Der Europäische Tag der Inklusion auf den Ruhrfestspielen
von Rolf Euler
Bis zum 8.Juni finden die Ruhrfestspiele in Recklinghausen statt. Am 5.Mai gab es eine Sonderveranstaltung anlässlich des Europäischen Protesttags für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Ein Grund war: Auch bei den Festspielen gibt es Theatervorführungen, an denen Menschen mit Handicap teilnehmen. Und diesen sollte am 5.Mai eine größere Öffentlichkeit gegeben werden.
Es trat eine französische Pantomimegruppe auf, die ein beeindruckendes Spiel von Ablehnung und Zuwendung für Behinderte von ihnen selbst zeigte, darunter ein Schauspieler im Rollstuhl. Nur mit Gesten, Bewegungen, Tanz, Kampfdarstellung, Umarmungen, Abschiebung – aber auch mit Hilfen für den im Rollstuhl Sitzenden überzeugte die Gruppe Compagnie de danse – Mashup das Publikum vom Anliegen des Protesttags und von der Not vieler Behinderter, die, ohne dass es bekannt wird, diskriminiert, angegriffen oder benachteiligt werden.
Die Grüne Europaabgeordnete Katrin Langensiepen, die vergeblich gehofft hatte, sie sei nicht die einzige mit sichtbarer Behinderung im Europaparlament, hielt eine fulminante Rede über diesen Skandal: Trotz der »längst verabschiedeten UN-Behindertenrechtskonvention sind wir immer noch weit entfernt von einem inklusiven Europa. Immer noch dominieren ableistische (vorurteilsbehaftete, diskriminierende) Strukturen und der Grundgedanke, dass wir Menschen mit Behinderungen ›geschützt‹ und abgeschottet werden müssen.«
Sie ging auf den mühsamen Werdegang aller ein, die taub oder blind oder mit anderen Einschränkungen an Körper und Geist geboren sind oder durch Krankheit dazu gekommen sind. Oft verbleiben sie in Werkstätten ohne wirkliche Förderung. Inklusion wird aus Kostengründen an den Schulen nur unzureichend betrieben – es fehlen Fachkräfte.
Wenig bekannt ist, was an diesem Protesttag vor den EU-Wahlen von ihr betont wurde: »800000 Menschen mit Behinderungen wurden bei der letzten Europawahl rechtlich davon ausgeschlossen zu wählen. Das ist ein Skandal und beschämend für die EU … Nur 13 Länder gewähren das Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen unabhängig von ihrem Betreuungsstatus. In Deutschland hat es bis 2019 gedauert, bis dies durch eine Klage am Bundesverfassungsgericht geändert wurde.«
»Nichts über uns ohne uns!«, lautet die aktuelle Forderung. Menschen mit eingeschränkten Möglichkeiten müssen mit am Tisch sitzen, und nicht nur »dabei sein«, sondern gleichberechtigt mitbestimmen, vor allem, wenn es um gesetzliche Änderungen, um Kampf gegen die Diskriminierung geht.
Ein wichtiger Punkt in ihrer Rede bezog sich auf den Unterschied von »Integration« und »Inklusion«. Die Forderung nach Integration bedeutet, dass sich die Minderheit der eingeschränkt fähigen Menschen an die Mehrheit anpassen sollte, das heißt, sie sind diejenigen, die sich einfügen sollen. Die Forderung nach Inklusion, wie sie auch an die Schulen und in Unternehmen gestellt wird, heißt, dass die Institutionen und die Mehrheit Möglichkeiten zur Verfügung stellen müssen, dass alle gleichberechtigt an Bildung, Beruf, Teilhabe, Wahlen und gesellschaftlichem Leben mitwirken können.
Wie man überall hört, wirft insbesondere die Inklusion an Schulen nach wie vor große Probleme auf, da zu wenige zusätzliche Fachkräfte parallel im Unterricht mitmachen und die Eltern der als »normal« bezeichneten Schüler:innen oft nicht einverstanden sind, weil sie den Mangel sehen, aber nicht abhelfen können.
Eingeschränkte Fähigkeiten bei vielen Menschen gehen oft einher mit besonderen Leistungen auf anderem Gebiet. So gibt es seit mehreren Jahren bei den Ruhrfestspielen eine inklusive Laientheatergruppe namens Kawumm, die mit modernen und pfiffigen Theaterstücken Rollstuhlfahrende oder anders eingeschränkte Menschen bühnenwirksam ihre eigene Rolle spielen lassen. Riesiger Applaus auch in diesem Jahr belohnte sie.
Die Ruhrfestspiele machen auch in anderer Hinsicht vor, wie es gehen sollte: Die ganze Zeit über haben Gebärdendolmetscher:innen für Gehörlose übersetzt. Aber es kam auch eindringlich zum Ausdruck, dass vor allem in Deutschland noch viel getan werden muss, um wirklich Inklusion auf allen Ebenen zu verwirklichen.
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