Wirtschaft und Rechtsextreme Hand in Hand – Ein Wahlsieg der BJP wird die hinduistische Vorherrschaft noch stärker zementieren
Gespräch mit Achin Vanaik
Seit dem 19.April wird in Indien gewählt, in mehreren Etappen. Am 4.Juni sollen schließlich alle Stimmen ausgezählt sein. Seit zwei Legislaturperioden regieren nun die rechtsextreme BJP und Premierminister Narendra Modi mit absoluter Mehrheit das mit seinen 1,4 Milliarden Menschen inzwischen bevölkerungsreichste Land. Welche Folgen würde eine dritte Amtsperiode haben?
Achin Vanaik ist Professor für Internationale Beziehungen im Ruhestand und ehemaliger Leiter der Fakultät für Politikwissenschaft an der Universität Delhi. Er ist u.a. Autor von The Rise of Hindu Authoritarianism. Secular claims, communal realities (Verso, 2017).
Für die SoZ sprach Dominik Müller mit Achin Vanaik über die Situation vor den Wahlen.
In Deutschland warnen große Unternehmen und die etablierten Parteien davor, für die Rechtsextremen zu stimmen, da dies das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen würde. Sie argumentieren, eine rechtsextreme Regierung würde ausländische Investoren und gut ausgebildete Arbeitskräfte davon abhalten nach Deutschland zu kommen. In Indien scheinen Konzerne und rechtsextreme Regierung gut zusammenzuarbeiten. Wie ist das möglich?
Die Hauptsorge großer indischer Unternehmen ist, dass die neoliberale Wirtschaftsorientierung intakt bleibt. Der neoliberale Wandel wurde Anfang der 1990er Jahre von der Kongresspartei eingeleitet. Als Modi 2014 mit der BJP die Regierungsgeschäfte übernahm, verfolgte er denselben Kurs, sorgte aber dafür, dass seine eigenen Kumpane aus seiner Zeit als Ministerpräsident von Gujarat, nämlich die Milliardäre Mukesh Ambani und Gautam Adani, begünstigt wurden. Ihre Konzerne gehören heute zu den führenden indischen transnationalen Unternehmen.
Die allgemeine Auswirkung der neoliberalen Wende ist in Indien anders als in Deutschland und im fortgeschrittenen Westen. Dort ist es für sehr große Teile der arbeitenden Bevölkerung schlimmer geworden im Vergleich zu früher, als es einen viel stärkeren Wohlfahrtsstaat und mehr Vollbeschäftigung gab.
In Indien hat die Ungleichheit ebenfalls dramatisch zugenommen, und die Wachstumsrate des Realeinkommens der unteren 50 Prozent ist sogar langsamer als in der vorneoliberalen Ära. Aber in absoluten Zahlen sind die Dinge besser, und Indien hatte nie ein vergangenes »goldenes Zeitalter« wie der Westen, mit dem die heutigen Bedingungen verglichen und als mangelhaft befunden werden könnten.
Darüber hinaus verfolgt Modi wie seine Vorgänger eine kompensatorische Form des Neoliberalismus, mit einigen gezielten materiellen »Werbegeschenken« für Frauen und ärmere Bevölkerungsschichten wie z.B. die Bereitstellung von Gasflaschen zum Kochen oder eine bescheidene monatliche Bargeldüberweisung auf Haushaltskonten, die erstmals in bestimmten Bundesstaaten eingerichtet wurden.
Neben dem zunehmenden ideologischen Einfluss des Hindunationalismus hat sich in der Öffentlichkeit die Ansicht durchgesetzt, dass das indische Großkapital, das von der Regierung »gelenkt« wird, größere »Trickle-down»-Vorteile für die breite Masse geschaffen hat. Natürlich gibt es Massenarmut und in den letzten Jahren eine wachsende Arbeitslosigkeit/Unterbeschäftigung der gebildeten Jugend. In Indien ist die öffentliche Wahrnehmung der Wirtschaftsleistung eine ganz andere als in Westeuropa, und die rassistische und ausgrenzende Ideologie der Modi-Regierung hat breitere Unterstützung.
Wenn Modi und die BJP die Wahlen ein drittes Mal gewinnen – was bedeutet das für Minderheiten und die politische Opposition in Indien?
Modi und die BJP werden zurückkommen. Die Frage ist, ob die BJP eine noch größere Mehrheit erringen wird oder nicht. Wenn ja, wird sie eine noch stärkere institutionelle und emotionale Sicherung der hinduistischen Vorherrschaft vorantreiben. Die beiden betroffenen religiösen Minderheiten sind Christen und Muslime, aber die BJP geht unterschiedlich vor.
Die Christen machen nur etwa 2,3 Prozent aus, während die Muslime zwischen 14 und 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Unter den nordöstlichen Staaten gibt es vier – Nagaland, Mizoram, Arunachal Pradesh und Meghalaya – in denen Christen die Mehrheit bilden. Hier besteht die Taktik von BJP und Sangh Parivar darin, mit den sie vertretenden politischen Parteien zusammenzuarbeiten und die Regierungsmacht zu teilen.
