Nicaragua verklagt die Bundesrepublik vor dem Internationalen Gerichtshof
von Hermann Dierkes
Nicaragua hat Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag wegen Beihilfe zum Völkermord in Gaza verklagt. Am 8. und 9.April 2024 fanden die Anhörungen statt. Mit einer Entscheidung wird bis Ende April gerechnet.
Am 26.Januar hatte der IGH bereits der Klage Südafrikas gegen Israel wegen Bruch der Völkermordkonvention und des humanitären Völkerrechts stattgegeben und festgestellt, Israels Kriegführung laufe »plausibel« auf Völkermord hinaus. Die Feststellung, ob Israel tatsächlich Völkermord begeht, dürfte jedoch noch Monate oder Jahre in Anspruch nehmen.
Nicaragua, das ebenso wie Deutschland die Völkermordkonvention unterzeichnet hat, beruft sich auf die Verpflichtung aller Unterzeichnerstaaten, Völkermord entgegenzutreten. Es klagt Deutschland an, diese zu missachten und sich an dem Völkermord durch Waffenlieferungen und alle erdenkliche Unterstützung für Israel zu beteiligen. Es hat – analog dem Verfahren Südafrika gegen Israel – Sofortmaßnahmen beantragt, die Deutschland auferlegt werden sollen:
– Stop der Waffenlieferungen,
– Sicherstellung, dass gelieferte Waffen nicht für völkermörderische Aktivitäten eingesetzt werden,
– Einhaltung des humanitären Völkerrechts,
– Rücknahme der Entscheidung, die UNRWA nicht mehr zu finanzieren,
– Mitwirkung, dass die schwerwiegenden Verstöße gegen zwingende Normen des Völkerrechts beendet werden.
Die beiden Anhörungstage wurden u.a. von Al Jazeera übertragen. Beide Seiten hatten jeweils mehrere internationale Juristen aufgeboten. Für Nicaragua gab dessen Botschafter in den Niederlanden, Gómez, eine zutreffende zusammenfassende Stellungnahme ab, für Deutschland die frühere BND-Vizepräsidentin Freifrau von Uslar-Gleichen. Diese lehnte – getreu der Regierungslinie – die Klage in Bausch und Bogen als unbegründet und extrem einseitig ab, erging sich in weißwaschender Phraseologie, halben und ganzen Unwahrheiten (»Deutschland hat aus seiner Vergangenheit gelernt«) und spielte das Ausmaß der Waffenexporte herunter – sie dienten überwiegend Ausbildungszwecken (»alle Waffenexporte würden sorgfältig geprüft, die Verfahren seien transparent und es sei sichergestellt, dass sie nicht rechtswidrig eingesetzt werden«).
Sevim Dagdelen (Bündnis Sarah Wagenknecht) hat als einzige Bundestagsabgeordnete die Anhörung vor dem IGH begleitet. Sie kommt in der Berliner Zeitung zu dem Schluss, die deutsche Verteidigung sei »wenig glaubwürdig« gewesen: »Der Verweis auf die spezifisch deutsche Unterscheidung zwischen Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern ist irreführend, da unter die Kategorie der sonstigen Rüstungsgüter durchaus auch Waffen fallen, die zur Kriegführung eingesetzt werden können.«
Kein Thema für die Verteidigung war auch, dass die BRD nach Angaben des Stockholmer SIPRI-Instituts im Jahr 2023 mit 47 Prozent gleich hinter den USA Israels zweitgrößter Waffenlieferant war und nach dem 7.10. seine genehmigten Waffenexporte an Israel (u.a. Munition für Sturmgewehre und Handfeuerwaffen, Panzergranaten, Munition für Schiffsartillerie, Panzermotoren und vielfältige Ersatzteile) verzehnfacht hat; diese liegen jetzt bei über 320 Millionen Euro. Kein Thema, dass die Bundeswehr der israelischen Besatzungsmacht schwere Kampfdrohnen zur Verfügung gestellt hat, die in Gaza eingesetzt werden.
Ein nachrangig gelagerter Fall?
Warum, so ist zu fragen, hat Deutschland gutbezahlte Juristen in den Ring geschickt, um seine rechtswidrige Politik zu verteidigen und nicht, um wahrheitsgemäß aufzuklären? »Die Bundesregierung«, so Sevim Dagdelen, »stellte die Zuständigkeit des Gerichts in Frage, da es mit Israel eine abwesende dritte Partei gäbe, und beharrte darauf, dass die vorherige Feststellung eines Völkermords und von Verletzungen des humanitären Völkerrechts erforderlich sei, um das Verfahren gegen Deutschland führen zu können.« Prozesstaktisch, so lautet unsere Meinung, ist das eine besonders schwache Argumentation, weil sie die Verpflichtung missachte, alles zu tun, um Völkermord zu verhindern und weil sie konträr steht zur Entscheidung des IGH vom 26.Januar, die einen »plausiblen Völkermord« festgestellt und Israel sechs Schutzanordnungen für die palästinensische Bevölkerung auferlegt hat.
Unehrlich war auch der Auftritt in Sachen Hilfsgelder für das Flüchtlingshilfswerk. Die deutschen Vertreter brüsteten sich damit, man zähle zu den größten Finanziers der UNRWA, die – nach unbewiesenen israelischen Behauptungen direkt nach dem 26.1. – gestoppten Zahlungen seien inzwischen wieder aufgenommen worden. Die Wahrheit ist: Zahlungen an die UNWRA wurden für deren Aktivitäten in Jordanien, im Libanon usw. wieder aufgenommen, aber ausdrücklich nicht für Gaza, wo die Not am größten ist und Israel offensichtlich Hunger als Kriegswaffe einsetzt.
12.4.24
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