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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2024

Schlechtes Ergebnis mit extrem langer Laufzeit
von Helmut Born

Die Tarifrunden im Handel haben über ein Jahr gedauert, bevor Einigungen zwischen den Arbeitgeberverbänden und Ver.di möglich wurden. Von den Ursprungsforderungen: Erhöhung der Löhne um 2,50 Euro oder 13 Prozent mit einer Laufzeit der Tarifverträge von 12 Monaten konnte nichts durchgesetzt werden. Ganz im Gegenteil, im Einzelhandel werden die 2,50 Euro erst zum 1.Mai 2025 erreicht.

Für ein besseres Ergebnis reicht offensichtlich die gewerkschaftliche Stärke in den beiden Bereichen Einzel- und Groß- und Außenhandel nicht. Hinzu kommt eine falsche Einschätzung der Kräfteverhältnisse auf Ver.di-Seite. Nach wie vor gelingt es nicht, die Unternehmen so empfindlich zu treffen wie das z.B. Streiks in der Industrie können, damit sie bereit sind, von ihren Profiterwartungen abzurücken.
Die Mobilisierungsfähigkeit hat außerdem nach den vielen Streiks im letzten Jahr merklich nachgelassen. Dies wurde besonders deutlich vor Weihnachten: Statt der angekündigten Streiks fanden nur symbolische Aktionen statt. Immer noch ist es schwer, Beschäftigte aus dem Einzelhandel für Streiks in der für den Einzelhandel wichtigsten Zeit zu gewinnen.
Bis Dezember gab es keine Annäherung zwischen den Tarifparteien, viele resignierten schon. Gerade die Verhandlungsrunde am 28.Dezember in Hamburg wäre eine Gelegenheit gewesen, bei dem damaligen 6-Prozent-Angebot der Unternehmer gesichtswahrend aus der Tarifrunde mit einer zweijährigen Laufzeit auszusteigen.
Das hat Ver.di rundheraus abgelehnt. Im Ergebnis konnten die 6 Prozent für das erste Jahr jetzt nicht mehr erreicht werden, sondern nur die von den Unternehmern einseitig festgelegten Erhöhungen von 5,3 Prozent für 2023 und 4,7 Prozent für 2024.

Ergebnisse im Einzelhandel
Trotzdem lohnt sich ein Blick auf die Ergebnisse, sowohl im Einzel- wie im Groß- und Außenhandel. Im Einzelhandel wurde in Hamburg Anfang Juni ein erster Abschluss erzielt, der in den meisten Tarifbezirken übernommen wurde. Dabei wurden folgende Ergebnisse erzielt:
– Die Laufzeit ist vom 1.Mai 2023 bis zum 30.April 2026.
– Im 1.Jahr gibt es eine Tariferhöhung von 5,3 Prozent nach fünf Nullmonaten.
– Im 2.Jahr gibt es eine Tariferhöhung von 4,7 Prozent.
– Im 3.Jahr gibt es eine Vorwegerhöhung von 40 Euro und darauf 1,8 Prozent (macht etwa 3,2 Prozent Endgehalt in der Tarifgruppe 1 im 5.Berufsjahr).
Es gibt eine Inflationsausgleichsprämie, die im August 2024 ausgezahlt wird. Sie beträgt 1000 Euro für Vollzeitbeschäftigte, für Teilzeitbeschäftigte anteilig und für Auszubildende die Hälfte. Bisherige Inflationsausgleichszahlungen werden nicht angerechnet. Darüber hinaus wird der Zuschuss der Arbeitgeber zur betrieblichen Altersversorgung um 120 Euro jährlich erhöht, so dass ein Anspruch von insgesamt 480 Euro im Jahr entsteht.
Immerhin konnte den Unternehmern eine bessere Inflationsausgleichsprämie abgerungen werden, die nicht mit bisherigen Zahlungen verrechnet wird, sowie eine Erhöhung der Beiträge zur Altersvorsorge. 2025 wird es wohl einen Ausgleich für die zu erwartende Inflation geben, aber um den Preis eines dreijährigen Abschlusses.
Die Forderung nach einer Erhöhung der Stundenlöhne um 2,50 Euro konnte für den größten Teil der Beschäftigten erst nach drei Jahren erreicht werden. Das ist für den Fachbereich Handel von Ver.di, abgesehen von politischen Erwägungen, eine schlechte Regelung, zumal die Gewerkschaft hauptsächlich in Tarifrunden neue Mitglieder gewinnt. Hinzu kommt die weiter sinkende Tarifbindung in dieser Branche. Bundesweit liegt sie nur noch bei rund 40 Prozent. Ohne eine politische Regelung wird sich daran nichts ändern. Die Voraussetzungen dafür liegen vor, die Bundesregierung müsste nur die entsprechende EU-Verordnung umsetzen.
Diese Tarifrunde gilt es aufzuarbeiten und sich Gedanken zu machen, wie Tarifrunden in Zukunft erfolgreicher abgeschlossen werden können.
Ganz ähnlich sieht das Ergebnis im Groß- und Außenhandel aus. Lediglich bei den prozentualen Ergebnissen gibt es leichte Abweichungen. Im Endeffekt sind sie nicht besser als im Einzelhandel. Der Zuschuss zur Altersvorsorge beträgt 480 Euro. Erfreulich ist immerhin, dass sich die bayerischen Unternehmer bereit erklärt haben, die Anerkennung des Tarifvertrags gemeinsam mit Ver.di zu beantragen.
Einen Erfolg kann Ver.di in dieser Tarifrunde allerdings für sich verbuchen: Die Unternehmer forderten bundeseinheitliche Tarifverhandlungen und Abschlüsse. Dem ist Ver.di nicht nachgekommen. Das würde eine massive Verschlechterung der Beteiligung der Mitglieder bedeuten und den Einstieg in Spartentarifverträge, die eine massive Verschlechterung der Mobilisierungsfähigkeit bedeuten würden, erleichtern. Um aber wirklich schlagkräftiger zu werden, braucht es mehr Verankerung in den Betrieben. Gerade bei den großen Lebensmittelkonzernen ist Ver.di viel zu schwach, um auch Aldi, Lidl und Edeka zu bestreiken.

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