von Wolfram Beyer
Seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und der sogenannten Zeitenwende wird in Deutschland militärisch aufgerüstet. Das Ziel: „kriegstüchtig werden“. Dazu gehört die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder einer allgemeinen Dienstpflicht.
Die Internationale der Kriegsdienstgegner:innen (IDK) erklärt ihren Widerstand gegen eine mögliche Dienstpflicht. Jede Form von staatlichem Zwangsdienst muss als Ausdruck einer zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft gesehen werden. Sie würde bedeuten, dass das Leben der Bürger:innen immer mehr den Interessen und Bedürfnissen des militärischen Machtapparats unterworfen wird. Die Einführung eines Zwangsdienstes wird als sogenanntes „Gesellschaftsjahr“ kaschiert, bei dem es darum ginge, junge Menschen zu einem gemeinnützigen Engagement für die Allgemeinheit heranzuziehen. Der wahre und ausschlaggebende Grund ist, dass die Bundeswehr wieder mehr Soldaten haben möchte, die sie nur über den Umweg einer allgemeinen Dienstpflicht bekommen kann. Die angeblich notwendige Vorbereitung auf eine Landesverteidigung mit kriegerischen Methoden soll eine Dienstpflicht für alle legitimieren.
Dies hält die IDK für falsch und verhängnisvoll. Die Grundlagen unserer Kritik sind: Die materielle Gewalt des Eigentums führt verstärkt auch in reichen Ländern zu Armut, Ausgrenzung, Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus. „Staatliche Souveränität äußert sich zusehends in ethnischen Volksbegriffen mit entsprechenden Ausschlüssen“, schreibt die „Jour fixe Initiative Berlin” zurecht. Nationalismus und Militarisierung dominieren und kumulieren in Gewaltmonopolen in Form von Militär, Polizei und staatlicher Bürokratie, trotz der weltweit agierenden neo-liberalen Marktwirtschaft. Krieg ist somit strukturell angelegt, in einigen Ländern sogar tatsächlich real.
Diese weltweite Situation bedarf eines gemeinsamen vielfältigen Widerstandes, eines Antimilitarismus auf der Höhe der Zeit. Eine radikale Kritik von Nationalismus und Staat ist angesichts der dominanten Kriegsrhetorik wichtiger denn je.
Obwohl die Frage nach einer Einführung der Wehrpflicht in Deutschland noch offen ist, meldeten sich Stimmen, die sich mit der Wehrpflicht eine „demokratische“ Note in der Bundeswehr wünschen.
Im Jahr 2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Die erste Amtshandlug der neuen Wehrbeauftragten Eva Högl (SPD) 2020 war es, die Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht zu fordern, wohl um sich zu profilieren. Högl schloss auch Frauen in diese Pflicht ein. Die Maßnahme sei ein Bollwerk gegen den Rechtsextremismus in der Truppe, argumentierte sie. Die Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland sei ein „Riesenfehler“ gewesen.
Zum Glück hatte ihre Initiative zunächst keine weiteren politischen Folgen Bedeutung. Sie zeigte allerdings die weit verbreiteten Illusionen von Sozialdemokraten über einen vermeintlich „demokratischen“ Charakter von Wehrpflicht (Dienstpflicht), im Vergleich zu einer Bundeswehr mit Berufssoldaten. Es hält sich hartnäckig die Auffassung, dass es in Deutschland die Wehrpflichtarmee gegeben hätte. Aber seit der Gründung der Bundeswehr gab es immer eine Zweiteilung in eine Bundeswehr als Berufsarmee mit dem „Anhang“ der Wehrpflicht.
Trotzdem hält sich unter Sozialist:innen weiterhin klebrig die Vorstellung, dass im Vergleich zu einer Berufsarmee die allgemeine Wehrpflicht für die Revolution viele Vorteile bieten würde. Dabei führen sie häufig zur Begründung Karl Liebknecht mit seiner Schrift „Militarismus und Antimilitarismus“ (1907) an. Danach öffnet sich mit der Wehrpflicht ein Möglichkeitsfenster für antimilitaristischen Arbeit im Militär, die Revolutionäre nutzen könnten. Liebknecht forderte von den Soldaten angepasstes Wohlverhalten und schrieb: «Als doppelt gestählte Streiter werdet ihr aus dem Heere des Kapitalismus in die Reihen der proletarischen Armee zurückkehren». Gegen die Kriegsdienstverweigerung, immerhin eine praktische Form der Abrüstung von unten, wandte er ein: «Ja, aber auf keinen Fall einseitig: dann lieber gleich gar nicht.»
