Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2024

… und ein Offener Brief von Günther Wallraff
von Gerhard Klas

Der Feldzug der Geschäftsführung gegen unbequeme Betriebsratsmitglieder hört nicht auf: Am 14.März stand vor dem Arbeitsgericht in Heidelberg erneut ein Termin an. Diesmal forderte einer der mittlerweile erkrankten Betriebsräte seinen Lohn ein, den er seit Dezember nicht mehr ausgezahlt bekommen hat.

Die Benachrichtigung über den Lohnentzug hatte er sozusagen als "Weihnachtsgeschenk" erhalten, kurz vor den Feiertagen. Der Konzern, der auch dem Arbeitgeberpräsidenten Rainer Dulger gehört, eskalierte anschließend noch weiter: Anfang Januar erhielt der Betriebsrat eine schriftliche Aufforderung, sogar Teile seines Novembergehalts zurückzuzahlen. Begründung: Er habe durch wiederholte Krankschreibung die maximal mögliche sechswöchige Lohnfortzahlung überschritten. Schikane, so zeigt sich der Betroffene und seine Gewerkschaft überzeugt.
Nach außen hin erzählt die Geschäftsführung weiter das Märchen vom bösen Ex-Betriebsratsvorsitzenden und lobte Ende letzten Jahres in einem Interview mit der Rhein Neckar Zeitung die gute Zusammenarbeit mit dem neuen Betriebsrat. Dem alten Betriebsrat wirft sie hingegen "Prinzipienreiterei" vor, "die für ganz große Probleme gesorgt" habe. Engagierte Betriebsräte sehen das anders, auch bei ProMinent: Die "ganz großen Probleme" entstehen etwa durch geplante Veränderungen im Betrieb, die zu tiefgreifenden Umstrukturierungen oder der Auslagerung und Abwicklung ganzer Abteilungen führen könnten – auf Kosten der Mitarbeiter:innen. Wer als Betriebsrat in dieser Situation seine Aufgaben gemäß Betriebsverfassungsgesetz ernst nimmt, gerät automatisch in Konflikt mit dem Management. Und wenn ein Unternehmer das nicht aushält, sondern "durchregieren" will, eskalieren die Auseinandersetzungen.

Keine Kompromisse
Wie zielbewusst ProMinent die Eskalation vorantreibt, geht aus einer Analyse der Unternehmensberatung "Leonardo" aus dem Jahr 2023 hervor, die der Konzern beauftragt hat. Allein die Beauftragung von "Leonardo" spricht Bände.
Die Unternehmensberatung wirbt auf ihrer Homepage mit Jack Welch, dem 2020 gestorbenen Vorsitzenden des US-Konzerns General Electric (GE). Viele Jahre lang war der Mischkonzern mit seinen in Hochzeiten 400000 Beschäftigten ein Bollwerk der Gewerkschaften. Für Jack Welch standen Gewerkschaften der Gewinnmaximierung im Wege. Als er 1981 Vorstandsvorsitzender bei GE wurde, ließ er sie das spüren: GE verlagerte Zehntausende Arbeitsplätze ins Ausland, schloss gewerkschaftlich organisierte Werke im Norden und eröffnete sie im Süden der USA neu, wo die gewerkschaftliche Organisierung deutlich schlechter ist.
Es war die Zeit der Massenentlassungen in der gesamten Industrie: US-Stahlunternehmen feuerten zwischen 1979 und 1984 40 Prozent ihrer Beschäftigten, die United Auto Workers verlor von 1970 bis 1985 die Hälfte ihrer Mitglieder. Bei GE arbeiten heute weniger als 200000 Beschäftigte. Jack Welch ist ein Star der Union-Busting-Szene nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland.
Die Münchner Beratungsfirma Leonardo schlägt ProMinent vor, sich in der Produktion an Konzepten des Lean-Managements wie bei Toyota zu orientieren, einschließlich der Prüfung, einzelne Produktionsbereiche wie Bearbeitung, Montage und Logistik auszulagern. Es gehe um die "radikale Veränderung und Neugestaltung von Prozessen und Systemen". Die Rhetorik erinnert stark an Jack Welch: "Grausamkeiten müssen schnell und in einem Schnitt erfolgen", steht in den Leitsätzen, es dürften "keine Kompromisse" gemacht werden. An mehreren Stellen ist die Rede davon, dass "der Mensch austauschbar" sei – also die Beschäftigten.

