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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2024

Über die IG Metall und die sozialökologische Transformation
Gespräch mit Hans Köbrich

Bei der sozialökologischen Transformation gilt es nicht nur den Widerstand des Kapitals zu überwinden, sondern auch innergewerkschaftliche Zwänge.

Hans Köbrich hat viele Jahre in der Autoindustrie gearbeitet. Auch als Ruheständler ist er nach wie vor in der Gewerkschaft aktiv und arbeitet mit im Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall Berlin, der auf Basisebene internationale Kontakte pflegt und ausbaut. Der Arbeitskreis beschäftigt sich auch intensiv mit dem Thema Klimawandel und Arbeitswelt und ergreift dazu verschiedene Initiativen, die in Betriebe und Gewerkschaft hineinwirken sollen.
Mit Hans Köbrich sprach ­Gerhard Klas.

Anfang des Jahres hat ein eher ungewöhnliches Bündnis, bestehend aus dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC), der Allianz pro Schiene, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), der IG Metall und Zukunft Fahrrad ein Positionspapier unter dem Titel »Die Verkehrswende starten – ökologisch, ökonomisch, sozial« veröffentlicht. Darin wird eine deutliche Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene gefordert – zulasten des motorisierten Individualverkehrs. Ist das mehr als ein Papiertiger?

Ich finde es erstmal sehr positiv, dass Gewerkschaften sich dem Thema Klimakrise deutlich mehr als in der Vergangenheit widmen. Es ist ein Positionierung, die wir immer gefordert haben: Gewerkschaften und soziale Bewegung müssen zusammenarbeiten. In diesem Fall auch Verbände.
Dass die IG Metall dabei ist, finde ich grundsätzlich erst einmal gut. Dann kommt jedoch ein »Aber«: Die Praxis der IG Metall sieht etwas anders aus. Die IG Metall hat zwar angesichts der Herausforderungen durch die Klimakrise die Notwendigkeit der Transformation zur Sprache gebracht, hat auch große Veranstaltungen und Kongresse dazu durchgeführt. Regenerative Energieträger sollen vermehrt genutzt werden auf Kosten des fossilen Verbrauchs.
Aber die IG Metall steckt mittendrin: Ihre Mitglieder stellen viele umweltschädliche Produkte her im Rahmen einer Industrie, die kapitalistisch gesteuert ist. Auf die Restriktionen, die heute im Kontext der Klimaerhitzung gefordert sind, nimmt sie wenig Rücksicht. Ihr Handlungsrahmen orientiert sich zu eng am Konzept der Sozialpartnerschaft und Standortlogik, ist zu sehr eingebettet in die profitorientierten Konzernstrategien.

Welche konkrete Erfahrungen habt ihr mit der IG Metall in Berlin gemacht?

Die Verkehrswende, für die sich auch die IG Metall öffentlich ausspricht, kommt in den Betrieben unzureichend an. Unser Arbeitskreis hatte deshalb vorgeschlagen, in der IG Metall Berlin eine Veranstaltung zum Thema »Klimakrise und Gewerkschaften« zu machen. Das hat eine Weile gedauert, bis wir damit durchkamen.
Bei der alten Geschäftsführung hatte unser Arbeitskreis und seine Themen keine Priorität. Jan Otto, der dritte Geschäftsführer innerhalb von zwei Jahren, fand das Thema ungeheuer wichtig. Als Mitglied bei den Grünen passt das auch in sein Profil.
Allerdings wurde uns das Thema aus der Hand genommen. In Berlin wurde dann ein großer Transformationskongress von der IG Metall organisiert, mit Unterstützung des Vorstands, mit Wissenschaftler:innen und vor allem mit Betriebsräten und gewerkschaftlichen Akteuren an vorderster Stelle. Unser Konzept spielte da keine Rolle mehr und einige wichtige Fragen sind dann ausgeklammert worden, etwa die des Ressourcenverbrauchs und in der Konsequenz natürlich auch eine Kritik an dem mit dem Kapitalismus verbundenen Zwang zum Wachstum.
Ein Jahr später gab es dann noch eine Transformationskonferenz. Die war schon deutlich abgespeckter und das Thema wurde sichtbar heruntergefahren. Es soll nun keine weiteren Konferenzen mehr geben. Denn das Thema »Klima« ist angesichts der aktuellen Kriege und den vermeintlichen »Sicherheitsinteressen« in den Hintergrund gerückt. Das drückte sich ja auch im furchtbaren Appell zur Aufrüstung aus, den die IG Metall dann zusammen mit dem Bundesverband der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie veröffentlichte.

