Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Soziales 1. Mai 2024

…aber er muss für alle durchgesetzt werden
Gespräch mit Peter Feldmann

Wie in Frankfurt am Main ein Mietpreisstop für öffentlich-rechtliche Wohnungsgesellschaften durchgesetzt wurde.
Im Gespräch: Peter Feldmann, von 2012 bis 2022 Oberbürgermeister der Stadt

Im Jahr 2018 hat der Frankfurter Magistrat über die Wohnungsbaugesellschaft Nassauische Heimstätten einen Mietpreisstop verhängt für fünf Jahre. Wie kam es dazu?

Dieser Mietenstop basierte auf einer Entscheidung für die Allgemeine Wohnungsbaugesellschaft (ABG) zwei Jahre zuvor (2016), die nach Mieterprotesten gefällt wurde. Die ABG ist eine 100prozentige Tochter der Stadt, die Nassauische Heimstätte gehört überwiegend dem Land, zum geringeren Teil der Stadt.
Der Auslöser war, dass die ABG glaubte, sie müsse der Marktlage entsprechend die Mieten erhöhen, sonst könne sie die Abführung von damals 8 Millionen Euro an die Stadt nicht leisten. Der damalige Stadtkämmerer (jetzt Finanzstaatssekretär) hatte das gefordert, ebenso die Grünen, die damals den Planungs-, Bau- und Wohndezernenten stellten.
Der grüne Dezernent und die CDU haben eine große Angstkampagne gestartet und sogar ein Gutachten bei Freshfields in Auftrag gegeben, in dem vorgerechnet wurde, dass ein Mietenstop völlig unwirtschaftlich sein würde. Dazu wurde das Gespenst einer Wohnungsbaugesellschaft in Mainz bemüht, die pleite gegangen ist, angeblich weil sie etwas Ähnliches wie den Mietpreisstop versucht hätte. Bei einem Mietenstop wäre kein Geld mehr für Renovierung und Sanierung da, die Bauwirtschaft würde geschädigt. Schließlich wurde argumentiert, bei einem Einfrieren der Mieten würden diese nicht mehr in den Mietspiegel einfließen (was als einziges tatsächlich stimmte).
Es folgte dann eine ausführliche Diskussion mit Gewerkschaften und Mieterinitiativen. Letztlich war für uns Konsens: Wir wollen schon, dass das Mietniveau im Mietspiegel auftaucht, aber die Mietsteigerung darf 1 Prozent im Schnitt nicht überschreiten – gesetzlich zulässig sind 15 Prozent innerhalb von drei Jahren. Für diese Forderung wurden Tausende von Unterschriften gesammelt, Mieterräte gebildet, wir sind von Tür zu Tür gegangen und haben viele Straßenaktionen durchgeführt. Ich hab auch fleißig gesammelt…

Wie kam es denn, dass das Thema so hochgekocht ist?

Seit Jahrzehnten klagt die Frankfurter Bevölkerung über extrem hohe Mieten. Noch bevor ich 2012 erstmals zu den OB-Wahlen angetreten bin, gab es einen harten politischen Kampf gegen den Verkauf der Nassauischen Heimstätte. Damals wurde erstmals ein Mietpreisstop gefordert. Ich habe diese Forderung in Absprache mit den Initiativen und Gewerkschaften zu meinem zentralen Wahlkampfthema gemacht, hatte im Stadtparlament aber keine Mehrheit dafür. Die Mehrheit aus CDU und Grünen wollte aber gleichzeitig, dass ich ihren Haushalt unterstütze. Da hab ich gesagt: Das mache ich nur, wenn es einen Mietpreisstop bei der ABG und 100 Millionen Euro für den Wohnungsbau gibt. Dann würde ich ihren Haushalt situativ unterstützen – also von Fall zu Fall, wenn das die Lebenssituation der Menschen verbessert, keine generelle Unterstützung der schwarz-grünen Stadtregierung.
Die ABG, das sind fast 60000 Wohneinheiten, mal zwei plus Kinder betrifft das 150000–160000 Menschen. Wenn wir für die etwas ändern können, dass sie keine Angst mehr vor bösen Überraschungen haben müssen, dass sie ihre Gehaltserhöhung gleich an den Vermieter weiterleiten können, dann ist das gut.

Der Mietpreisstop galt zunächst für fünf Jahre. Was ist danach passiert?

2016 gab es zunächst einmal neue Kommunalwahlen. Ich habe zur SPD gesagt: Wenn ihr die Wahlen gewinnen wollt, müsst ihr die Mietenfrage zur Kernforderung erheben. Die Bevölkerung in Frankfurt hatte Angst, dass der erste Mietpreisstop nach der Wahl wieder kassiert würde. Ich habe argumentiert: Wenn die SPD sich auf den Mietenstop konzentriert und dabei das Bündnis mit den Gewerkschaften und den Initiativen sucht, fühlen sich die Menschen gestärkt, werden mutiger. Und sie finden endlich die alte SPD wieder, die die von früher kennen und die ihnen vertraut war.

