Eine alte, zweischneidige Waffe
Hannes Hofbauer: Im Wirtschaftskrieg. Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland. Wien: Promedia, 2024. 254 S., 22 Euro
von Albrecht Kieser
Wirtschaftssanktionen ziehen sich durch die Gewaltgeschichte der Menschheit.
Schon vor fast 2500 Jahren begannen Würgeversuche mit dem Handel, als Athen eine Wirtschaftsblockade gegen Sparta verhängte. Sie mündete in den 30jährigen Peloponnesischen Krieg um die Vorherrschaft im antiken Griechenland.
Befreiung aus den Fesseln der Konkurrenz
Plädoyer für solidarische Kooperation
von Manuel Kellner
Jakob Schäfer: Konkurrenz – Grundprinzip einer vernünftigen Gesellschaftsordnung?, Wien: new academic press, 2024. 151 S., 12,90 Euro
Wie so oft bei Titeln mit Fragezeichen lautet die Antwort »Nein!«. Konkurrenz ist keineswegs das »Grundprinzip einer vernünftigen Gesellschaftsordnung«. Sie ist das Grundprinzip der kapitalistischen Produktionsweise.
weiterlesenWie Russland wurde, was es ist
Kapitalismus ohne Demokratie
von Elfriede Müller
Katharina Bluhm: Russland und der Westen. Ideologie, Ökonomie und Politik seit dem Ende der Sowjetunion. Berlin: Matthes und Seitz, 2024. 490 S., 34 Euro
weiterlesenDogan Akhanli: Sankofa
Bremen: Sujet Verlag, 2024. 563 S., 29,80 Euro
von Ayse Tekin
»Wenn mein Mann mich über seine Flucht informiert hätte, warum sollte ich hierbleiben und darauf warten, dass ich festgenommen werde? Wenn Ihre Frau flüchten würde, würden Sie dann zu Hause auf sie warten? Hätte ich gewusst, dass er fliehen wird, wäre ich zumindest in Erzincan, damit ich ihm helfen kann.« So Gülsen zu dem Offizier, der sie ins Revier mitgenommen hat um zu fragen, wo ihr Mann sein könnte. So sind alle Frauen in Sankofa, Dogan Akhanlis posthum erschienenem Buch: direkt, herausfordernd und kämpferisch.
weiterlesenDer Entfesselungskünstler Harry Houdini (1874–1926)
Kopfüber aus der Zwangsjacke
von Kai Böhne
Seine Mutter Cecilia konnte den besten Apfelkuchen der Welt backen, das vollendete Backwerk habe sie dann in einem Schrank verschlossen, erzählte der Magier und Entfesselungskünstler Harry Houdini gern seinen Bewunderern. Um an seine Leibspeise zu gelangen, habe er bereits in frühester Kindheit begonnen zu lernen, wie sich ein Schloss kunstvoll öffnen und wieder verschließen lässt. So erklärte er die Anfänge seiner Karriere, sich aus Handschellen, Fesselungen, Ketten, Zwangsjacken und zugenagelten Holzkisten zu befreien.
weiterlesenMarija Gimbutas (1921–1994)
Woher das Patriarchat kommt
von Angela Klein
Generationen von Anthropologen, Archäologen, Ethnologinnen und Feministinnen haben versucht herauszufinden, ob es in der Vorgeschichte der Menschheit Beweise für die Existenz nichtpatriarchalischer und egalitärer Gesellschaften gegeben hat. Ein solcher Nachweis ist für die Glaubwürdigkeit der marxistischen Gesellschaftskritik von herausragender Bedeutung. Würde er doch bekräftigen, dass Klassengesellschaft und Patriarchat – beides hängt eng zusammen – etwas geschichtlich Gewordenes und nicht etwas dem Menschen wesenhaft Anheftendes sind; und da sie menschengemacht sind, können sie auch wieder abgeschafft werden.
weiterlesenNo other Land
von Peter Nowak
No Other Land
Dokumentarfilm
2024, 95 min.
Ein Video mit seiner toten Enkelin im Arm machte Scheich Khaled Nabhan weltweit bekannt. Der alte Mann aus dem Gazastreifen zeigte öffentlich die Trauer über den Tod des Kindes. Er wurde zum Gesicht der Zivilbevölkerung im Gazastreifen, die nichts mit der Hamas zu tun hat und trotzdem zum Opfer der israelischen Kriegsführung wird.
Am 16. Dezember 2024 starb auch Khaled Nabhan nach einem israelischen Bombenangriff auf das Flüchtlingslager, in dem er lebte. Er ist einer der wenigen Toten dort, die mit ihren Gesicht und mit ihren Gefühlen bekannt sind.
Zu oft sind es reine Ziffern, wenn wir von Tausenden von Toten im Gazastreifen lesen, die dann im Zweifelsfall auch noch alle mit der islamistischen Hamas in Verbindung gebracht werden. Dabei wird vergessen, dass die Hamas auch im Gaza als Unterdrückerorganisation auftritt. Es ist so wichtig, dass auch die Bewohner:innen im Gaza und in der Westbank ein Gesicht bekommen, dass sie als Menschen gezeigt werden, die Träume und Hoffnungen für ihr Leben haben und sich nicht einfach zu Kollateralschäden in einem Krieg machen lassen, der nicht der ihre ist.
Deshalb ist der Film No Other Land so wichtig. Er gibt Basel Adra ein Gesicht, einem jungen Mann, der in einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Hebron aufgewachsen ist. Schon als Jugendlicher hielt er mit seiner Kamera fest, was in seiner Umgebung passierte. Dazu muss man wissen, dass in Hebron eine kleine Gruppe von israelischen Ultranationalist:innen die palästinensische Bevölkerung täglich provoziert und dabei von den israelischen Soldat:innen oft Rückendeckung bekommt, besonders seit die ultrarechte Regierung an der Macht ist.
