Ein Brandanschlag in Solingen – Aufklärung und Adalet
von Eva Hengstermann
Am 25.März wurde eine junge, vierköpfige Familie in Solingen bei einem Brandanschlag ermordet. Die zwei Töchter waren drei Jahre und sechs Monate alt, die Eltern haben das 30.Lebensjahr nicht erreichen dürfen. Sie gehörten einer türkischen Minderheit aus Bulgarien an. Acht weitere Menschen wurden schwer verletzt. Der Schock in Solingen sitzt tief, die Tat und auch der Umgang damit wecken traumatische Erinnerungen an den rechtsextremen Brandanschlag von 1993. Bei der Trauerkundgebung am 30.März ist dies deutlich zu spüren.
Katya, Kuncho, Galia, Emili – das sind die Namen der Ermordeten. Erst im Januar sind sie nach Deutschland gezogen, um sich hier ein sicheres Leben aufzubauen. Sie lebten im Dachgeschoss des abgebrannten Hauses. Für sie war es zu tief, um aus dem Fenster zu springen.
Auf dem Trauermarsch sieht man viele Menschen, die Fotos der Getöteten hochhalten. Vor dem Haus liegen Blumen, Stofftiere und gerahmte Fotos. Für viele von Rassismus betroffene Menschen ruft der Anblick der verbrannten Fassade Bilder von 1993 ins Gedächtnis: Damals wurden Gürsün ?nce, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç von vier Neonazis getötet. 14 weitere Bewohner:innen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Auch damals wurde Brandbeschleuniger benutzt, um das Treppenhaus in Brand zu setzen.
Der Anschlag war einer von vielen rechtsextremen Mordtaten, die sich in den 80er und 90er Jahren ereigneten. Die Morde entstanden nicht im luftleeren Raum, sondern in einem öffentlichen Klima, in dem Stimmung gegen Gastarbeiter:innen und Geflüchtete gemacht wurde. Auch heute sehen wir eine Verschiebung nach rechts, mit einer AfD, die in bundesweiten Umfragen bei 18 Prozent liegt, und einer Ampelregierung, die verschärfte Asylabkommen abnickt. Die Vermutung liegt nahe, dass auch beim Anschlag vom 25.März Rassismus eine Rolle spielte.
Der Verdächtige
Am 10.April teilte die Staatsanwaltschaft Wuppertal mit, dass ein Tatverdächtiger gefasst wurde. Es handelt sich um einen 39jährigen ehemaligen Mieter, der im Hinterhaus des Wohnhauses gewohnt hatte und dem nach einem Streit mit der Vermieterin gekündigt worden war. In der Tatnacht wurde er von mehreren Überwachungskameras gefilmt, zudem wurden Brandbeschleuniger in seinem Haus gefunden. Vor seiner Festnahme fiel er durch eine gewalttätige Auseinandersetzung in einem Wohnhaus auf, bei dem er einen Mann mit einer Machete lebensgefährlich verletzte. Ein Mensch aus dem Haus bezeugte, dass er dabei »Sieg Heil« gerufen haben soll, was jedoch von anderen Zeug:innen bestritten wird. Inzwischen sitzt der Verdächtige in Untersuchungshaft.
Aus diesen Ermittlungen schlussfolgern Behörden und viele Medien, dass die Tat nichts mit Rassismus zu tun habe, auch weil der Verdächtige mit einer »Partei der Mitte« sympathisiere. Sie vermuten, dass persönliche Streitereien auf Beziehungsebene Auslöser für die Gewalttat waren. Doch selbst wenn der mutmaßliche Täter Streit mit der Vermieterin hatte, gibt es außer Menschenfeindlichkeit keinen Grund, ein Wohnhaus mit an dem Streit Unbeteiligten in Brand zu setzen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, an welchem Punkt sich die »Parteien der Mitte«, Rassismus und Menschenfeindlichkeit ausschließen. Erst letztes Jahr posaunte Friedrich Merz: »Die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, dass 300000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen. Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.«
Die Sprache mancher Politiker:innen »der Mitte« ist gespickt mit der Menschenfeindlichkeit der AfD. Wer von der AfD nicht radikalisiert wird, wird es von CDU und FDP.
