Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2024

Repression gegen Solibewegung eskaliert
von Abir Kopty

In einem schockierenden, aber erwarteten Schritt hat die Berliner Polizei am Freitag, dem 12.April, den »Palästina-Kongress« zwei Stunden nach Beginn aufgelöst. Der Kongress war als dreitägige Veranstaltung mit Rednern aus der ganzen Welt geplant, darunter Ghassan Abu-Sittah, Salman Abu Sitta, Noura Erakat, Ali Abunimah und viele andere.

Die von palästinensischen, jüdischen und internationalen Gruppen organisierte Konferenz sollte den Völkermord in Gaza und die israelischen Verbrechen an den Palästinensern erörtern und ein Tribunal für Israel und einen seiner größten Unterstützer und Waffenlieferanten veranstalten: Deutschland. »Die Tatsache, dass wir es geschafft haben, hier zu sein und diese Konferenz abzuhalten, ist an sich schon ein Akt des Widerstands«, sagte die palästinensische Journalistin Hebh Jamal in ihrer Eröffnungsrede auf der Konferenz. Jamal wusste nicht, dass ihre Rede die einzige im Rahmen des geplanten dreitägigen Programms sein würde.
Seit ihrer Ankündigung haben deutsche Behörden, Polizei und Medien darauf hingearbeitet, die Veranstaltung zu verhindern. Die Medien sprachen von einem »Kongress der Israelhasser«, einer Konferenz von »Terror-Apologeten«. Politiker riefen dazu auf, den Rednern der Konferenz den Zutritt zu verweigern, und der Berliner Senat stand kurz davor, die Konferenz zu verbieten.
In den Wochen vor dem Kongress unternahm der Berliner Senat zahlreiche Schritte, um die Organisatoren unter Druck zu setzen und einzuschüchtern. Es gab Hausdurchsuchungen bei Aktivist:innen, die an der Konferenz beteiligt waren, eine Benefizveranstaltung für den Kongress wurde untersagt. Nach Angaben der Organisatoren wurden zwei Veranstaltungsorte aufgrund von polizeilichem Druck und Drohungen abgesagt, und die Berliner Behörden froren auch das Bankkonto der Jüdischen Stimme ein, einer der Organisatorinnen des Kongresses, auf dem alle Spenden für die Veranstaltung gesammelt wurden.
Am Tag der Konferenz setzte die Polizei 2500 Polizisten in der Nähe des Veranstaltungsortes und im Inneren der Halle ein. Sie ließ nur 250 der 800 Teilnehmenden zu, die ihre Karte im voraus reserviert hatten. Dr.Ghassan Abu-Sittah wurde die Einreise aus Großbritannien nach Deutschland verweigert. Er sollte am Abend über das sprechen, was er in Gaza erlebt hat.
Als die Veranstaltung beginnen sollte, wurden zwei Dutzend feindselige und antipalästinensische Journalisten, die die Hetzkampagne gegen die Konferenz angeführt hatten, von der Polizei hereingelassen, obwohl sie nicht von den Kongressveranstaltern akkreditiert waren. Es sah wie ein Hinterhalt aus. Sie wurden bei der offiziellen Zählung der Teilnehmer berücksichtigt, was bedeutete, dass 25 weniger angemeldete Teilnehmer eingelassen wurden.
Zu Beginn der Konferenz waren alle erleichtert, dass wir es trotz allem »geschafft haben«. Es gab ein kleines Gefühl des Sieges angesichts der vergangenen langen, anstrengenden und schrecklichen sechs Monate in einem Land, das den Kummer und die Wut seiner palästinensischen Gemeinschaft nicht als legitim ansieht.

Der Sturm auf den Kongress
Doch dieser kleine Sieg währte nicht lange. Die deutsche Polizei hatte an diesem Tag nur einen Auftrag: die Veranstaltung zu beenden. Sie wartete nur auf den richtigen Moment. Wenn es keinen richtigen Moment gab, würde sie einen schaffen.
Der nächste Redner nach der Journalistin Heba Jamal war der renommierte palästinensische Gelehrte und Autor Salman Abu Sitta, der aus der Ferne über ein vorab aufgezeichnetes Video teilnahm. Zwei Minuten nach Beginn des Videos stürmten plötzlich Dutzende von Polizisten in die Mitte des Saals, vor die Leinwand und die Bühne, und unterbrachen die Videoübertragung.
Die Polizei behauptete zunächst, Abu Sitta habe etwas gesagt, das zu Gewalt oder Hass aufstacheln würde. Als die Organisatoren sie aufforderten, den Satz genau zu benennen, sagten sie, sie müssten das überprüfen. Sie wüssten es nicht. Daraufhin behaupteten sie, Salman Abu Sitta sei in Deutschland ein Verbot der »politischen Betätigung« erteilt worden, die entfernte Rede verstoße dagegen. Die Anwältin der Veranstaltung, Nadja Samour, erklärte jedoch, die Polizei habe die Teilnehmerliste am Morgen überprüft und zu Abu Sitta nichts gesagt. Die Organisatoren schlugen vor, den Rest der Rede nicht zu bringen und mit den übrigen Rednern fortzufahren.
Die Polizei wollte auch die Live-Übertragung der Veranstaltung verhindern, weil sie befürchtete, ein Redner könne etwas sagen, das einer Aufwiegelung gleichkäme. Als die Organisatoren gegen eine solche hypothetische Annahme argumentierten, brach die Polizei in den Elektroraum des Veranstaltungsortes ein und schaltete den Strom ab. Daraufhin beschloss sie, die gesamte Veranstaltung für die gesamten drei Tage zu verbieten, und forderte alle Teilnehmer auf, den Veranstaltungsort zu verlassen.
Als die Leute begannen zu gehen, nahm die Polizei mehrere Aktivist:innen fest, darunter zwei jüdische Aktivisten. In Deutschland gibt es nur eine Art von Juden, die als legitim angesehen wird: jene, die sich nicht mit Israels Völkermord auseinandersetzt.

Zunehmend autoritär
Samour zufolge teilte die Polizei den Organisatoren mit, der Befehl zum Abbruch der Konferenz komme »von ganz oben«. Es blieb unklar, woher die Entscheidung kam und wie und wann sie den Polizisten vor Ort mitgeteilt wurde.
Wie die meisten deutschen Politiker begrüßte auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser das Verbot des Kongresses: »Es ist gut, dass die Berliner Polizei ein hartes Durchgreifen gegen den sog. Palästina-Kongress in Berlin angekündigt hat. Wir haben die islamistische Szene sehr genau im Blick.«
Islamfeindliche und antipalästinensische Stimmungen haben den öffentlichen Diskurs über Palästina in Deutschland schon vor dem 7.10. geprägt, sie sind nun noch schlimmer geworden. Polizeiliche Repressionen und Razzien sind an der Tagesordnung.
Die Organisatoren des Kongresses führten am darauffolgenden Tag eine Pressekonferenz durch, auf der sie ankündigten, die Entscheidung vor Gericht anzufechten. Zugleich warnten sie, das von der Polizei ausgesprochene Verbot gelte auch für alle alternativen Veranstaltungen, die organisiert würden, um den Rednern einen Treffpunkt zu bieten, sei es online oder persönlich. Die Repressionstaktiken zielten darauf ab, die Bewegung zu erschöpfen.
»Wir wissen, dass die Welt zuschaut und dass sie sieht, dass Deutschland seine antidemokratischen, autoritären Tendenzen mit jedem Tag mehr zur Schau stellt«, sagten sie.

Quelle: mondoweiss.net. Von der Redaktion gekürzt

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.