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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2024

von Ivesa Lübben

In einer mit Spannung erwarteten Erstentscheidung erklärte der Internationale Gerichtshof (IGH) am 30.April in Den Haag zur Enttäuschung vieler Palästinenser:innen, dass er keine Maßnahmen gegen Deutschland anordnen würde.

Nikaragua hatte – unterstützt von Kolumbien – gefordert, das Gericht solle Deutschland untersagen, Waffen an Israel zu liefern und Berlin auffordern, die Hilfszahlungen an die UNRWA wieder aufzunehmen. In manchen deutschen Medien wurde aus dem IGH-Urteil die Schlussfolgerung gezogen, Deutschland dürfe weiterhin Waffen nach Israel exportieren. Aber dies ist entweder Wunschdenken oder eine bewusste Irreführung der öffentlichen Meinung.

Der IGH stellt in der Begründung seiner Entscheidung lediglich fest: "Auf der Grundlage der von den Parteien vorgetragenen tatsächlichen Informationen und rechtlichen Argumente kommt das Gericht zu dem Schluss, dass die Umstände derzeit nicht so liegen, dass es von seiner Befugnis nach Artikel 41 der Satzung Gebrauch machen müsste, um einstweilige Maßnahmen anzuordnen."

Die Bundesregierung hatte in ihrer Stellungnahme darauf hingewiesen, in Deutschland stehe erstens ein akribisches Instrumentarium zur Verfu?gung zu überprüfen, ob die Entscheidungen über Waffenexporte in Übereinstimmung mit nationalen, europäischen und internationalen Gesetzen stünden. Zweitens gibt sie zu, dass im Oktober 2023 Waffenlieferungen im Wert von 200 Mio. Euro nach Israel genehmigt wurden, dabei habe es sich aber um Trainingsausrüstung und Panzerabwehrraketen – also Defensivwaffen – gehandelt. Seitdem seien die Genehmigungen stark zurückgegangen. Im November seien nur noch Waffen im Umfang von 24 Mio. Euro, im März 2024 von einer Mio. Euro geliefert worden. Eine Entscheidung über die Lieferung von Panzermunition, die in Gaza eingesetzt werden könnte und über die die Presse berichtet hatte, sei nicht erfolgt. Auch die finale Entscheidung über die Auslieferung des U-Bootes INS-Drakon, die im August in Kiel zu Wasser gelassen wurde, sei bislang nicht erfolgt. Dies war dem IGH zu wenig Substanz, um dringliche Maßnahmen zu verhängen.

Das bedeutet aber in keinster Weise, dass Deutschland nach Belieben Waffen nach Israel verkaufen darf. Im Gegenteil: Der IGH hat noch einmal explizit auf seine Entscheidungen vom 26.Januar und vom 28.März 2024 in dem Verfahren Israel vs. Südafrika Bezug genommen, worin der Anfangsverdacht, dass Israel in Gaza einen Genozid verübt, bestätigt wird. Der IGH hat alle Drittstaaten – also auch Deutschland – daran erinnert, dass sie entsprechend der internationalen Genozid-Konvention (Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords) verpflichtet sind, Genozid zu verhindern.

Der IGH hat außerdem den Antrag Deutschlands abgelehnt, den Fall damit als erledigt zu betrachten. Das bedeutet im Klartext: Sollte sich erweisen, dass die deutschen Angaben inkorrekt sind, oder sollte Deutschland in Zukunft Waffen exportieren, die in Gaza eingesetzt werden, kann sich Nikaragua im Kontext des laufenden Verfahrens an den IGH wenden, der sich seinerseits vorbehält, Sofortmaßnahmen gegen Deutschland zu verhängen, ohne dass ein neues Verfahren eingeleitet werden muss. Das Urteil ist also keineswegs ein Blankoscheck für Waffenlieferungen, sondern ein Warnsignal, genau diese zu unterlassen.

Dokumentiert aus: https://dpg-netz.de/wp-content/uploads/Rundbriefe/DPG-Rundbrief-Mai-II-2024.pdf
Die Autorin ist im Präsidium der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft.
Alle Dokumente zu dem Verfahren können über die Webseite des IGH abgerufen werden unter: https://www.icj-cij.org/case/193

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