Für die Studierenden gibt es kaum Unterstützung
von Ayse Tekin
In Deutschland hat es einige Versuche gegeben, Forderungen wie »Krieg in Gaza beenden« auch an die Universitäten zu tragen: Berlin, Bremen, Leipzig, Köln, Bonn, Mainz, Frankfurt a.M., München sind einige Beispiele. Es gibt aber eine hohe Fluktuation und die Camps werden nur ein oder zwei Wochen lang erlaubt. So entstehen keine nachhaltigen Strukturen, einige wurden schon aufgelöst.
Die Räumungen sind von den Universitätsleitungen oder auch Stadtverwaltungen angeordnet. Die Protestierenden erhalten Unterstützung aus akademischen Kreisen, aber kaum von der Öffentlichkeit. Das Gegenteil ist der Fall.
In Berlin wurde ein von über hundert Personen errichtetes Studierendencamp an der Freien Universität brutal aufgelöst, nachdem die Universitätsleitung die Polizei dazu aufgefordert hatte. Das ist ein Bruch der Tradition dieser Uni, wo 1968 das erste deutsche Sit-in stattfand. Nach der Auflösung gab es Festnahmen wegen Volksverhetzung und Hausfriedensbruchs.
Ähnliches geschah in Leipzig und Bremen. Die Studierenden fordern ein Ende des Krieges, die Einstellung des wissenschaftlichen Austausches mit Israel, aber auch das Ende der Besatzung und die Einstellung der Waffenlieferungen an Israel. Das gleiche Schicksal ereilte wenig später die Studierenden an der Humboldt-Universität, auch dort rief der Rektor die Polizei.
Mehrere Professoren haben nach der Auflösung der Protestcamps an den Hochschulen vor weiteren Einschränkungen des Versammlungsrechts gewarnt. Die Bundesbildungsministerin und Berlins Wissenschaftssenatorin äußerten sich »schockiert« über diese Erklärung. Bild titelte: »Linksextreme haben deutsche Unis unterwandert«.
In anderen Medien wird mal eine Seite, mal die andere präsentiert. Der Tagesspiegel in Berlin meint, Universitäten würden immer entschlossener gegen »Israel-Hass-Demos« vorgehen. Ein Teil der Unimitarbeiter, die dies kritisieren, würden »sich häufig mit Gender, Migration und Rassismus befassen und eher selten Professoren« sein.
Die Süddeutsche Zeitung brachte auch andere Stimmen, etwa die Direktorin des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien, Miriam Rürup. Sie sagte, dass »die Repression definitiv keine Antwort ist. Vielmehr müssten Hochschulleitungen und Lehrende Räume zum Diskutieren schaffen. Eine Einschränkung von Grundrechten wie dem Versammlungsrecht schade letztlich auch Jüdinnen und Juden in Deutschland.«
Abschottung
Durch die erhitzte Debatte sind Empathie und Gesprächsbereitschaft verloren gegangen. Mittlerweile wollen beide Seiten auch nicht mit der Presse reden, viele wollen nicht unter vollem Namen zitiert werden.
Angesichts der Drohung, ein Hausverbot zu bekommen, exmatrikuliert zu werden oder ein Studierendenvisum zu verlieren, scheint diese Angst durchaus berechtigt, erschwert allerdings die Möglichkeit des Anschlusses an die Öffentlichkeit. Auf Instagram- und TikTok-Accounts wird die Empfehlung ausgesprochen, nicht mit der Presse zu reden.
Das Verbot der Palästina-Solidarität Duisburg durch NRW-Innenminister Herbert Reul und die danach folgenden Hausdurchsuchungen bei den Mitgliedern hat die Lage noch verschlechtert.
Das Zeltlager vor der Universität Köln besteht schon länger, da die sog. Kölner Uniwiese eine öffentliche Einrichtung ist und die Leitung der Universität hier kein Hausrecht hat. Es fehlte dennoch nicht an Erklärungen gegen diesen Protest, auch seitens des AStA der Universität. Distanziert haben sich auch andere palästinensische Gruppen in Köln.
Das Camp in Köln wurde am Ende einer Kundgebung Anfang Mai ad hoc von den Teilnehmenden errichtet. Nach eigenen Aussagen sind die Initiator:innen nicht von der Kölner Uni, sondern aus anderen Universitäten aus NRW. Sie erwarteten mit der Aktion den Anschluss der Kölner Studierenden. Es gab Irritationen, und die Gruppe Palästina-Solidarität Köln gab auf Instagram an, dass sie die Aktion aufgrund des fehlenden Willens zur Zusammenarbeit nicht mitmachen will. Aus deren Sicht wird das Camp nur für einen Livestream des Initiators auf TikTok ausgenutzt.
Mittlerweile nehmen mehr Kölner Studierende an dem Zeltlager teil und ändern den Diskurs. Sie wollen weiterhin dort bleiben, mit palästinensischen Gruppen und dem AStA Kontakt aufnehmen.
Proteste ausweiten
In Bonn wurde das Camp auf einem Seitenweg der Uniwiese errichtet, es hat sich den Namen »Hofgarten against Occupation« gegeben. Die Teilnehmenden appellieren an die Unileitung und an die Regierung, »keine Komplizin bei Israels verbrecherischer Gewalt in Palästina« zu sein. Das Zeltlager ist größer als das Kölner und hat für alle Bedürfnisse Platz geschaffen. Gemeinsam wird Shabbat gefeiert und es gibt ein Gebetszelt sowie ein inhaltliches Programm zu den konkreten Anliegen. Ein offener Brief zur Unterstützung der Studierenden wurde von über 50 Akademiker:innen unterschrieben.
So ist jedes der Protestcamp anders. Einige wurden von kleinen, selbsternannten Führungsgruppen oder -personen stramm von oben nach unten geführt und organisiert, während andere versuchen, einen offenen Austausch zu fördern. Alle haben Probleme mit der Infrastruktur: Aufbau und Instandhaltung der Lager, Beschaffung von Lebensmitteln, Aufstellung von Campregeln. Das alles nimmt viel Zeit in Anspruch, wobei unklar bleibt, wie lange die Strukturen aufrechterhalten werden können.
Mittlerweile gibt es zumindest einen digitalen Austausch unter den Teilnehmenden verschiedener Zeltlager. Der muss aber auch mit der Öffentlichkeit außerhalb stattfinden. Dafür müssten alle Beteiligten bereit sein, einen entsprechenden Dialog zu beginnen. Das heißt, eine erweiterte Protestbewegung mit breiterer Beteiligung ist notwendig.
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