Der langsamere, schrittweise Prozess der Ausweitung des Hindutva-Einflusses und der Kontrolle vor Ort wird dem Aktivismus der Kader des Sangh Parivar und der Arbeit ihrer Schulen, Nichtregierungsorganisationen und anderer Organisationen der Zivilgesellschaft überlassen. Da der Westen über die Misshandlung von Christen besorgter ist als über die von Muslimen, sind die Hindutva-Kräfte ihnen gegenüber im allgemeinen vorsichtiger in ihrem Handeln.
Was die politische Opposition anbelangt, so ist das Ziel auf Wahlebene, den regionalen Einfluss der Parteien und ihre Unterstützung der Muslime systematisch zu verringern und sie zu schwächen, wenn es um die Regierungsführung in den Bundesstaaten geht. Promuslimische Parteien sollen es als Vorteil betrachten, sich mit der BJP zu verbünden, um eine gewisse Bedeutung zu behalten.
Auf der überparteilichen zivilgesellschaftlichen Ebene zensiert die Regierung zunehmend Print- und elektronische Medien. Sie richtete eine eigene »Faktenprüfstelle« ein, die befugt ist, Material zu entfernen, das als antinational gilt, religiöse Hindugefühle verletzt usw.
Die Ausweitung der Überwachungs-
kapazitäten und die neu eingeführten Strafgesetze gehören zu den Methoden, die zunehmend eingesetzt werden, um Andersdenkende einzuschüchtern, zum Schweigen zu bringen und um einige ausgewählte Andersdenkende zu bestrafen, unabhängig davon, ob sie liberal, links oder einfach nur gegen die BJP sind.
»Teile und herrsche« entlang religiöser Glaubensrichtungen war ein wichtiges Instrument der politischen Herrschaft während der britischen Kolonialzeit. Inwieweit verfolgen die BJP und der Sangh Parivar diese Politik?
Das britische »Divide and rule« sollte die Einheit der kolonialisierten Bevölkerung verhindern, als der Anteil der Muslime viel höher war als heute und Teile des Landes eine mehrheitlich muslimische Bevölkerung hatten.
Außerdem wollten die Briten beide Seiten schwächen, um ihre kolonialimperialistische Herrschaft aufrechtzuerhalten. Es ging nicht wie heute darum, einen religiös-exklusiven »Ethnonationalismus« zu etablieren, bei dem die ausgegrenzte Gruppe, nämlich die Muslime, dauerhaft auf den Status von verängstigten Bürgern zweiter Klasse reduziert wird. Sie sind die Hauptleidtragenden bei allen größeren religiösen Unruhen, seit 2014 sind sie die größten Opfer lokaler Selbstjustiz.
In vielen indischen Bundesstaaten gibt es Antikonversionsgesetze, die sich gegen Muslime richten, während Hindus offiziell mit der »Rückkonvertierung« zum »ursprünglichen Glauben« des Hinduismus davonkommen. In immer mehr Bundesstaaten müssen Eheschließungen zwischen muslimischen Männern und Hindufrauen erst von offizieller Seite geprüft und genehmigt werden, was nicht immer der Fall ist, wenn Familienangehörige oder Nachbarn behaupten, dass die Eheschließung erzwungen wurde oder dass die Braut vor der Hochzeit zum Islam konvertiert ist.
Sollte die BJP wieder an die Macht kommen, worauf alle Umfragen hindeuten, werden die verschiedenen Formen der Unterdrückung von Muslimen weitergehen.
Der Westen hält sich mit Kritik an Menschenrechtsverletzungen, Abbau der Rechtsstaatlichkeit und Gräueltaten an Minderheiten in Indien zurück. Ist das der Preis, den er zahlen muss?
Die heutige geopolitische Ordnung ist gekennzeichnet durch die Rivalität zwischen einem dominierenden westlichen imperialistischen Block, bestehend aus den USA und ihren jüngeren europäischen Verbündeten, und einem schwächeren imperialistischen Block, bestehend aus Russland und seinen Verbündeten sowie einer aufstrebenden imperialistischen Macht China.
Indien sieht aufgrund seines jahrzehntelangen Konflikts mit China die Notwendigkeit, sich mit den USA und dessen Partnerstaaten zu verbünden, was wiederum für die USA und ihre »Eindämmungspolitik« gegenüber China von großer Bedeutung ist.
Die USA und der Westen haben sich schon immer mit brutalen autoritären Regimen verbündet und sie sogar materiell und politisch unterstützt – man denke nur an die Apartheid in Südafrika –, weil sie geopolitische Ambitionen hatten. Verbale Kritik der amerikanischen und westeuropäischen Regierungen am autoritären Verhalten der indischen Regierung wird es von Zeit zu Zeit geben, aber keine ernsthaften Sanktionen oder Strafen. Ganz im Gegensatz zu fortschrittlichen zivilgesellschaftlichen Organisationen im Westen, die versuchen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Vorgänge in Indien zu verurteilen und die Opfer zu unterstützen.
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