Im Norden ist die Linke auf dem Vormarsch
von Hermann Dierkes, Angela Klein und Peter Nielsen
Die extreme Rechte hat in den skandinavischen Ländern entgegen dem kontinentaleuropäischen Trend massiv verloren, während Linke und Grüne stark zugelegt haben. In Belgien hingegen war der Wahlerfolg der PTB-PVDA begleitet vom gleichzeitigen Vormarsch des rechtsextremen Vlaams Belang, der mit 14,5 Prozent stärkste Partei wurde.
Der Wahlsieg der PVDA-PTB in Belgien
Am 9.Juni fanden in Belgien zeitgleich die Wahlen zum Europaparlament, zur belgischen Abgeordnetenkammer und zu den Regionalparlamenten in Flandern, Wallonien, in der Region Brüssel und in der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Eine der großen Gewinnerinnen der Wahlen war die Partei der Arbeit (namens PTB im wallonischen, PVDA im flämischen Teil).
Bei den Wahlen zum Europaparlament wurde die PVDA-PTB mit 10,7 Prozent der Stimmen auf nationaler Ebene viertstärkste Partei.
Bei den Wahlen zum nationalen Parlament holte sie 9,8% (+1,1 Prozentpunkte), das ist ein Anstieg von 566000 auf 763000 Stimmen und von 12 auf 15 gewählte Mitglieder (von 150 Sitzen im Parlament). Die Sozialdemokratie ging auf 16 Prozent zurück (?4 Prozentpunkte). Der Vlaams Belang holte 20 Prozent, die etwas gemäßigtere rechtsliberale N-VA wurde stärkste Partei mit 24 Prozent.
Bei den Wahlen zu den Regionalparlamenten hat die PVDA-PTB in Flandern ihren Anteil spektakulär von 3 auf 8,5 Prozent gesteigert und die Zahl ihrer Vertreter im flämischen Parlament von 4 auf 9 Sitze mehr als verdoppelt. In der Region Wallonien hat sie leicht verloren (von 13 auf 12,1 Prozent) und ist mit 8 Abgeordneten im Regionalparlament vertreten. In der Hauptstadt Brüssel erreichte die PVDA-PTB 20,9 Prozent (+7,4 Prozentpunkte) und entsendet 16 Abgeordnete in das Brüsseler Parlament. In Antwerpen, der zweitgrößten Stadt und dem größten Industriezentrum des Landes, erreicht sie 22,5 Prozent (+10 Prozentpunkte).
Das Wahlergebnis hat u.a. zu tun mit dem, was die Wählenden als die für sie wichtigste Frage erachteten: in Wallonien und Brüssel ist das das Einkommen, in Flandern die Zuwanderung. In Brüssel hat es das Thema »innere Sicherheit« auf den dritten Platz geschafft. Überall spielten Gesundheitsversorgung, Renten und Steuern eine zentrale Rolle.
Es gibt eine Diskussion darüber, ob die PTB sich an Regierungen beteiligen soll. Dafür hat sie fünf Haltelinien formuliert: Besteuerung der Millionäre; Senkung des Rentenalters auf 65 Jahre; Halbierung der Politikereinkommen; höhere Besteuerung der hohen Einkommen; härtere Maßnahmen gegen Klimaverschmutzer. Eine linke Mehrheit gibt es allerdings nur in Brüssel.
Erfolge für die dänische Linke
Die Rot-Grüne Allianz (Enhedslisten – de rød-grønne) konnte sich von 5,5 Prozent 2019 auf 7 Prozent 2024 steigern. Gleichzeitig sank die Wahlbeteiligung von 66,1 auf 58,3 Prozent. 2019 hatte Enhedslisten noch eine gemeinsame Liste mit der »Volksbewegung gegen die EU« (Folkebevægelsen mod EU) gebildet, die diesmal nicht zur Wahl angetreten ist.
