Ein Aufruf von Kulturschaffenden aus aller Welt
dokumentiert

Strike Germany ist ein Aufruf an internationale Kulturschaffende, deutsche Kulturinstitutionen zu bestreiken. Es ist ein Aufruf, die repressiven Maßnahmen deutscher Kultureinrichtungen zurückzuweisen, die die freie Meinungsäußerung einschränken, insbesondere den Ausdruck von Solidarität mit Palästina.
Strike Germany verweigert deutschen Kulturinstitutionen Arbeit und Präsenz und verpflichtet sich zu den unten stehenden Forderungen. Bis diese Forderungen durchgesetzt sind, wird die Teilnahme an Festivals, Panels und Ausstellungen zurückgezogen.
Strike Germany hält am Einsatz für Befreiungsbewegungen fest – wider das deutsche Embargo gegen internationale Solidarität.
Der politische Kontext
Während die genozidale Militäraktion im Gazastreifen andauert – einer der tödlichsten Angriffe auf eine Zivilbevölkerung unserer Zeit – hat der deutsche Staat die Repression gegenüber der eigenen palästinensischen Bevölkerung sowie denjenigen, die sich gegen Israels Kriegsverbrechen stellen, verschärft. Demonstrationen in Solidarität mit Palästina wurden als antisemitisch vorverurteilt und immer wieder abgesagt, die Polizei hat Razzien in Räumen von Aktivist:innen und gewalttätige Festnahmen durchgeführt.
Diese reaktionäre Welle ist auch über den Kultursektor und die Wissenschaft hereingebrochen und hat zu einer Reihe von Entlassungen, Absagen, öffentlichem Doxxing [als Doxxing bezeichnet man die Veröffentlichung personenbezogener Daten] und offener Zensur geführt, wodurch Kritik am israelischen Staat wirkungsvoll zum Schweigen gebracht wurde. Zahllose unsichtbare Fälle werden durch prominente Skandale unterstrichen:
Die palästinensische Schriftstellerin Adania Shibli wurde von der Verleihung des Literaturpreises auf der Frankfurter Buchmesse ausgeladen; zwei Hauptsponsoren zogen sich aus dem Hannah-Arendt-Preis zurück, nachdem die Empfänger:in, die jüdisch-amerikanische Publizistin Masha Gessen, einen Artikel über Gaza veröffentlicht hatte; das Kulturzentrum Oyoun hat seine Weiterförderung verloren und wurde zur Schließung gezwungen, weil es eine Veranstaltung der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost ausgerichtet hat. Die meisten derjenigen, die öffentlich zum Ziel dieser Repression werden, sind palästinensische, arabische, jüdische, Schwarze und Braune Menschen.
Deutsche Waffenexporte nach Israel haben sich seit dem Start der Militärkampagne in Gaza verzehnfacht. Überwiegend ist der kulturelle und akademische Betrieb von öffentlichen Geldern abhängig. Das hat u.a.dazu geführt, dass die kulturelle Produktion mehr und mehr zu einem Ausläufer staatlicher Politik wird: Seit der Verabschiedung der Anti-BDS-Resolution 2019 durch den Deutschen Bundestag droht Kulturinstitutionen, die sich mit Palästina solidarisch erklären, der Verlust von Fördermitteln.
Die »deutsche Erinnerungskultur« – die nach der Wiedervereinigung verstärkte staatliche Initiative zur Aufarbeitung des deutschen Völkermords an Jüdinnen und Juden – fungiert hier als repressives Dogma und verstärkt die Unterdrückung, gegen die »echte Erinnerung« wirken sollte. Anstatt sich mit der eigenen rassistischen, zunehmend neofaschistischen Politik auseinanderzusetzen, beeilen sich deutsche Medien und Politiker:innen, die arabische und muslimische Bevölkerung in Deutschland für sogenannten »importierten Antisemitismus« verantwortlich zu machen.
Deutschland ist kein Einzelfall, doch hat kein anderer Staat die bedingungslose Unterstützung von Israel zur »Staatsräson« gemacht – und so schließlich zur Voraussetzung für die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben. Der Autoritarismus des deutschen Staats gegenüber Stimmen, die sich gegen Rassismus, Kolonialismus und Genozid einsetzen, darf sich nicht weiter etablieren.
Es ist an der Zeit: Strike Germany.
