Gegen Arbeitsverdichtung und unbezahlte Überstunden
Gespräch mit Frauke Banse
Seitdem Hessen unter Ministerpräsident Koch aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgestiegen ist, verhandeln die Gewerkschaften dort eigenständig für die Landesbeschäftigten. Ende März wurde ein Abschluss erzielt, der in vielen Punkten – Inflationsausgleichsprämie, Sockelbetrag, Entgelterhöhungen – dem Abschluss der Länder ähnelt. An einem Punkt konnte jedoch ein Durchbruch erzielt werden: Erstmals wurde Entfristung als Tarifziel aufgenommen. Violetta Bock sprach mit Frauke Banse, wie dies gelang und wo es an den Hochschulen brennt.
Frauke Banse ist Dozentin für Politikwissenschaft an der Universität Kassel und Mitglied der Tarif- und Verhandlungskommission in Ver.di
Ihr habt unter anderem Vereinbarungen für die studentischen Hilfskräfte und gegen die Befristung durchgesetzt. Welche sind das?
Für die studentischen Hilfskräfte gibt es einen sog. schuldrechtlichen Vertrag über Mindestbedingungen bei Stundenlöhnen, Vertragslaufzeiten und Stundenumfängen. Ungleich besser wäre aber ein Tarifvertrag, der für Gewerkschaftsmitglieder individuell einklagbar wäre.
Außerdem haben wir eine sog. schuldrechtliche Vereinbarung mit einer Zusage des hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst über 400 zusätzliche unbefristete Stellen an den Unis bis 2030. Die Gewerkschaften können jetzt klagen, wenn die Zusage nicht eingehalten wird. Wir als Beschäftigte haben damit über die Gewerkschaften zum ersten Mal eine verbindliche Vereinbarung zum Thema Befristung erzielt.
Im Gegensatz zum Tarifvertrag, bei dem ich bei Verstoß individuell vors Arbeitsgericht ziehen kann, geht das bei einer schuldrechtlichen Vereinbarung nicht. Sie ist ein Vertrag zwischen Gewerkschaft und dem Arbeitgeber. Da aber eine Aufstockung um 400 entfristete Stellen sowieso kein individuelles Recht ist, weil niemand sagen kann, ich hätte zu den 400 gezählt und bin nicht entfristet worden, macht das rechtlich keinen großen Unterschied.
Die Vereinbarung zur Entfristung bezieht sich vor allem auf die direkten Landesstellen. Die Drittmittel sind nochmal ein eigenes Thema, das wir in den nächsten Runden angehen müssen. Da spielt zum einen intelligente Personalplanung eine größere Rolle, aber auch die strukturelle Unterfinanzierung der Hochschulen.
Im nächsten Schritt wird es auch mehr um die Kolleg:innen in Technik und Verwaltung gehen müssen. Da haben wir bisher nur ein kleines Minizugeständnis, dass keine sachgrundlosen Befristungen mehr gemacht werden sollen.
Der Tarifvertrag für die hessischen Landesbeschäftigten umfasst Berufsgruppen aus vielen Bereichen – von Polizei über Schulen, Regierungspräsidium bis hin zu den Unis. Wie ist die Stellung der Hochschulen innerhalb dieses Gefüges?
Es gab eine große Diskussion innerhalb von Ver.di. Denn es war klar, wegen der hohen Inflation liegt der Fokus auf dem Lohn. Die Frage war, wie es sich auf die Verhandlungen auswirkt, wenn weitere Forderungen formuliert werden – also der sog. »Blumenstrauß« verhandelt werden muss. Da hieß es oft, die Forderung nach Entfristung und die der studentischen Kolleg:innen könne das Gesamtpaket gefährden.
Es war aber das Gegenteil der Fall. Für die Unis haben wir die Bedeutung einer unispezifischen Forderung zur Befristung herausgestellt. Lohn ist für die sehr vielen Teilzeitbeschäftigten und alle Kolleg:innen in den unteren Lohngruppen natürlich das zentrale Thema. Viele sind aber zusätzlich zur Teilzeit auch noch vollständig befristet, andere in den unteren Lohngruppen stocken befristet immer wieder auf.
Klar war: An den Unis bleibt Befristung bei ganz vielen das Megathema. Klar war auch: Die studentischen Kolleg:innen werden ordentlich mobilisieren, weil sie ihr Recht auf Kollektivverhandlungen einfordern. In Marburg nahmen an den Warnstreiks 900 Leute teil, in Darmstadt 600, auch andere Unistandorte waren weit besser aufgestellt als in den Jahren davor. So gelang durch die hochschulspezifischen Themen ein großer Mobilisierungserfolg.
Wie habt ihr es geschafft, das Thema zu setzen?
Wir haben vor sieben Jahren »Uni Kassel Unbefristet« gegründet als gewerkschaftsübergreifende, gewerkschaftsnahe Initiative zum Thema Entfristung von wissenschaftlichen und administrativ-technischen Kolleg:innen. Wir haben viel Kampagnenarbeit zur Verbesserung auf Uniebene gemacht, ähnliche Initiativen haben sich an anderen hessischen Unistandorten gegründet.
