Putin fühlt sich jetzt sicherer
von Angela Klein
Putin bleibt mit 88,5 Prozent der abgegebenen Stimmen Präsident (2018: 76,7 Prozent). Das ist nicht überraschend. Die hohe Wahlbeteiligung von 77,5 Prozent schon eher; sie soll laut dem russischen Exilmedium Meduza darauf zurückzuführen sein, dass die Präsidialverwaltung eine Wahlbeteiligung zwischen 70 und 80 Prozent als Ziel ausgegeben habe und die Behörden zu ungewöhnlichen Mitteln der Mobilisierung bis hin zum Zwang für Staatsbedienstete gegriffen hätten.
Das Wahlergebnis entspricht ziemlich genau der Zustimmungsrate, die das unabhängige russische Meinungsforschungsinstitut Lewada vor einem Monat für Putin ermittelt hatte: 86 Prozent. Sein Krieg hat ihm bislang nicht geschadet. Und in bezug auf die Entwicklung der russischen Wirtschaft scheint die Stimmung optimistisch.
Hiesige Mainstreammedien drücken vor dieser Realität gern die Augen zu. So etwa die Neue Zürcher Zeitung: Sie beschreibt Putins Wahlsieg als »unglaubwürdig«, die rekordhohe Wahlbeteiligung als »angeblich« und weiß, dass der Krieg gegen die Ukraine in Russland »nicht wirklich populär« ist. Dennoch kommt sie nicht umhin anzuerkennen: »Eine Mehrheit der russischen Bevölkerung dürfte trotz Krieg, Sanktionen und Repression nach wie vor hinter Putin stehen.«
Der Tagesspiegel wiederum weiß: »Putin wird Russland in den nächsten sechs Jahren in einen totalitären Staat verwandeln.« Früher nannte man das spöttisch Kreml-Astrologie.
Mehrfach trifft man auf den Satz: »Das Wahlergebnis rührt auch daher, dass es aus Sicht der Wähler keine Alternative gab.« Er geht zurück auf eine Umfrage, die das Forschungsprojekt Chronicles in Moskau in den vergangenen Monaten durchgeführt hat. Dabei wurden zwei verschiedenen Gruppen je eine verschiedene Frage gestellt: Was sie in Schlüsselfeldern der Politik gerne hätten und was sie von Putin erwarten. Das Ergebnis: Über die Hälfte der Antwortenden würde gern die Beziehungen zum Westen normalisiert sehen, doch nur 28 Prozent erwarten das von Putin. 58 Prozent würden einen Waffenstillstand mit der Ukraine unterstützen, nur 29 Prozent erwarten, dass Putin in einen einwilligt.
Wenn man weiß, wie bei uns Wünsche und Erwartungen an die Politik auseinanderfallen, scheint diese Diskrepanz nicht ein besonderes Merkmal einer Diktatur zu sein. Hierzulande jedoch wird mit aller Macht das Bild aufrechterhalten, das russische Volk wolle eigentlich etwas anderes als Putin. Daran konnte schon immer im Verlauf des Krieges gezweifelt werden. Der Chef von Lewada formulierte frühzeitig, seine Umfragen würden nicht die Mehrheit derer abbilden, die sich schlicht für den Krieg nicht interessieren. Solange Putin nicht eine allgemeine Mobilmachung anordnen muss, gibt es auch keinen Grund, warum sich das ändern sollte.
Wie stark ist die Opposition?
Von Protestaktionen vor den Wahllokalen wird berichtet, sie werden aber nicht näher quantifiziert und lokalisiert. Die noch bestehenden Antikriegsproteste werden als klein und zersplittert geschildert. Die Ausschaltung Nawalnys hat der gegen den Krieg gestimmten Opposition eine einigende Figur geraubt; auf eine gemeinsame Wahltaktik konnte sie sich nicht einigen.
Nawalny hatte vorgeschlagen, dass alle, die gegen den Krieg und gegen Putin sind, zur gleichen Zeit zu den Wahllokalen kommen und Schlangen bilden. Damit sollte verdeutlicht werden, wie viele Menschen mit ihm nicht einverstanden sind. Doch: »Es ist schwer zu beurteilen, ob diese Kampagne als Erfolg zu werten ist«, schreibt der russische Journalist Nikita Wassilenko auf Telepolis. »In Moskau bildeten sich mittags in vielen Wahllokalen Warteschlangen, in St.Petersburg etwas weniger, aber schon in der Region Moskau konnten wir beobachten, dass die Wahlen wie üblich abgehalten wurden – ohne jegliche Warteschlangen.«
»Außerhalb Russlands lagen die Dinge anders. Warteschlangen vor den Wahllokalen in den russischen Botschaften waren fast überall zu sehen, wo es eine Möglichkeit zur Stimmabgabe gab.« Aber waren das alles Putin-Gegner? Wassilenko ging auf dem russischen Konsulat in Bonn zur Wahl:
»Am Eingang wartete eine riesige Schlange auf mich, in der ich etwa zwei Stunden verbrachte … Während ich wartete, verließen die Leute das Konsulatsgebäude mit St.-Georgs-Bändern – ein Symbol der Putin-Anhänger – und russischen Flaggen. Das waren die meisten von ihnen. Viele trugen T-Shirts mit einem Porträt von Wladimir Putin. Natürlich gab es auch Leute, die mit Plakaten für den Frieden eintraten, und manchmal fuhren Autos mit ukrainischen Flaggen und Anti-Putin-Slogans vorbei. Aber vor dem Hintergrund von Putins Anhängern waren sie fast unsichtbar… Doch das Erschreckendste für mich war eine andere Beobachtung. Die Menschen, die Wähler mit gegenteiligen Ansichten bemerkten, sahen sich mit unverhohlenem Hass an. Das gilt übrigens auch für diejenigen, die Friedensparolen kundtaten.«
Kein Angebot?
Putin wird sich durch die Wahlen gestärkt fühlen. Er hat jetzt keine Angst mehr, von Krieg zu sprechen, von der Wahrscheinlichkeit eines Konflikts mit der NATO, vom Beschuss russischer Städte und auch von Nawalny selbst. Und je direkter die NATO in den Krieg um die Ukraine eingreift, umso leichter kann er das tiefsitzende Trauma vom Überfall des Westens auf Russland aktivieren – zum dritten Mal innerhalb von 200 Jahren.
Der Ausgang der Wahlen sollte in Berlin und Washington also Anlass zur Sorge geben. Danach sieht es aber nicht aus. Auf dem Online-Portal Defend Democracy berichtete Kyle Anzalone am 13.März, also kurz vor den Wahlen, Russland habe gegenüber Washington Ende 2023 und Anfang 2024 einen erneuten Vorstoß für einen Waffenstillstand entlang der damaligen Frontlinie unternommen, er beruft sich dabei auf die Agentur Reuters. Der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, habe den Vorschlag des Putin-Beraters Juri Uschakow abgelehnt. Die USA seien zu Gesprächen mit Moskau nur bereit, wenn Kiew zustimme. Es soll ein inoffizieller Kontakt gewesen sein.
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