Vor allem bei geplanten Fabrikschließungen, aber auch schon bei mangelhafter Auslastung von Auto- und Zulieferbetrieben, zeigen zumindest einige Beschäftigte eine gewisse Offenheit für Konversionsdebatten. Welche Aufgaben kommen bei diesem massiven Strukturwandel in der Autoindustrie auf die Gewerkschaft zu?

Die Papierlage ist bei der IG Metall oft sehr gut, steht aber im Widerspruch zur gelebten Praxis. Und das ist kein böser Wille. Der strukturelle Rahmen, in dem wir uns bewegen, erlaubt das gar nicht. Wir haben eine Gewerkschaftspraxis, die viel zu eng an das Konzept der Sozialpartnerschaft gebunden ist. Das ist leider nicht zukunftsweisend, trotz aller Erklärungen, in denen von einer sozialökologischen Transformation die Rede ist.
In der Praxis wird das Elend verwaltet, obwohl da gutwillige Sekretäre sind. Die wollen das irgendwie hinkriegen im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten. Aber genau diesen Rahmen müssten sie sprengen, über ihren eigenen Schatten springen. Diejenigen, die das innerhalb der Gewerkschaft wollen, sind nur ganz wenige.

Es gibt einen ungeheuren Bedarf an Produktionsstätten und an Personal, um die Verkehrswende überhaupt hinzubekommen. Alstom, der größte Hersteller von Schienenfahrzeugen, hat die Bücher voll und ist gar nicht in der Lage, neue Aufträge anzunehmen. Andererseits stehen in ganz vielen Automobilfabriken Kapazitäten leer. Warum findet da kein Umdenken statt? Was hindert zum Beispiel auch Betriebsräte oder Gewerkschaftsfunktionäre daran, sich beispielsweise für die Produktion von Straßenbahnen einzusetzen?

Das Bahnwerk von Alstom (ehemals Bombardier) in Henningsdorf bei Berlin soll dicht gemacht werden. Die haben absolute Krise, obwohl es einen enormen Bedarf an Schienentechnologie gibt. Selbst die vorhandenen Kapazitäten werden nicht genutzt. Es ist irre, weil nach ökonomischen Kriterien entschieden wird und nicht nach politisch-gesellschaftlichen.
Wer produziert was für wen? – das ist die zentrale Frage. Aber im Kapitalismus gilt nur: Wenn der Betrieb keinen Gewinn abwirft – und wenn es gesellschaftlich noch so sinnvoll ist, das zu produzieren – dann gibt es halt Einschränkungen, dann gibt es Personalabbau. Und das ist das Drama an der Geschichte. Die Konversion von einem gesellschaftlich schädlichen Produkt hin zu einem gesellschaftlichen nützlichen Produkt, das ist keine leichte Aufgabe, da die Kollegen mitzunehmen.
Aber es gibt auch gewerkschaftliche Abwehrhaltungen. Die Klimabewegung in Wolfsburg kann ein Lied davon singen: Der Austausch mit der IG Metall liegt auf Eis und die Gewerkschaft ist regelrecht negativ eingestellt gegenüber der Klimabewegung. Dort waren z.B. gefälschte Flugblätter mit IG-Metall-Logo in Umlauf gebracht worden mit dem Titel: »VW baut jetzt Straßenbahnen«. Also sog. adbusting.
Da fühlte sich die starke IG Metall in Wolfsburg auf den Schlips getreten, damit konnte sie nicht umgehen. Eigentlich müsste sie sagen: Hey Leute, ihr habt recht. Dem Geschäftsführer der IG Metall in Wolfsburg traue ich das eigentlich zu, ich habe ihn kurz kennengelernt. Flavio Benites machte auf mich einen offenen Eindruck, aber er muss da sicher auch die Zwänge innerhalb der Strukturen der eigenen Organisation überwinden – z.B. die Orientierung auf einen grünen Kapitalismus, der nicht funktionieren kann.
Etwas Hoffnung weckt die aktuelle Debatte über Infrastruktursozialismus, zu der unser Arbeitskreis den Jenaer Arbeitssoziologen Klaus Dörre eingeladen hatte. Bahn, Elektrizitäts- und Wasserversorgung, aber auch Wohnen sollen demnach (wieder) in Gemeineigentum überführt werden.
Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Und sicher auch einer, den die IG Metall mitgehen könnte. Aber ob das über die Theorie hinausgeht, bleibt abzuwarten. Denn die Rahmenbedingungen, die der IG Metall mit ihrem aktuellen Selbstverständnis der Sozialpartnerschaft gesetzt sind, sind schon wirklich sehr starr. Wir müssen über diese Grenzen hin­ausgehen.

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