Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2024

An den Rand notiert
von Rolf Euler

Im Ruhrgebiet wird das 25.»Geburtsjahr« der Route der Industriekultur begangen. 1999 waren gerade heftige Bergarbeiterproteste gegen die vorzeitigen Stilllegungspläne aus Bonn verebbt, Stahlindustrie, Bergwerke und Kokereien gab es noch in deutlich sichtbarer Größe. Nun aber wurden alte Standorte entgegen Abrissplänen erhalten. Daraus wurde eine »Route der Industriekultur« erfunden – das zeigte den reformerischen Blick der Zeit.

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe behielt einige ehemalige Berg- und Stahlwerke als Museen. Highlights der 27 »Ankerpunkte« der Industriekultur sind das Weltkulturerbe Zollverein und das ehemalige Hüttenwerk in Duisburg ­sowie die Jahrhunderthalle in Bochum. Deutlich ist: Man versuchte, mit dem Erhalt der Gebäude und Gegenstände die industrielle Vergangenheit dem Vergessen zu entreißen. Man nennt das »touristische Inwertsetzung« des alten Reviers.
Industriekultur an herausragende Gebäudeensembles zu koppeln führt aber auch dazu, dass die Geschichte der Arbeitenden des Reviers eher als Gemeinschaftsaktion gezeigt wird zwischen Unternehmen und Beschäftigten. Da wird dann nicht so deutlich, dass es zwei verschiedene Kulturen gab: die der Eigentümer und die der Beschäftigten. Die kapitalistische Eigentumsstruktur, die Arbeitshetze bei der Förderung, die ständige Auseinandersetzung um Lohn und Arbeitsplatz werden für die Besucherinnen und Besucher selten erfahrbar.
Manchmal, wenn man das Glück hat, eine Führung mit ehemaligen Bergleuten oder Stahlarbeitern mitzumachen, bekommt man doch noch einen mündlichen Eindruck, was an Widerständigkeit, Kämpfen und Niederlagen in der Geschichte nötig war, um die kapitalistische Montanindustrie viele Arbeitergenerationen hindurch auszuhalten. »Ganz unten« kommt selten in den Museen vor, auch wenn die Gezähe (Werkzeuge) und Maschinen der Malocher erläutert werden oder wenn z.B. auf der Henrichshütte die langwierigen Kämpfe der Arbeitenden und ihrer Familien für den Erhalt des Werks eine Rolle spielten.

Zum 25.Geburtstag werden von der neuen Geschichtsgeneration denn auch die Mängel beschrieben, die die Konzentration auf die »Männerwirtschaft« des Montanbereichs, auf den zum Mythos werdenden Schwerindustriekomplex mit sich bringt: Die in großer Zahl Frauen beschäftigende Textil- oder Elektroindustrie hat z.B. keine ­»Kathedralen« hinterlassen, die sich »bespielen« lassen. Die Diskriminierung der vielen eingewanderten Arbeitenden aus europäischen Nachbarländern und der Türkei und ihr Anteil an der Ruhrgebietsgeschichte kommt deutlich zu kurz.
Viele Geschichtswerkstätten der ehemaligen Beschäftigten bemühen sich vor Ort nach wie vor um »Geschichte von unten«. Aber auch hier sind die Teilnehmenden nichtdeutscher Herkunft mit der Lupe zu suchen. Industriekultur ist noch deutlich entfernt von der Vorstellung, wie wir in Zukunft arbeiten und leben wollen.

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