das elegante Haus, das der 27-jährige Anwar erst vor kurzem fertiggestellt und eingerichtet hatte, wurde von Siedlern in Brand gesetzt und schwer beschädigt.
"Ich verließ die Schule um zu arbeiten, als ich 13 Jahre alt war, und habe seitdem gespart, bis ich ein Haus bauen konnte", sagte Anwar mit gedämpfter Stimme gegenüber +972. "Zum Zeitpunkt des Angriffs arbeitete ich in Anata [einer palästinensischen Stadt in der Nähe von Jerusalem]; ich bin erst heute zurückgekommen."
Die Kosten für den Bau des Hauses beliefen sich auf etwa 150.000 NIS (etwa 40.000 US-Dollar). "Ich habe noch weitere 100.000 NIS an Krediten. Ich habe 2020 mit dem Bau des Hauses begonnen und es dieses Jahr fertiggestellt, mit der Absicht zu heiraten und hier zu leben", fuhr Anwar fort und zeigte mir Fotos des Hauses, bevor es zerstört wurde.

Anderswo in der Nachbarschaft blieb Mohammed Rashid Dawabsheh, um sein Haus während des Angriffs zu schützen, nachdem seine Frau Abir mit ihren vier Kindern und einem anderen Verwandten in einem Auto in Richtung Stadtzentrum geflohen war, als die Siedler ankamen. "Als ich im Auto saß, sah ich einen schwarz gekleideten Siedler, der das Feuer eröffnete", so Abir gegenüber +972.
Die untere Wohnung in dem Gebäude, das erst kürzlich renoviert worden war, wurde stark beschädigt: Die Fenster waren zerbrochen, und die Steine, die die Siedler in die zerbrochenen Fenster warfen, um brennendes Stroh hineinzuschieben, sind immer noch sichtbar. Während des Angriffs versteckte sich Mohammed im Treppenhaus des Gebäudes und blockierte mit einem Holzbalken die Tür. "Ich hörte sie sagen: 'Mach auf, du Mistkerl.' Ich versteckte mich dort, ging dann auf das Dach und versteckte mich hinter einem Schrank."
Nach Angaben von Mohammed standen vier israelische Militärjeeps vor dem Haus, von wo aus sie Tränengas auf die Bewohner schossen, die versuchten, sich und ihr Eigentum zu schützen. Zahlreiche Tränengaskanister waren in der Umgebung des Hauses verstreut zu sehen. "Drei Minuten nachdem meine Familie geflohen war, kamen [die Soldaten] hierher. Nach einigen Minuten gingen die Siedler weiter und ein Teil der Armee blieb hier. Die Soldaten machten den Weg für die Siedler frei und ließen sie angreifen." Auf der Straße in der Nähe seines Hauses befand sich immer noch eine von Siedlern errichtete Steinbarriere, "damit Krankenwagen und Hilfe nicht ankommen konnten", fügte Mohammed hinzu.

Das Dorf Duma geriet 2015 in Israel und weltweit in die Schlagzeilen, als ein israelischer Siedler, Amiram Ben Uliel, das Haus von Sa'ad und Riham Dawabsheh in Brand setzte und sie und ihren 18 Monate alten Sohn Ali tötete. Ahmad, der Bruder von Sa'ad, erlitt bei dem Anschlag schwere Verbrennungen. Seitdem hat es in dem Dorf keine Angriffe dieses Ausmaßes mehr gegeben, das Pogrom vom Samstag weckte nun traumatische Erinnerungen.
"Natürlich erinnert uns das an das, was der Familie Dawabsheh passiert ist", sagte Mohammed Dawabshe. Sein Haus hat, wie viele andere im Dorf, ein dickes Netz vor den Fenstern, um das Einwerfen brennender Gegenstände zu verhindern – eine Lektion aus dem Jahr 2015. "Es gibt keine Sicherheit, weder auf den Straßen noch zu Hause", fügte der Gemeindevorsitzende hinzu. "Wenn die Bewohner nicht geflohen wären, wären ganze Familien in ihren Häusern verbrannt."
Ein Sprecher der israelischen Armee erklärte gegenüber +972 die Präsenz der Soldaten in dem Dorf: "Am Samstag waren IDF-Kräfte in ganz Judäa und Samaria im Einsatz, um die Unruhen, die sich in dem Gebiet entwickelt haben, zu zerstreuen und das Eigentum und das Leben aller Zivilisten zu schützen. Jede Beschwerde über unangemessenes Verhalten von IDF-Soldaten wird wie üblich geprüft und entsprechend behandelt."
April 18, 2024

https://www.972mag.com/pogroms-west-bank-soldiers-settlers

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