Schikanen
Die Betriebsräte rund um den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden hatten sich kritisch mit dem Leonardo-Papier beschäftigt. Das war der Geschäftsführung offensichtlich ein Dorn im Auge. Es traf nicht nur den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden. Mitte des letzten Jahres musste ein weiterer Betriebsrat den Koffer packen: Er habe, so der Vorwurf, gegen die Datenschutzgrundverordnung verstoßen. Als Mitglied des Wahlvorstands hatte er vor den Betriebsratswahlen im Frühjahr 2022 eine Wählerliste mit mehr als 500 Personeneinträgen an seine private Mailadresse weitergeleitet, damit er sie im Homeoffice bearbeiten konnte. Daraufhin erhielt er wegen Datenschutzverstoßes eine fristlose Kündigung, der auch die bereits dem Arbeitgeber zugetane Betriebsratsmehrheit zustimmte. Bei der Kündigungsschutzklage, die der Betriebsrat anstrengte, entschied das Arbeitsgericht im Sinne des Arbeitgebers. Ein tatsächlicher Missbrauch der Daten – sprich Weitergabe an Dritte – war dem Gekündigten auch vom Arbeitsgericht nicht nachgewiesen worden. Er hatte 15 Jahre lang als technischer Redakteur bei ProMinent gearbeitet.
Nun soll ein weiteres Mitglied der beschäftigtenorientierten Betriebsratsliste dran glauben. Der Gütetermin über seinen Lohnentzug am 14.3. vor dem Heidelberger Arbeitsgericht endete ergebnislos, der Kammertermin war zu Redaktionsschluss noch nicht festgesetzt. Die alte Abteilung, in der der nicht freigestellte Betriebsrat Wasseraufbereitungsanlagen montiert hatte, gibt es nicht mehr. Mittlerweile ist er in eine andere Abteilung versetzt worden.
Der Betriebsrat, der seit 33 Jahren für den Konzern arbeitet, berichtet über Schikanen, die er bei seinen letzten Arbeitseinsätzen im Betrieb über sich ergehen lassen musste: Seit März 2023 habe er sich für seine Betriebsratstätigkeit jedes Mal an- und abmelden müssen, was vorher nie erforderlich gewesen sei: "Jede Stunde, die ich für Betriebsratstätigkeit aufgewendet habe, wurde mir von meinem Zeitkonto abgezogen, Sitzungen des gesamten Betriebsrates und Ausschüsse ausgenommen. Bis zu meiner Erkrankung waren es schon mehr als dreißig Stunden."

Stand der Kampagne
Work Watch, das Solidaritätskomitee "Gegen BR-Mobbing" aus Mannheim, Metall, das Organ der IGM, und einige Medien wie Stern und Neues Deutschland haben mittlerweile über das Bossing bei ProMinent berichtet.
Knapp 3000 Betriebsratsmitglieder und Gewerkschafter:innen haben einen Offenen Brief von Günter Wallraff unterschrieben, in dem nicht nur die Solidarität mit den Betroffenen ausgedrückt, sondern auch die Umsetzung eines Versprechens aus dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung eingefordert wird: Betriebsratsmobbing nicht länger als Antragsdelikt mit einer kümmerlichen Strafandrohung von einem Jahr Haft, sondern als Offizialdelikt zu werten und die angedrohte Haftstrafe deutlich heraufzusetzen.
Trotz mehrfacher Anfragen signalisierte das SPD-geführte Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bis zum Redaktionsschluss keine Bereitschaft, die Unterschriften unter den Offenen Brief von Günter Wallraff öffentlich entgegenzunehmen.

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