Dabei soll nicht vergessen werden, dass in Hebron seit Jahrtausenden auch Jüdinnen und Juden lebten, die dort von palästinensischen Nationalisten 1929 mit Gewalt vertrieben wurde. Das rechtfertigt allerdings nicht das Auftreten der Mehrheit der Siedler:innen in Hebron, die die übrige Bevölkerung nicht als Nachbar:innen betrachtet, mit denen man zusammenleben will, sondern als Feind, den man vertreiben muss.
Einen anderen Weg ist Yuval Abraham gegangen. Der israelische Journalist und Dokumentarfilmer freundete sich mit Basel Adra an. Nur so war es möglich, No other Land zu drehen, einen Film, in dem die Aktivitäten von Adra und seiner Familie im Mittelpunkt steht. Sie wehren sich dagegen, dass sie ihr Haus für einen Übungsplatz der israelischen Armee räumen sollen. Wir sehen im Film die selbstbewußten Menschen, die sich in einem Akt des zivilen Ungehorsams der schwerbewaffneten Polizei und dem Militär entgegen stellen. Ihre einzige Waffen sind ihre Körper.
Die Polizei wird im Film allerdings nicht als schießwütige Rambos gezeigt, manchen Soldat:innen ist es durchaus unangenehm, die Menschen aus ihren Häusern räumen zu müssen. Nachdem ihr Haus abgerissen wurde, kampieren sie weiterhin in der Nähe in provisorisch selbstgebauten Behausungen. Ein Verwandter von Basel Adra wird durch ein Geschoss so schwer am Rücken verletzt, dass er gelähmt ist und später stirbt.
Hier wird auch deutlich, wie gefährlich auch gewaltfreier ziviler Ungehorsam sein kann. Es ist ein Verdienst des Films, etwas vom Mut und Entschlossenheit dieser Menschen vermittelt zu haben. In dem Film kommen keine Islamist:innen vor, wir sehen keine Fanatiker:innen, die Israel auslöschen wollen. Nein, wir sehen Menschen, die einfach nur auf ihrem Land leben wollen und dafür unbewaffnet, aber mit zivilem Ungehorsam kämpfen.
Mit Yuval Abraham sehen wir einen Israeli, der bereit ist, diesen Menschen zuzuhören. Es gibt auch einige Szenen, wo das Machtgefälle zwischen den beiden Männern angesprochen wird. Basel Adra sagt, dass er auch andere Ziele und Träume habe, als immer nur im Widerstand zu sein. Aber er habe anders als sein israelischer Freund nicht die Möglichkeit, durch die Welt zu reisen, sagt er fast resigniert. Doch das stimmt nicht mehr. Der Film machte auch ihn weltbekannt. Bei der Berlinale 2024, wo der Film preisgekrönt wurde, konnten beide Co-Autoren gemeinsam auftreten.
Auch diesem Film wurde vorgeworfen, er würde antisemitische Inhalte verbreiten. Das ist absolut falsch. Im Gegenteil, der Film zeigt am Beispiel von Basel Adra und Yuval Abraham, wie ein Zusammenleben von jüdischen und palästinensischen Menschen aussehen könnte. Dann wäre Gaza frei von der Hamas und in Israel hätten Netanjahu und seine kahanistischen Koalitionspartner:innen keine Macht mehr. Das wäre die einzige Alternative für ein gutes Leben für alle Menschen. Denn der Titel des Films beschreibt die Realität: Es gibt kein anderes Land.
›Das ist kolonial!‹
An den Rand notiert
von Rolf Euler
So hieß eine Ausstellung im Landesmuseum Westfalen-Lippe (LWL) »Zeche Zollern« in Dortmund in diesem Sommer. In der Umgebung eines ehemaligen Bergwerks sollte auf die deutsche Geschichte der Kolonialzeit hingewiesen werden.
weiterlesen›Nicht mit den herrschenden Wölfen heulen‹
Antimilitaristische Positionen aus der Ukraine
von Angela Klein
AK Beau Séjour: Sterben und sterben lassen. Der Ukrainekrieg als Klassenkonflikt. Berlin: Die Buchmacherei, 2024. 208 S., 15 Euro
Die Buchmacherei ist schon ein kleines Trüffelschwein. Immer findet sie zu wichtigen Debatten Beiträge, die abseits des Mainstreams liegen und gerade deshalb höchst wertvoll sind.
So auch jetzt wieder zum Thema Ukraine. Das vorliegende Büchlein – klein gedruckt und mit ziemlich viel Stoff – leistet vier Dinge:
Die belgische Linke auf Erfolgskurs
Politik für die Arbeiterklasse ist der Schlüssel für linke Erfolge
von Peter Nowak
Peter Mertens: Meuterei – wie unsere Weltordnung ins Wanken gerät. Berlin: Brumaire, 2024. 284 S., 19 Euro
Der belgische Sozialist Peter Mertens stellte in Berlin seine Thesen für erfolgreiche linke Politik vor. Doch sind sie auf Deutschland übertragbar?
weiterlesenGewalt?
Mithu Sanyal: Antichristie. München: Hanser, 2024. 544 S., 18,99 Euro
von Elfriede Müller
Antichristie ist ein überzeugendes Buch, das ein anspruchsvolles, anregendes und witziges Lesevergnügen bietet. Es thematisiert die komplexe Frage linker Gewalt am Beispiel des indischen Unabhängigkeitskampfes.
weiterlesenErstarrtes Land
Die Viennale 2024
von Kurt Hofmann
Auch in ihrer 62.Ausgabe bot die Viennale, der Höhepunkt des österreichischen Kinojahrs, wieder ein hochwertiges und variantenreiches Programm.
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