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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2024

VW-Beschäftigte in Chattanooga, USA, haben einen historischen Erfolg erzielt
von Dianne Feeley

Am 19.April 2024 stimmte die überwältigende Mehrheit der Volkswagen-Arbeiter in Chattanooga, Tennessee, für den Beitritt zur Automobilarbeitergewerkschaft United Auto Workers (UAW) – ein historischer Erfolg, der erste Erfolg der UAW bei einer Gewerkschaftswahl in einer Autofabrik des US-amerikanischen Südens seit 1940. Ziehen die anderen Autohersteller dort jetzt nach?

Dianne Feeley lebt in Detroit, Michigan, und hat früher bei Ford und bei American Axle, einem Autozulieferer, gearbeitet. Sie ist auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben im Local 22 der United Autoworkers (UAW) aktiv und schreibt für Labor Notes, der wichtigsten Zeitschrift konsequenter Gewerkschaftsaktiver in den USA

Die VW-Beschäftigten haben sich über den Rat von sieben Gouverneuren der Südstaaten hinweggesetzt. Diese hatten behauptet, ein Votum für die UAW würde die Arbeitsplätze der Beschäftigten und »die Werte, wonach wir leben«, gefährden. 84 Prozent aller wahlberechtigten Arbeiter nahmen an der Abstimmung teil, von denen 73 Prozent mit Ja stimmten. Die endgültige Auszählung ergab 2628 Ja- und 985 Nein-Stimmen. Zwei frühere werksweite Organisierungskampagnen – 2014 und 2019 – waren knapp gescheitert.

Die Vorgeschichte
Bei ihrem »Stand-up strike« gegen die drei großen Konzerne in der US-Autoindustrie im vergangenen Jahr hatte die UAW erstmals innovative Methoden angewandt, um die Großen Drei – Ford, General Motors und Stellantis1 – zu zwingen, weit mehr zu zahlen, als sie beabsichtigten. Zum ersten Mal wurden alle drei Unternehmen gleichzeitig bestreikt, wobei von Woche zu Woche entschieden wurde, welche Werke in den Streik einbezogen werden sollten. So wussten die Unternehmen nicht, welches ihrer Werke als nächstes bestreikt würde, und sie gerieten in einen Wettstreit untereinander, um die Forderungen der UAW zu erfüllen. In wöchentlichen Videos wurden die Gewerkschaftsmitglieder über die laufenden Verhandlungen informiert und die neuen Ziele angekündigt.
Im Gegensatz zu anderen Gewerkschaften hat die UAW eine lange Streiktradition. Doch seit den Zugeständnissen der frühen 80er Jahre führten diese Streiks oft zu Verträgen, die immer größere Zugeständnisse machten. In den 80er und 90er Jahren wurde die US-amerikanische Automobilindustrie umstrukturiert, und die Unternehmen verlangten von der Gewerkschaft die Unterzeichnung verschiedener Programme zur Intensivierung der Arbeit. Dazu gehörten eine schlanke Produktion, Gruppenarbeit, die Verschärfung der Fehlzeitenregelung sowie Werksschließungen und der Verkauf vieler Zubehörwerke der Großen Drei.
Im Laufe der Jahre lehnten verschiedene oppositionelle Strömungen innerhalb der UAW diese Zugeständnisse ab und kämpften für eine demokratischere Gewerkschaft. Als eine der erfolgreichsten von ihnen, New Directions, örtlich Verträge ohne Zugeständnisse abschloss, wurde sie vom Gewerkschaftsapparat, dem sog. Administration Caucus, mit der Begründung zerschlagen, Zugeständnisse seien notwendig, um die Werke zu erhalten.
Die Wirtschaftskrise von 2008 bot den Unternehmen Gelegenheit, eine weitere Runde von Zugeständnissen zu verlangen. Die Regierung hatte ein Rettungspaket für Chrysler und GM geschnürt, verlangte aber, die UAW-Beschäftigten müssten »Opfer« bringen, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten, und ihr Streikrecht aussetzen. Tatsächlich setzten die Großen Drei auch den Lebenshaltungskostenausgleich aus, den wichtigsten Mechanismus zur Anhebung der Löhne.
Die UAW-Führung erarbeitete gemeinsam mit der Unternehmensleitung ein gestaffeltes System, das die nächste Generation zu geringeren Löhnen und weniger Leistungen verdammte. Sie öffnete auch die Tür für »permanente« Zeitarbeiter. Die UAW verteilte eine Lightversion der entsprechenden Verträge und versprach, in guten Zeiten würde das Verhandlungsteam das, was aufgegeben wurde, wieder zurückholen. Damit überzeugte sie eine zögerliche Mehrheit, dem Vertrag zuzustimmen. Abweichende Stimmen wurden übertönt – bis 2019 aufgedeckt wurde, dass Korruption mit im Spiel gewesen war. Sechzehn Funktionäre und einige Führungskräfte von Unternehmen wurden wegen Bestechung und Schmiergeldern verurteilt, darunter der damalige und ein ehemaliger Präsident der UAW International. Mit Partys in teuren Hotels und 1000-Dollar-Zigarren brachten Gewerkschaftsfunktionäre mindestens 3,5 Millionen Dollar Mitgliedsbeiträge durch.
Daraufhin überzeugte die Gewerkschaft Unite All Workers for Democracy (UAWD), die sich für Wahlgleichheit (ein Mensch – eine Stimme) bei der Wahl der gewerkschaftlichen Spitzenpositionen einsetzt, den Wahlbeobachter der Bundesregierung, ein Mitgliederreferendum zu fordern. Da die Empörung über die Korruption groß war, konnte eine Direktwahl des Vorstands der UAW International durchgesetzt werden. Die Wahl zog sich über mehrere Monate hin, ihr Ergebnis schwächte den Einfluss des Apparats. Am 23.März stand der neue Vorsitzende der UAW fest: Shawn Fain.