Aufklärung und Adalet
Auf der Trauerkundgebung am 30.März sprach der SPD-Oberbürgermeister Kurzbach in aneinander gereihten Passivkonstruktionen. »Es ist schwer zu glauben, warum das Leben manchmal so grausam sein kann«, und: »Zwei kleine Kinder insbesondere, voller Leben, voller Hoffnung und Liebe, wurden uns viel zu früh genommen«, hieß es da. Die Rede hätte sich genauso gut auf eine Naturkatastrophe beziehen können. Verschleiert wurde, dass es Mord war und dass Parallelen zu rassistisch motivierten Brandanschlägen vorhanden sind.
Der Umgang mit dem Anschlag hat auch kurz nach der Tat bei der Solinger Zivilgesellschaft für Unmut gesorgt. Viel zu vorschnell schloss die Polizei ein »fremdenfeindliches« Motiv aus. Und das obwohl in dem Haus vor allem migrantisierte Menschen lebten und rassistische Morde kein Einzelfall sind. Schon dass die Polizei von »Fremdenfeindlichkeit« spricht und das Unwort von vielen Medien übernommen wird, ist ein Schlag ins Gesicht. Sie suggerieren damit, dass BIPoCs (Black, Indigenous, People of Color) »Fremde« seien. Viele BIPoCs sind jedoch deutsch, in Deutschland geboren und aufgewachsen oder haben in Deutschland ein neues Zuhause gefunden. Trotzdem werden sie als »Fremde« gelabelt, wenn sie Hass und Gewalt erleben, womit die Perspektive der Täter:innen übernommen wird.
Das hinter der Gewalt stehende Problem lautet Rassismus und muss als solches benannt und bekämpft werden. Nach der Festnahme des Tatverdächtigen spricht Wuppertals Polizeipräsident Markus Röhrl davon, dass »die Tat weitgehend aufgeklärt« sei und es sich um einen »durchgreifenden Ermittlungserfolg« handle. Doch aufgeklärt und abgeschlossen ist dieser Fall noch lange nicht. Zu viele Fragen bleiben offen.
Unter den Teilnehmenden des Trauermarsches waren viele aus den muslimischen und migrantischen Communities. Neben dem Schock und der Trauer war auch die Wut deutlich zu spüren, vielleicht auch weil die Gefühle manchmal nah aneinander liegen. Besonders ein Ausruf fiel häufig: »Adalet«. Adalet ist türkisch und bedeutet Gerechtigkeit. Solingen ist Bunt und BIPoC Voices kritisieren, dass die Perspektive der Betroffenen nach dem Anschlag 1993 vernachlässigt wurde und auch jetzt überhört wird.
In einem Interview mit Radio Corax sagt Sofia Eleftheriadi-Zacharak, Mitbegründerin von BIPoC Voices: »Unabhängig davon, ob es sich bei dem Brandanschlag um einen rassistisch motivierten Anschlag gehandelt hat, war es sehr schockierend.« Weiter sagt sie: »Als Solinger Menschen und insbesondere als migrantische Menschen wird man die Assoziationskette nicht los, dafür sitzt der Schmerz von Solingen, von Mölln, viel zu tief.«
Zweitausend Einzelfälle
In einem nach rechts treibenden Klima ist es kein Wunder, wenn auch die Gewalt gegen marginalisierte Menschen zunimmt. Wenn Rassismus salonfähig ist, fühlen sich auch Rechtsextreme bestärkt, ihre gewaltvollen Fantasien in die Tat umzusetzen. Das Bundesinnenministerium hatte Ende Februar bekanntgegeben, dass im Jahr 2023 rund 2400 politisch motivierte Straftaten gegen migrantisierte Menschen verübt wurden, davon 313 Gewaltdelikte. Das ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr mit 1400 Straftaten und nähert sich dem Höchststand von 2016 an.
Den Großteil der Angriffe ordnet das Innenministerium dem rechtsextremen Spektrum zu. Auch dürfte die Dunkelziffer an rassistisch und rechts motivierten Gewalttaten hoch sein, da diese häufig nicht als solche anerkannt werden.
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