Im Wahlerfolg kommt die Enttäuschung vieler Wähler:innen von der Sozialdemokratie und ihrer bürgerlichen Politik zum Ausdruck, sie hatte mit zwei liberalen Parteien koaliert. Davon hat am meisten die linksreformistische Sozialistische Volkspartei (SF) profitiert (+4,2 Prozentpunkte auf 17,4 Prozent), sie wurde stärkste Partei; die Sozialdemokratie erreichte nur 15,6 Prozent.
Der Stimmenzuwachs für Enhedslisten ist auf Faktoren zurückzuführen, die nichts mit der reinen Europapolitik zu tun haben. Der wichtigste Faktor scheint der Völkermord in Palästina zu sein. Trotz erheblicher Einschränkungen und der mangelnden Bereitschaft, die Bewegung anzuführen, war Enhedslisten die wichtigste politische Partei, die die Interessen der Palästinenser verteidigte und sich gegen die dänische Beteiligung am Völkermord aussprach. Dies zeigt sich in einem erheblichen Stimmenzuwachs in Gebieten mit einem hohen Anteil von Wähler:innen mit Wurzeln im Nahen Osten. In einigen dieser Gebiete wurde Enhedslisten sogar die größte Partei. Das allgemeine Feedback von Aktivist:innen während der Wahl war eindeutig, Flugblätter und Argumente zur palästinensischen Frage wurden sehr gut aufgenommen. Das erklärt auch, warum sich der Stimmenzuwachs auf die Städte konzentrierte, in denen die Bewegung sichtbarer war, und nicht auf die Provinzen, in denen es weder eine Bewegung noch die gleiche Vertretung von Wähler:innen mit nahöstlichen Wurzeln gibt.
Umstritten ist, wie sich die veränderte Aussage von Enhedslisten zur EU auf die Wahlen ausgewirkt hat. Enhedslisten führte eine Kampagne, die sich auf progressive Veränderungen innerhalb der Struktur der Union konzentrierte und die grundsätzliche Kritik an der EU herunterspielte. Während das Programm von Enhedslisten erklärt, wie die EU herausgefordert werden kann, öffnete sich die Kampagne für eine Stärkung des Einflusses und der Reichweite des EU-Parlaments und der Union als solcher. Viele traditionelle linke Wähler haben ihre Unzufriedenheit über diese Wendung zum Ausdruck gebracht.
Schweden: Linke und Grüne sind Wahlsieger
Die Schwedendemokraten (SD) waren die großen Verlierer, sie erhielten nur noch 13,2 Prozent (?2 Prozentpunkte). Sie waren nicht in der Lage, ihr Wählerpotenzial zu mobilisieren, nicht einmal in ihrer Hochburg Südschweden. Ähnliches galt für Dänemark und Finnland: Die »Wahren Finnen« kamen nur noch auf 7,6 Prozent (?6,2 Prozentpunkte), die Dansk Folkeparti nur auf 6,4 Prozent (?4,4 Prozentpunkte).
Linke und Grüne konnten in Schweden beträchtliche Wahlerfolge erzielen: Die Linkspartei (Vänsterpartiet) holte mit 11,1 Prozent ihr bestes Ergebnis seit 20 Jahren. Die schwedischen Grünen erhielten 13,8 Prozent. Ihr Zugewinn kann auch damit zu tun haben, dass die US-Armee jetzt 17 Militärstandorte in Sachweden nutzen darf, um Truppen und Waffen zu stationieren – nur Linke und Grüne stimmten im Parlament dagegen.
In Finnland erhielt das Linksbündnis (VS) 17,3 Prozent (+10,5 Prozentpunkte) und wurde damit zweitstärkste Partei.
Hier wie in Schweden hat die Linke Wahlkampf mit dem Thema soziale Gerechtigkeit gemacht. Beide Parteien haben auch die Notwendigkeit betont, die Ukraine auch militärisch weiter zu unterstützen.
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