Der Streik bei den Großen Drei
Die neue Führung wusste, dass sie eine Strategie entwickeln musste, um in den Tarifvertragsverhandlungen 2023 die Macht der Mitglieder zur Geltung zu bringen. Um die jahrelangen Zugeständnisse rückgängig zu machen, verpflichtete sich die neue Führung, mit Korruption und Zugeständnissen Schluss zu machen. Sie begann eine Social-Media-Kampagne, mit der sie die Mitglieder erreichte. In kurzen wöchentlichen Videos enthüllte der neue Vorsitzende das Ausmaß der Unternehmensgewinne, er konzentrierte sich dabei insbesondere auf die Nebeneinkünfte der Vorstandsvorsitzenden. Dann fasste er die wichtigsten Forderungen zusammen: 40 Prozent mehr Lohn, die Abschaffung des Zweiklassensystems bei der Entlohnung, die Wiedereinführung des Lebenshaltungskostenausgleichs und die Anhebung der Betriebsrenten. Die neue UAW-Führung übernahm von den Teamsters, der Gewerkschaft der Lkw-Fahrer, die Methoden »Streikposten üben«, Kundgebungen und »Red-shirt days« (Tage der roten Hemden), die diese bei ihren Streikmobilisierungen einsetzen.
Neben den wöchentlichen Facebook-Updates stellte die Gewerkschaft eine Reihe von Videos zusammen, in denen Arbeiter ihre Geschichte erzählen. Das war sehr wirkungsvoll, es zeigte, wie »gewöhnliche« Mitglieder um ein besseres Leben für sich selbst kämpften. Zusammen mit Bildern von Kundgebungen und dem »Streikposten üben« vermittelten diese Videos ein Gefühl der Gemeinschaft.
Shawn Fain begann seine Facebook-Updates jeweils mit Berichten von UAW-Aktionen außerhalb der Großen Drei, die an Verhandlungen und Streiks beteiligt waren. Er flocht in seine Reden die Geschichte seiner Großeltern ein, die während der Depression der 30er Jahre aus dem Süden in den Norden kamen, um Arbeit zu finden. Er erzählte, wie ihn der Anblick von Fotos von Einwanderern an der US-Grenze an den Auszug seiner Großeltern erinnerte. Anders als Trump, der die Einwanderer als Gift für Amerika dämonisiert, betrachtete er sie als seine Familie.
In einer Rede über die Ungleichheit, die das heutige Amerika beherrscht, rief Fain die Mitglieder auf: »Setzen wir uns für uns selbst und für die Arbeiterklasse ein. Setzen wir uns für künftige Generationen ein. Lasst uns aufstehen für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit. Lasst uns aufstehen und wieder einmal gemeinsam Geschichte schreiben.« So wichtig der Streik bei den Großen Drei auch werden würde, die Aufgabe der Gewerkschaft ging weit darüber hinaus.
Während des 45tägigen Streiks konnten zwar nicht alle Forderungen durchgesetzt werden, aber es war ein dramatischer Schritt nach vorn: Er führte zu einer 25prozentigen Lohnerhöhung, zur Wiedereinführung des Lebenshaltungskostenausgleichs, einer kleinen jährlichen Anhebung der Renten und einem Ende der Zweiklassenlöhne. Er öffnete auch die Tür für eine UAW-Vertretung in Joint-Venture-Batteriewerken, die noch nicht einmal gebaut sind.
Wie bei allen Verhandlungen blieben einige Forderungen auf dem Tisch, insbesondere die Verkürzung der Wochenarbeitszeit (»32 für 40«) und die Angleichung der Leistungen für Arbeiter der zweiten und dritten Schicht. Angesichts jahrelanger Zugeständnisse und einen auf nur noch 150000 Arbeiter stark geschrumpften Automobilsektor wird der Vertrag mit den Großen Drei jedoch zum Maßstab für die doppelte Aufgabe, die sich nun anschließt: Die Errungenschaften müssen in Kämpfe am Arbeitsplatz umgesetzt werden; und die noch nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten in den Montagefabriken von einem knappen Dutzend ausländischer Werke sowie bei den E-Auto-Herstellern Rivian und Tesla müssen als Mitglieder gewonnen werden.

