Ein erster Schritt, die Rentenzahlungen an den Kapitalmarkt zu binden
von Daniel Kreutz
Als Teil des »Rentenpakets II« hat das Ampelkabinett das »Generationenkapital« beschlossen, das im Herbst endgültig verabschiedet werden soll.
Nach dem Entwurf des »Rentenniveaustabilisierungs- und Generationenkapitalgesetzes« geht es bei diesem Herzensprojekt der FDP um folgendes:
Ziel ist, den Bundeszuschuss für die Rentenversicherung, der mit der Lohn- und Beitragsentwicklung verknüpft ist, langfristig zu entlasten, indem die Rentenversicherungsbeiträge für das »stabilisierte«, per Riester auf 48 Prozent abgesenkte Rentenniveau ab (frühestens) 2036 niedriger ausfallen als bislang angenommen. Der für das Jahr 2040 vorausgeschätzte Beitragssatz von 22,6 Prozent soll um 0,3 Prozent, in 2045 (Beitragssatz dann 22,7 Prozent) um 0,4 Prozent gesenkt werden können. Nach heutigen Werten wäre dies im Schnitt eine Entlastung des monatlichen Arbeitnehmerbeitrags von 3,75 Euro im Jahr 2044 bzw. 5 Euro im Jahr 2045. Donnerwetter!
Dazu speist der Bund ab 2024 12 Mrd. Euro, bis 2045 alljährlich um 3 Prozent ansteigend, in eine Stiftung beim Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (KENFO) ein. Bis 2036 soll ein Kapitalstock von 200 Mrd. Euro erreicht sein. Finanziert wird in smarter Umgehung der Schuldenbremse hauptsächlich durch Kredite, daneben auch durch Übertragung von Unternehmensbeteiligungen des Bundes auf die Stiftung (welche, ist offen). Das Kapital soll »renditeorientiert [sic!] und global-diversifiziert zu marktüblichen Bedingungen« angelegt werden. Nähere Anlagebedingungen enthält der Gesetzentwurf nicht. (Der KENFO steht bereits wegen fossiler und anderer zweifelhafter Investments in der Kritik.)
Lindner, hauptberuflich Galionsfigur der Schuldenbremser, baut darauf, dass die am Aktienmarkt erzielten Renditen stets deutlich höher ausfallen als Kreditzinsen, Anlage- und Verwaltungskosten zusammen. Die müssen nämlich dem Bund aus den Erträgen erstattet werden. Zudem muss zunächst ein »Sicherheitspuffer« von 10 Prozent aufgebaut werden, bevor die Nettorenditen zur kosmetischen Dämpfung des Beitragssatzes an die Rentenversicherung fließen.
Modell Hedgefonds
Im Kern orientiert sich das »Generationenkapital« am Geschäftsmodell der Hedgefonds, die mit kreditfinanzierten Investments am spekulativen Kapitalmarkt Profit machen. Im Ergebnis ist es der sprichwörtliche Berg, der eine Maus gebiert. Ob es statt einer Maus eine Ameise wird oder ob der Berg gar selbst zum Problem wird, entzieht sich indes der Kenntnis aller Auguren, die für die Zukunft lediglich gesichert wissen, dass der Kapitalmarkt »volatil« (ziemlich schwankend) ist. Das »Generationenkapital« gleicht einer Wette im Spielcasino mit hohem Einsatz und minimaler Gewinnchance.
Bei Gewerkschaften (z.B. Ver.di), Sozialverbänden und der ihnen geneigten Wissenschaft stößt das Projekt in der Sache auf scharfe Kritik. Politisch wird der Ball aber flach gehalten, weil mit dem Rentenpaket-II-Gesetz auch das weitere Absinken des Rentenniveaus verhindert wird – trotz empörter Kritik der Kapitalseite. Zudem wird die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung durch Anhebung der Mindestrücklage (vorerst) gesichert. Vor allem aber reißt das »Generationenkapital« nicht die »rote Linie«, Rentenbeiträge zum Aufbau des Kapitalstocks einzusetzen, womit auch die Rentenleistungen teils direkt vom Kapitalmarkt abhängen würden. Auch wenn Lindners nassforsche Annahmen nicht eintreten, bleiben die Rentenleistungen unverändert garantiert.
Der Einstieg ist leichter als der Ausstieg
Gleichwohl wäre es fahrlässig, das Ganze als schlechten Witz, als Realsatire abzutun. Denn mit dem »Generationenkapital« wird erstmals ein Entwicklungspfad geöffnet, der die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung an die Aktienmärkte bindet. In geringem Umfang zunächst, aber eben doch.
Ihr Konzept der maßgeblich aus Beitragsmitteln finanzierten »Aktienrente« – eher eine Rente fürs Kapital, die die Kapitalmärkte mit frischem Geld der Versicherten flutet – haben die Neoliberalen keineswegs aufgegeben, ebenso wenig wie ihre Absicht, der umlagefinanzierten »solidarischen« Rentenversicherung den Garaus zu machen. Das bringt nicht zuletzt die Stellungnahme des Spitzenverbands des deutschen Kapitals, der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), in dankenswerter Offenheit zum Ausdruck.
Politisch dürfen sie hoffen, dass der Wiederausstieg aus einem einmal eingeschlagenen Entwicklungspfad in aller Regel schwieriger ist als dessen »Fortentwicklung«. Mit einer aktien- oder kapitalmarktbasierten Rente stünden die versicherten Lohnabhängigen womöglich vor der Frage, ob ihre Forderungen bei Löhnen und Arbeitsbedingungen einschließlich eventueller Streiks die Märkte »irritieren« und ihre Alterssicherung gefährden. Oder ob nicht gar Lohnverzicht nötig ist, um die Märkte zu »beruhigen«. Auf diese Weise könnte ihnen selbst – und ihren Gewerkschaften – das Kapitalinteresse eingepflanzt werden.
»Wehret den Anfängen« sollte daher auch hier die Devise sein. Nach Lage der Dinge ist das Gesetz fürs »Generationenkapital« kaum mehr aufzuhalten. Gelingt es nicht, eine künftige Bundesregierung zu motivieren, dem »Generationenkapital« den Geldhahn wieder zuzudrehen – so geschehen beim kapitalgedeckten »Pflegevorsorgefonds« der Großen Koalition –, könnte man sich auf ein gesetzlich fixiertes Datum vorbereiten: 2029 hat eine erste Überprüfung zu erfolgen, ob die Ziele erreicht werden und voraussichtlich ab 2036 Ausschüttungen an die Rentenversicherung möglich sind. Und in welchem Umfang die kreditfinanzierten Zuführungen ab 2045 fortgesetzt werden sollen.
Um die solidarische Rentenversicherung zu retten und wiederherzustellen, gilt es dringender denn je, die herrschenden Erzählungen über die »demografische Krise« der umlagefinanzierten Rentenversicherung, die »Notwendigkeit« ergänzender kapitalgedeckter Vorsorge und die damit mögliche »Entlastung« der jungen Generationen als das zu entlarven, was sie sind: Erzählungen der Herrschenden.
Es gilt, ins Massenbewusstsein zu rücken, dass (auch) die Rettung der Rente vor allem eines buchstäblich not-wendig macht: eine Umkehr der Umverteilung von den Arbeits- zu den Kapitaleinkommen, eine Überwindung des Klassenkampfs von oben, der die soziale, ökologische und demokratische Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft akut zu zerstören droht. Eines Klassenkampfs, der auch mit dem »Generationenkapital« in eine neue Runde geht.
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