Ist die Rechnung aufgegangen?

Ja, die SPD ist in die Stadtregierung gekommen.

Aber nicht in die Landesregierung.

Den Mietpreisstop bei der Nassauischen Heimstätte hat die Partei zwar nicht boykottiert, aber sie hat ihn auch nicht frohen Herzens unterstützt. Es wäre aber wichtig gewesen, ihn auch auf die Nassauische Heimstätte und auf die Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft bei der Landesbank Hessen-Thüringen (GWH) – mit 10000 Wohneinheiten die kleinste öffentliche-rechtliche Wohnungsbaugesellschaft in Frankfurt – anzuwenden. Man kann einen solchen Erfolg wie einen Mietpreisstop nicht aufrechterhalten, wenn man ihn nicht für alle Menschen durchsetzt. Man muss auf dem eingeschlagenen Weg fortschreiten, sonst versiegt die Dynamik.
Das haben Mieter, Gewerkschaften und große Teile der Partei verstanden. Mit Unterstützung von sehr vielen Menschen wurde dann richtig mobilisiert, wieder Unterschriftensammlungen, wieder Veranstaltungen, wieder Mieterzusammenschlüsse, in einer Siedlung hat sich sogar ein Jugendrat gegründet, es kamen Migrant:innen in den Mieterbeirat – das war wirklich eine breite Bewegung.
Die Landesregierung, damals unter Volker Bouffier (CDU), hat dann in bezug auf die Nassauische Heimstätte nachgegeben und auch einen Mietpreisstop dort eingeführt…

Wie kam die dazu?

Die Landesregierung war schwarz-grün. Die haben schnell verstanden, was in der Mietenfrage für ein Wahlkampfpotenzial steckt. Sie haben aber einen Trick gemacht, sie haben das verwässert, indem sie eine Kappungsgrenze für die NH eingeführt haben. Der Mietpreisstop gilt nur für untere und mittlere Einkommen, die Grenze liegt bei 84000 Euro Jahreseinkommen netto pro Wohneinheit. Das ist nicht die Sozialhilfegrenze, das ist deutlich höher. Aber diejenigen, die mir immer wichtig waren, die Aktiven, die Gewerkschaftsangestellten, die Facharbeiter, die liegen genau an der Grenze, manchmal drunter, manchmal drüber. Das sind aber gerade diejenigen, die du für eine nachhaltige Mobilisierung in den Siedlungen brauchst. Die Perspektive muss deshalb sein, den Mietpreisstop für alle durchzusetzen, keine Kappungsgrenze!
Ich fand es gut, dass es bei der ABG keine spalterische Sozialstaffel gab, damit niemand sagen konnte: Die Migrant:innen kriegen das, die Sozialhilfeempfänger, warum nicht wir? Bei der ABG hat das geklappt, bei der Nassauischen Heimstätte nicht.
Aus meiner Sicht muss die Hauptforderung deshalb sein: Mietpreisstop für alle, auch bei der NH und der GWH.

Der Mietpreisstop für die Nassauische wurde für fünf Jahre durchgesetzt, d.h. er läuft dieses Jahr aus. Was passiert jetzt?

Jetzt sagen alle, von den Gewerkschaften bis zu den Mieterbeiräten: Er muss verlängert werden, es müssen die gleichen Bedingungen wie bei der ABG und für alle gelten. Die Menschen müssen erleben, dass das, was sie erkämpft haben, nachhaltig und sicher ist. Bei der Nassauischen Heimstätte muss das jetzt auch klappen… es wird aber ein Kampf. Stabil wird der Mietpreisstop aus meiner Sicht erst, wenn bei der NH endlich die Kappungsgrenze wegfällt, wenn auch hier die Verlängerung auf zehn Jahre kommt, und wenn diese Regelung auf die GWH ausgedehnt wird.
Wenn das bei den öffentlich-rechtlichen Wohnungsgesellschaften durchgesetzt ist, ist das eine gute Basis dafür, dass sich bei der restlichen Bevölkerung die Überzeugung entwickelt: Den Mietpreisstop brauchen wir auch bei uns im privaten Wohnungsbau. Der öffentliche Bereich hat gezeigt: Es funktioniert, es profitieren viele davon, und es ist wirtschaftlich. Die Gesellschaft ABG macht seit 2013/2014 einen Rekordgewinn nach dem anderen. Allein dadurch, dass in allen Ballungsräumen zu wenig Wohnungen existieren, entstehen Wertsteigerungen ganz ohne Mieterhöhungen. Jeder Euro, den die Stadt oder das Land in Immobilien stecken, vermehrt ihr Tafelsilber. Wenn man das den privaten Investoren überlässt, sahnen die das ab. Die trotz Mietpreisstop wohlhabende ABG hat sogar angeboten, die Mieten für Menschen mit einem Sozial- oder Familienwohnungsanspruch zu senken.

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