Eine neue Strategie
Als sie sahen, wie sich der Streik bei den Großen Drei entwickelte, überschwemmten nicht gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte die UAW mit Anfragen, wie sie der kämpferischeren und demokratischeren Gewerkschaft beitreten konnten, zu der sich die UAW nun entwickelte. Noch bevor die nationalen Verträge mit den drei großen Autokonzernen unterzeichnet wurden, entwickelte die neue UAW ein dreiteiliges Organisierungsziel:
Die Beschäftigten eines bestimmten Werks sollten sich selbst organisieren und darauf hinarbeiten, dass in einem ersten Schritt 30 Prozent der Beschäftigten einen Aufnahmeantrag unterzeichneten. Dann sollte eine Mehrheit für die Mitgliedschaft gewonnen werden; zugleich sollte das Organisierungskomitee mit der UAW zusammenarbeiten, um die Organisierungskampagne bekannt zu machen. Sobald 50 Prozent der Belegschaft unterschrieben hätten, würde das Organisationspersonal der UAW beim Aufbau von Unterstützung durch die Community helfen, einschließlich Massenveranstaltungen. Bei einer Quote von 70 Prozent würde die UAW einen Antrag auf Anerkennung der Gewerkschaft stellen bzw. eine Wahl unter der Aufsicht der US-Bundesagentur für Arbeitsrechtsfragen (National Labor Relations Board – NLRB) anstreben. (Einige Südstaaten, die sich auf das »Recht zu arbeiten« berufen, schließen eine Anerkennung der Gewerkschaft durch die Unternehmensleitung aus, sodass eine Wahl durchgeführt werden muss. Der NLRB kann dem Antrag entweder Folge leisten oder ihn zu den Akten legen.)
Diese klaren Ziele ermutigten die Arbeiter herauszufinden, auf welchen Wegen sie am effektivsten mit ihren Kollegen ins Gespräch kommen konnten. In der Vergangenheit hatten die UAW-Organisatoren auf Hausbesuche gesetzt und betont, bei Gesprächen mit den Beschäftigten im und um das Werk herum vorsichtig, ja fast klandestin vorzugehen. Geheimniskrämerei sendet jedoch die falschen Signale aus. Zwar bietet das Arbeitsrecht denen, die am Arbeitsplatz organisieren, nur einen minimalen Schutz, dennoch ist eine aggressive Strategie erforderlich, um den Einschüchterungsversuchen des Unternehmens zu begegnen. Die Botschaft lautete nun: Wer eine Gewerkschaft gründen will, muss anfangen, als eine solche zu handeln. Das wird andere Beschäftigte ermutigen und inspirieren.