Parallel zu den Aktivitäten an den Unis ging es immer auch darum, das Thema in Tarifverhandlungen zu verankern. Dafür war viel Vorarbeit nötig – u.a. war wegen des Sonderbefristungsrechts für die Wissenschaft zu klären, ob Befristungsfragen überhaupt tarifvertraglich geregelt werden können. Wir stellten fest, dass es dafür einen kleinen juristischen Spielraum gibt und den haben wir genutzt. Wir haben sehr gut verhandelt.
Es gab eine große Lernkurve, auf der ehrenamtlichen, vor allem aber auf der hauptamtlichen Seite. Es wurde erkannt, wie wichtig die Universitätsmobilisierungen sind. Früher haben die Hochschulen in den Verhandlungen eine untergeordnete Rolle gespielt. Aber sie sind mit die Hauptarbeitgeber des Landes, zumal in Hessen keine der Unikliniken im Landestarifvertrag ist. An den Unis gab es bundesweit in den letzten Jahren – immer wieder auch in bezug auf »UniKassel Unbefristet« – eine starke Mobilisierung. Man kommt am Thema Entfristung nun nicht mehr vorbei.
Warum halten die Universitäten so an der Befristung fest?
Die Hochschulleitungen argumentieren mit Personalaufwand, Kosten und Wissenschaftsfreiheit. Aus unserer Sicht sind das Scheinargumente. Das Ausstellen ständig neuer Arbeitsverträge, allein die Verfahren zur Stellenbesetzung sind ein hoher Aufwand, der ganze Abteilungen beschäftigt. Von den ständig neuen Einarbeitungen, dem Wegfall von institutionellem Wissen und der fehlenden Betreuung von Studierenden ganz zu schweigen.
Mehr Studierende, an deren Anzahl sich die Zuteilung der Gelder ja orientiert, würden vermutlich in Regelstudienzeit studieren, wenn nicht ständig die Dozierenden wechseln würden. Unbefristet Beschäftigte könnten sich mehr auf die Lehre konzentrieren, weil sie nicht an die Qualifizierung gebunden wären. Jetzt werden diese Lücken mit schlecht bezahlten Lehrbeauftragten gefüllt – die wiederum keine gute Betreuung gewährleisten können.
Den Universitäten geht es um die Flexibilität in der Personalplanung, langfristige, intelligente Planung erübrigt sich dann. Befristung ist aber auch ein wichtiges Instrument der Herrschaftsausübung. Befristung bedeutet permanente Abhängigkeit, vor allem von Professor:innen. Diese Macht der Professor:innen gleicht Feudalstrukturen – sie nutzen die Abhängigkeit, um ihre Agenda durchzusetzen – auf inhaltlicher, persönlicher und zeitlicher Ebene.
Einige Professor:innen sind aber auch Verbündete. Sie wollen gleichberechtigte Kolleg:innen sein, weil Kooperation, Austausch und Kollektivität die besten Bedingungen für gute Forschung und Lehre bieten.
Bei vielen, die mit uns die letzten Jahre gekämpft haben, und deren Verträge inzwischen ausgelaufen sind, ging es in ihrem Engagement zentral um die Würde, diese Institution mit geradem Rücken zu verlassen.
Inzwischen haben Beschäftigte an der Uni viel stärker ein Bewusstsein als Lohnabhängige entwickelt. Der lange Atem mit außerordentlichen Personalversammlungen, Öffentlichkeitsarbeit in der Stadt und bundesweit, Organisierung in verschiedenen Abteilungen und vieles mehr hat sich ausgezahlt.
Wie geht es weiter?
Wir werden weiter solidarische Netzwerke bilden, um die hierarchische Organisierung der Uni entlang verschiedener Statusgruppen zu durchbrechen und um Themen wie Entlastung, Eingruppierung und die Eingliederung von Bereichen wie der Gebäudereinigung oder auch der studentischen Kolleg:innen weiter zu bearbeiten. Und es gilt natürlich zu überwachen, dass der Tarifvertrag und die Vereinbarung eingehalten werden.
Perspektivisches Ziel ist die Durchsetzung des Rechts auf Kollektivverhandlungen beim Thema Befristung, aber auch für studentische Kolleg:innen. Dafür muss das jetzige Wissenschaftszeitgesetz fallen. Denn es ist durch seine Beschränkung eine faktische Tarifsperre und verstößt damit gegen eine Kernarbeitsnorm der ILO. Ebenso zentral ist unsere Forderung, dass die Finanzierung der Hochschulen nicht in großem Umfang auf Projektfinanzierung basieren darf. So ist keine stabile Forschung und Lehre möglich.
Generell müssen wir dringend an die Überlast ran. Viele von uns arbeiten sehr arbeitsverdichtet und leisten viele unbezahlte Überstunden. Eigentlich spenden wir damit regelmäßig hohe Summen an das Land Hessen und das kann‘s nicht sein.
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