Liebknecht argumentierte gegen den französischen Syndikalisten Gustave Hervé, der bei Kriegsgefahr oder Mobilmachung mit einem Aufruf zum Ungehorsam und zum Militärstreik antworten wollte. Trotz aller deutlichen Kritik am Militarismus hatten bei Liebknecht Militär und Soldaten im „proletarischen Befreiungskampf“ eine maßgebliche Aufgabe, damit die Revolution gelingen kann.
Liebknecht steht beispielhaft für autoritäre staats-sozialistische Perspektiven und Vorstellungen. „Revolution“ wird herrschaftspolitisch gedacht und Sozialismus erscheint als rein machtpolitisches Projekt – die Eroberung der Schalthebel der Herrschaft, die gefestigt wird durch Militär-Polizei-Bürokratie und Nationalismus. Dieser „reale Sozialismus“ ist nicht nur historisch gescheitert, sondern ist aktuell von einer möglichen politischen Umsetzung weit entfernt; aus freiheitlich-sozialistischer Sicht auch nicht erwünscht. Die Frage, ob Berufsarmeen sich eher für Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Bevölkerung einsetzen lassen, ist wenigstens gegenwärtig nicht relevant.
Das sozialdemokratische und auch das autoritär-sozialistische Politikverständnis teilt als Grundmerkmal, dass sich die politischen Strukturen an einem militärischen Prinzip orientiere. Man betont, mehr oder weniger, die Bedeutung von hierarchischer politischer Organisation nach militärischem Vorbild und zielt auf die Eroberung des Staates. Zu den ideologischen Grundlage gehört auch das Völkerrecht mit seiner Vorstellung einer friedlichen Koexistenz von Staaten. Auf der Tagesordnung steht hier lediglich die Friedenssicherung – aber Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg.
Wer Kriege und ihre Ursachen bekämpfen will, darf über den Staat und seine Institutionen nicht schweigen. Der Militarismus ist das legitime Kind jeder Staatsräson. Gewaltförmig durchgesetzte Regelungshoheit und territoriale Abgrenzung münden in Aufbau und Unterhalt von Militär, in Rüstungsproduktion und Nationalismus. Was sich auf den Schlachtfeldern in entfesselter Barbarei entlädt, ist die Verlängerung staatlicher Herrschaft und ihrer immanenten Ordnung.
Konsequenter Antimilitarismus muss eben diese Ordnung durchbrechen, in Form einer sozialen Revolution. Das Aktionsspektrum ist der anti-institutionelle Widerstand ebenso wie der konstruktive Aufbau herrschaftsfreier solidarischer Gegenstrukturen und die Einübung gewaltloser Konfliktaustragung.
Das Militär ist und war niemals eine demokratische Institution. Sie ist nicht zu demokratisieren. Militär ist eine Institution, in der Soldaten, auf Befehl und Gehorsam getrimmt, zur Sache und zum Mittel der Politik werden. Der Mensch wird in der Figur des Soldaten seinem Wesen entfremdet. Das Gewaltmonopol des Staates dient der Sicherung von Herrschaft, konstatiert Ekkehart Krippendorff in seinem Buch „Staat und Krieg – Die historische Logik politischer Unvernunft“ (1985). Der Staat hat den primären Zweck, Herrschaft zu stabilisieren, nicht aber den inneren Frieden zu stiften. Eine friedliche Ordnung ist nicht der Zweck staatlicher Herrschaft.
Antiinstitutioneller Widerstand bedeutet für die IDK, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht zu verhindern oder wenigstens einen Beitrag dazu zu leisten. Alle, die zu einem Zwangsdienst verpflichtet werden könnten, sollen dazu ermutigt werden, sich zu widersetzen. Öffentliche Aufrufe zur Verweigerung der Erfassung und Musterung für den Zwangsdienst werden begleitet von Angeboten der juristischen Beratung und Unterstützung bei der individuellen Verweigerung. Weitere Formen der Verweigerung von Kriegsdiensten werden erwogen und demnächst veröffentlicht.
Übrigens: Die „klassische“ Kriegsdienstverweigerung nach Artikel 3/4 Grundgesetz ist aktuell auch für Reservisten möglich.
Wolfram Beyer ist Politikwissenschaftler, Autor zahlreicher Bücher über Pazifismus und Antimilitarismus und der Vorsitzende der Internationale der Kriegsdienstgegner*innen (IDK).
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.