Die Kampagne bei Volkswagen
Die Beschäftigten bei Volkswagen waren die ersten, die den Weg nach draußen fanden. Im Jahr 2014 hatte eine Teilbelegschaft, hauptsächlich Facharbeiter, mit 712 Ja zu 626 Nein gestimmt, 2019 waren es 833 zu 776. Danach waren einige entmutigt, doch viele waren der Meinung, die Strategie der neuen UAW könne zu einem Sieg führen. Sie waren sich der Zuckerbrot-und-Peitsche-Methoden, die ihr Arbeitgeber gegen sie anwenden würde, durchaus bewusst. Sie waren sich auch der Rolle, die die Politiker spielen würden, sehr bewusst.
Die Unternehmensleitung ordnete eine Betriebsversammlung mit Anwesenheitspflicht an, dort trat der Gouverneur des Bundesstaats Tennessee auf und empfahl den Arbeitern, mit Nein zu stimmen. Bill Lee ist ein Republikaner, dessen Familie ein Bauunternehmen mit einem Jahresumsatz von über 220 Millionen Dollar besitzt.
Das Organisationskomitee aus Freiwilligen kam nun zum Schluss, dass es angesichts der aggressiven Geschäftsführung schnell handeln und sich auf die Mitgliedsanträge konzentrieren musste. Innerhalb von zwei Wochen hatte es 30 Prozent der Anträge beisammen; nach zwei Monaten hatten 50 Prozent der Belegschaft einen Antrag ausgefüllt. Nach der ersten Etappe übergaben Shawn Fain und eine Delegation von Menschen aus der Gemeinde und den Religionsgemeinschaften einen Brief, in dem sie das Volkswagen-Management aufforderten, seine antigewerkschaftliche Politik aufzugeben. Etwa zur gleichen Zeit erhielten die Beschäftigten und VW ein Schreiben des Europäischen und des Weltbetriebsrats, in dem Volkswagen »schwerwiegende Konsequenzen« angedroht wurden, wenn sich die Geschäftsleitung bei der bevorstehenden Abstimmung nicht neutral verhalten würde. Dieses Solidaritätsschreiben war wichtig.
Aus den Berichten über das freiwillige Organisationskomitee der VW-Beschäftigten geht hervor, dass es effektiv war, weil es so vielfältig war. Es umfasste Beschäftigte aus verschiedenen Berufsgruppen, Werksbereichen, Schichten und mit unterschiedlichem Hintergrund. Sie spielten auch unterschiedliche Rollen, wobei einige sichtbarer waren, da sie Material auf dem Parkplatz oder in den Pausenräumen verteilten. Andere fungierten eher als »Augen und Ohren«, die wichtige Rückmeldungen gaben. Die Aktivisten kamen zu dem Schluss, dass sie sich auf ihre Arbeitsbedingungen konzentrieren würden und sich nicht in Parteipolitik hin­einziehen lassen wollten, die nur rechten Argumenten gegen die UAW Tür und Tor öffnen konnte.
Die UAW-Aktivisten waren auf die gewerkschaftsfeindliche Rhetorik von Volkswagen und Politikern gut vorbereitet. Sie hatten alles schon einmal gehört:
– Wenn die UAW die Vertretung gewinnt, wird Volkswagen das Werk schließen.
– Volkswagen hat sein erstes Werk in den USA geschlossen und abgebaut, weil es Probleme mit der Belegschaft hatte, die von der UAW vertreten wurde. Warum sollte VW das in Chattanooga nicht tun?
– Das Unternehmen hat »Talking Points« vorbereitet, die die Vorgesetzten den Arbeitern vorlesen.
– Politiker warnten die Arbeiter vor der UAW. Gouverneur Lee sprach auf einer Betriebsversammlung gegen die UAW. Der National-Right-to-Work-Ausschuss2 verschickte Hunderte von Botschaften an die VW-Beschäftigten.
Der Druck von außen zeigte diesmal weniger Wirkung. Die Arbeiter fragten sich, welche »Werte« sie verlieren würden, wenn sie für einen Beitritt zur UAW stimmten. Schließlich werden auch die GM-Beschäftigten im nicht weit entfernten Werk Spring Hill von der UAW vertreten, ebenso die im profitabelsten Werk von General Motors in Arlington, Texas, und die der Ford-Werke in Kentucky. Und in jedem anderen Volkswagenwerk der Welt ist die Belegschaft gewerkschaftlich organisiert. Einige Beschäftigte fragten sich, ob der monatliche Gewerkschaftsbeitrag die Sache wert wäre. Doch die UAW-Aktivisten erwiderten, dass es hier nicht um eine Versicherung geht. Ein Beitritt zur UAW bedeutet, eine Kraft aufzubauen, die die notwendigen Veränderungen herbeiführt, angefangen bei den alltäglichen Problemen.
Das freiwillige Organisationskomitee zog Lehren aus früheren Versuchen und nutzte das Wissen derer, die bereits auf anderen Arbeitsplätzen einer Gewerkschaft angehört hatten. Sie verteilten Flugblätter auf dem Parkplatz und in den Pausenräumen, sprachen über Probleme am Arbeitsplatz und widerlegten Argumente von Politikern, die ihre Probleme nicht kannten. Einer der wichtigsten Beiträge war die Produktion kurzer Videos. Darin kamen verschiedene Arbeiter zu Wort, viele mit Südstaatenakzent. Das zeigte, dass die Bewegung lokal verwurzelt war. Als die Wahl näher rückte, meldeten sich 300 Beschäftigte freiwillig als Wahlbeobachter. Diese hohe Beteiligung machte alle zuversichtlich, dass sie gewinnen würden.
Nun, da der NLRB die Wahl bestätigt hat, ist Volkswagen rechtlich verpflichtet, mit der UAW zu verhandeln. Aber wird das Unternehmen, das nicht verhindern konnte, dass seine Belegschaft ein UAW-Verband wird, einem Vertrag wie dem mit den Großen Drei zustimmen, oder wird es Straßensperren errichten?