Unsere Forderungen:
- Die Freiheit der Kunst schützen
Wenn es um Israel/Palästina geht, sind Positionen von Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen Gegenstand von Background Checks geworden. Kulturinstitutionen durchsuchen soziale Medien, Petitionen, offene Briefe und öffentliche Erklärungen auf Solidaritätsbekundungen mit Palästina, um Kulturschaffende, die sich nicht der uneingeschränkten Unterstützung Deutschlands für Israel anschließen, zu isolieren. Dabei wird auch mit der Streichung von öffentlichen Fördergeldern gedroht. Diese Überprüfungen stellen einen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsrechte dar und ermöglichen de facto eine versteckte Form des Racial Profiling.
Strike Germany fordert Kulturinstitutionen auf, eine solche Kontrolle der politischen Einstellungen von Künstler:innen zu verweigern – und stattdessen auf ihrer Autonomie gegenüber staatlicher Politik zu beharren, kritischen Diskurs und Dissens zuzulassen. Sie müssen das Grundrecht auf Freiheit der Kunst sowie das Recht auf Meinungsfreiheit, Koalitionsfreiheit und Teilhabe am kulturellen Leben schützen. - Den Kampf gegen Antisemitismus fokussieren
Deutsche Kulturinstitutionen berufen sich in ihren internen Leitlinien auf die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die für ihre Unklarheit in bezug auf die Unterscheidung zwischen Antisemitismus und Kritik des Staates Israel stark kritisiert wird. Die IHRA-Definition wird zunehmend zum offiziellen staatlichen Grundsatz und zensiert faktisch Kritik am Staat Israel und antizionistische Sichtweisen im deutschen Kulturbetrieb. Das setzt eine gefährliche falsche Gleichsetzung fort, die letztlich dem Kampf gegen Antisemitismus schadet.
Strike Germany fordert, dass Kultureinrichtungen die präziseren Richtlinien der Jerusalem Declaration of Antisemitism (JDA) übernehmen, die als Reaktion auf die IHRA verfasst wurde… - Strukturellen Rassimus bekämpfen
[…] Obwohl viele Initiativen davor gewarnt haben, dass die Anti-BDS-Resolution von 2019 effektiv ein Instrument für strukturellen Rassismus werden würde, mit dem marginalisierte Positionen verzerrt, verleumdet und zum Schweigen gebracht werden, haben deutsche Institutionen sie ohne Widerspruch akzeptiert. Diese Resolution hat zu einem Klima von anti-arabischem Rassismus und Islamophobie beigetragen, das in der deutschen Gesellschaft ohnehin weit verbreitet ist.
Strike Germany fordert, dass sich deutsche Kulturinstitutionen für die Aufhebung der Anti-BDS-Resolution einsetzen und alle Formen von Rassismus gleichermaßen bekämpfen.
Call to Action
Strike Germany ruft Kulturarbeiter:innen dazu auf, den Aufruf zu unterzeichnen und Druck auf Institutionen auszuüben, damit sie sich für die obenstehenden Forderungen einsetzen.
Kulturarbeiter:innen, die innerhalb von Institutionen arbeiten, können die Forderungen von Strike Germany für Verhandlungen und zur Orientierung nutzen, um sich gegen Eingriffe in die Grundrechte zu organisieren. Internationale Institutionen können ihre Solidarität zeigen, indem sie sich weigern, mit deutschen Institutionen zusammenzuarbeiten, die nicht bereit sind, diese Forderungen zu erfüllen, und indem sie denjenigen, denen in Deutschland Ausdrucksmöglichkeiten genommen wurden, eine Plattform bieten.
Strike Germany richtet sich in erster Linie an internationale Kulturarbeiter:innen, die zu Ausstellungen, Festivals und Panels in deutsche Kultureinrichtungen eingeladen werden. Deutschland profitiert enorm von den Diskursen und Reflexionsräumen, die Kulturschaffende hervorbringen: Verweigert euch der Instrumentalisierung, Schikane und Disziplinierung durch den deutschen Staat.
Strike Germany ist ein Streik gegen antipalästinensischen Rassismus und Zensur in ihren ausgeprägtesten offiziellen Formen. Wo Gaza zerstört wird, ist die Verantwortung Kunstschaffender, für internationale Solidarität und für das Recht einzustehen, gegen das andauernde Massaker die Stimme zu erheben.
Der Aufruf hatte am 3.März über 1800 Unterschriften, darunter die von Annie Ernaux und Joachim Guillard, strikegermany.org.
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