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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2024

Ein klimaneutraler Umbau der Stahl- und Chemieindustrie geht nicht ohne Schrumpfung
von Klaus Meier

Die Konzerne der Stahl- und Chemiebranche haben die höchsten Treibhausgasemissionen und den höchsten Energieverbrauch im industriellen Umfeld. In der öffentlichen Diskussion geben sich die Konzerne optimistisch, dass sie ihre bisher hohen CO2-Emissionen auf Null reduzieren können. Dazu werden aber große Mengen an grünem Strom und grünem Wasserstoff benötigt. Es ist fraglich, ob dies möglich ist.

Die Stahlindustrie braucht viel Wasserstoff
In der Stahlindustrie sind die Planungen für einen ökologischen Umbau bereits weit fortgeschritten. Bisher wird Eisenerz zusammen mit Kohle (Koks) im Hochofen zu Roheisen verarbeitet, wobei prozessbedingt große Mengen des klimaschädlichen Kohlendioxids freigesetzt werden. Die klimafreundliche Alternative: Die Kohle wird durch Wasserstoff ersetzt und statt CO2 gelangt bei der Stahlproduktion unschädlicher Wasserdampf in die Umwelt. Es entsteht sog. Eisenschwamm, der in einem Elektroofen zu hochwertigem Stahl weiterverarbeitet werden kann.
Technologisch gibt es eigentlich keine Probleme mehr, sodass die Stahlproduktion klimaneutral erfolgen könnte. Thyssen-Krupp und die Salzgitter AG haben bereits begonnen, einzelne Aggregate ihrer alten CO2-intensiven Hochofenanlagen durch klimafreundlichere zu ersetzen. Dafür fließen staatliche Fördergelder in Milliardenhöhe. Doch eine ganz große Frage bleibt offen: Woher sollen die riesigen Mengen Wasserstoff kommen, die für das neue, klimafreundliche Verfahren benötigt werden?

Umbau der Chemieindustrie problematisch
In der chemischen Industrie sind vor allem zwei Bereiche für die hohen CO2-Emissionen und den hohen Energieverbrauch verantwortlich: die Herstellung von Kunststoffen und von Düngemitteln. Für die Kunststoffproduktion muss Rohbenzin in sog. Steamcrackern bei 850 °C in seine Bestandteile aufgespalten werden. Diese Anlagen sind wahre Energiefresser und benötigen große Mengen fossilen Erdgases.
Für die Düngemittelproduktion werden bereits heute große Mengen Wasserstoff als Rohstoff benötigt. Über den Zwischenschritt der Ammoniakproduktion entsteht daraus der Dünger. Das Problem dabei: Der Wasserstoff wird über die sog. Dampfreformierung aus Erdgas gewonnen, wobei prozessbedingt große Mengen Kohlendioxid freigesetzt werden.
Neben diesen energieintensiven Prozessen hat die chemische Industrie ein besonders gravierendes Problem: Ihr wichtigster Zweig, die organische Chemie, basiert als Rohstoff vollständig auf Kohlenstoff. Ob Kunststoffe, Textilfasern oder Dämmstoffe: Alles ist Kohlenstoffchemie. Am Ende des Produktlebens wird daraus wieder klimaschädliches CO2. Das passiert z.B., wenn Plastik verbrannt wird oder irgendwo verrottet.
Die Frage ist, ob die Chemieindustrie jemals klimaneutral werden kann. Der deutsche Branchenverband VCI hat dazu mehrere Studien erstellen lassen. Darin werden tatsächlich mehrere Lösungsansätze formuliert. So könnten die Erdgas fressenden Steamcracker auch elektrisch beheizt werden. Bei der BASF in Ludwigshafen ist Anfang 2024 sogar schon eine erste Versuchsanlage für strombetriebene Cracker in Betrieb gegangen. Und auch der Wasserstoff für die Düngemittelproduktion könnte mit Elektrolyseuren klimaneutral aus Wasser gewonnen werden.
Der Ausstieg aus der Nutzung von Rohöl für Kunststoffe, Medikamente oder Farben wird jedoch deutlich schwieriger. Die VCI-Studien schlagen vor, Kunststoffe auf Kohlenstoffbasis möglichst lange im Kreislauf zu halten. Dazu sollen Kunststoffabfälle durch mechanisches und chemisches Recycling wiederverwertet werden. Das werkstoffliche Recycling funktioniert aber nur, wenn die Kunststoffabfälle sortenrein sind. Bislang dürfen die Kunststoffhersteller ihre Produkte jedoch nach Belieben mit unzähligen Additiven und Farbstoffen mischen. Das macht ein werkstoffliches Recycling unmöglich. Und die Alternative des chemischen Recyclings ist wiederum extrem energieintensiv.
Hinzu kommt, dass selbst ein weitgehendes Recycling von Kunststoffen angesichts der Verbrauchsmengen nicht ausreichen würde. Zum Ausgleich müssten riesige Mengen an Biomasse bereitgestellt werden, die dann zu Kunststoffen oder auch Medikamenten verarbeitet werden. Wo diese herkommen sollen, ist völlig unklar. Biomasse ist schon heute eine knappe Ressource, auf die sich viele Begehrlichkeiten richten, und die Konkurrenz um sie wird weiter zunehmen.
Ein großes Problem der grünen Chemie ist ihr extrem hoher Strombedarf. Der VCI nennt in einer Studie unglaubliche 628 Terawattstunden (TWh). Das ist deutlich mehr als die gesamte heutige Stromerzeugung in Deutschland. Das und die großen Mengen an Biomasse sind eigentlich ein Knock-out-Kriterium für die Studien.