Was Unternehmen gelernt haben, was Arbeitern bevorsteht
Unternehmen in ausländischem Besitz, angeführt von Volkswagen, aber bald gefolgt von Toyota, haben schnell gelernt, wie man in den USA Fabriken hochzieht. Erstens wurden sie von vielen Bundesstaaten umworben, die ihnen Steueranreize und Zuschüsse anboten. Zweitens lernten sie, ihre Werke in ländlicheren Gegenden zu errichten, wo es nach der Schließung früherer Industrien weniger Arbeitsmöglichkeiten gab. Drittens lernten sie, wie sie es vermeiden können, Beschäftigte mit gewerkschaftlichem Hintergrund einzustellen, und verließen sich bei der Personalbeschaffung zunehmend auf Zeitarbeitsfirmen.
Die ausländischen Unternehmen zahlten höhere Löhne als die Unternehmen in der Umgebung und konnten manchmal mit den Löhnen in UAW-Betrieben mithalten, aber ihre Sozialleistungen waren selten besser. Sie beobachteten auch die Zugeständnisse, die die UAW den Großen Drei machte, und passten sich entsprechend an. Der Gesundheitsschutz und die Sicherheit am Arbeitsplatz waren jedoch deutlich schlechter – teilweise, weil die Vorschriften der südlichen Bundesstaaten schwächer waren.
So wie die ausländischen Unternehmen in den USA neue Geschäftspraktiken lernten, so holten sich die Großen Drei und die in den 90er Jahren ausgegliederten Zulieferbetriebe Tipps von den Neulingen. Sie lernten voneinander. Erst durch das Aufbrechen der Sperre der Zugeständnisse bei den Großen Drei konnte die Tür zur Beseitigung der Ungleichheiten geöffnet werden, die in nicht gewerkschaftlich organisierten Werken herrschen.
Das Scheinwerferlicht richtet sich nun auf die Beschäftigten von Mercedes-Benz. Sie haben zwar nicht die Erfahrung von »Beinahesiegen« wie die VW-Beschäftigten, aber auch sie haben direkt nach dem UAW-Streik eine Lohnerhöhung erhalten und betrachten dies nun als Ansporn. Äußerungen von Mercedes-Arbeitern zeigen, dass sie einen kämpferischen Geist haben.
Die Gouverneurin von Alabama, Kay Ivry, erklärte kühn, sie werde alles in ihrer Macht stehende tun um zu verhindern, dass das »Modell Alabama« von der UAW angegriffen werde. Sie wies darauf hin, dass Alabama auch die Heimat von Honda, Hyundai, Toyota, Mazda und verschiedenen Zulieferbetrieben sei. Mit einerJahresproduktion von 1,3 Millionen Autos, Geländewagen und Lkw sei der Bundesstaat führend in der Automobilherstellung. Dies sei das Ergebnis von »großartigen« Arbeitgebern und hart arbeitenden Beschäftigten. Fleißige Menschen haben es offenbar nicht nötig, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
Wie auch immer die Abstimmung bei Mercedes-Benz ausgehen wird, Ivry ist bereit, sich der UAW entgegenzustellen. Und ein Sieg von Trump im November würde sicherlich einen anderen National Labor Relations Board bedeuten. In der Zwischenzeit ermutigt die UAW alle Gewerkschaften, das Datum des Auslaufens ihrer Verträge auf den 1.Mai 2028 zu verlegen. Dann könnte die Gewerkschaftsbewegung erneut zu einem unternehmensübergreifenden Streik aufrufen. Die Fronten sind abgesteckt.

Quelle: www.labornotes.org/.

  1. Stellantis ist der Konzern, der aus dem ­Zusammenschluss von Fiat, Chrysler und Peugeot hervorgegangen ist.
  2. Der National-Right-to-Work-Ausschuss ist ein ultrakonservativer Lobbyverband von Politikern und Industriellen, die sich unter der Losung »Recht zu arbeiten« gegen gewerkschaftliche Interessenvertretung wenden. Zu seinen maßgeblichen Mentoren gehören die Gebrüder Koch.
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