Energiebedarf und Energieerzeugung
Die Betrachtung zeigt, dass ein ökologischer Umbau der Stahl- und Chemieindustrie technologisch möglich ist. Es bleibt aber das Problem, ob die dafür notwendigen Mengen an grünem Strom und Wasserstoff überhaupt zur Verfügung stehen. Dies gilt umso mehr, wenn man den Bedarf an grüner Energie für alle anderen Industrien, für die Mobilität von Autos, Flugzeugen und Schiffen oder den Strom für Wärmepumpen, Haushalte und Rechenzentren hinzurechnet. Addiert man dies, kommt man auf einen Gesamtstrombedarf von weit über 2000 TWh.
Es ist völlig illusorisch, diese Strommengen hierzulande erzeugen zu wollen. Seriöse Studien gehen bisher davon aus, dass in Deutschland mit Wind und Sonne maximal etwas mehr als 1000 TWh regenerativer Strom erzeugt werden können. Um die Energielücke zu schließen, müssten erhebliche Energiemengen, insbesondere Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe, importiert werden.
Dies ist auch der politische Ansatz der Bundesregierung, des grün geführten Wirtschaftsministeriums oder des Think Tank Agora Energiewende. Dazu hat die Bundesregierung bereits zahlreiche Gespräche mit sonnen- und windreichen Ländern wie Namibia, Marokko oder den Golfstaaten geführt. Erneuerbare Energien könnten dort kostengünstig produziert und in Form von Wasserstoff nach Deutschland transportiert werden. So die Hoffnung.

Hohe Verluste bei Wasserstoffimporten
In der Praxis dürfte dies jedoch kaum in der erforderlichen Menge realisierbar sein. So ist es inzwischen wissenschaftlicher Konsens, dass ein direkter Transport von Wasserstoff per Schiff nach Mitteleuropa nicht möglich ist. Es gibt auf absehbare Zeit keine speziellen Kühlschiffe für den Transport von flüssigem Wasserstoff bei ?253 °C. Als Alternative wird diskutiert, den grünen Wasserstoff chemisch in Ammoniak umzuwandeln und mit großen Tankern nach Deutschland zu transportieren. Hier müsste er dann wieder in Wasserstoff umgewandelt werden.
Ammoniaktanker sind zwar Stand der Technik, aber durch die Kette der Hin- und Rückwandlung entstehen erhebliche Energieverluste. Das alles verursacht hohe Kosten. Kein Wunder also, dass die meisten der in Deutschland diskutierten Wasserstoffprojekte bislang nur auf dem Papier existieren. Endgültige Investitionsentscheidungen fehlen.

Die Alternative: schrumpfen
Es stellt sich die Frage, ob es angesichts dieser Schwierigkeiten überhaupt Raum für eine klimaneutrale Stahl- und Chemieindustrie geben kann. Die Antwort lautet ja, aber nur, wenn die Industrien zunächst auf ein gesundes Maß geschrumpft werden. Insbesondere muss die ungebremste Wegwerfproduktion gestoppt werden. So sind in der Chemie die Kunststoffe der größte Energiefresser. 70 Prozent davon gehen in die Bereiche Verpackung, Bau und Auto.
Statt einzelne Strohhalme zu verbieten, müssten rigorose Maßnahmen die Verpackungsmengen drastisch reduzieren. Pfandbehälter aus Kunststoff für Getränke, Shampoos, Wasch- und Reinigungsmittel müssten zur Pflicht werden. Damit das Recycling funktioniert, müssten diese auch in Form, Farbe und Größe standardisiert werden.
Auch im Stahlsektor gibt es Möglichkeiten, die Produktionsmengen rasch zu reduzieren. So gehen rund 60 Prozent des Stahls in die Bauindustrie und den Automobilbau. Mit einem Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs könnten die großen Stahlmengen, die heute in Millionen von Autos verbaut werden, deutlich verringert werden. Automatisch würde auch weniger Kunststoff im Automobilbau eingesetzt. Der Stahlbedarf ließe sich drastisch senken, wenn statt Stahlbeton auf Holzbau gesetzt würde. Und ganz nebenbei würde auch der Zementverbrauch sinken. Ein Material, das viel Energie verbraucht und CO2 emittiert. Auf alle Branchen ausgeweitet, entstünde so eine energiesparende Wirtschaft.
Der hierzulande erzeugte Wind- und Solarstrom würde zusammen mit einer geringen Importquote für den ökologischen Umbau ausreichen. Als Nebeneffekt würde auch die Verschwendung von Arbeitszeit reduziert. Dies könnte durch eine deutliche Arbeitszeitverkürzung kompensiert werden. Lässt sich das alles umsetzen, ohne das kapitalistische Eigentum in Frage zu stellen? Eher nicht.

Der Autor ist aktiv im Netzwerk Ökosozialismus.

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