Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Nur Online 20. Dezember 2024

No other Land

von Peter Nowak

No Other Land
Dokumentarfilm
2024, 95 min.


Ein Video mit seiner toten Enkelin im Arm machte Scheich Khaled Nabhan weltweit bekannt. Der alte Mann aus dem Gazastreifen zeigte öffentlich die Trauer über den Tod des Kindes. Er wurde zum Gesicht der Zivilbevölkerung im Gazastreifen, die nichts mit der Hamas zu tun hat und trotzdem zum Opfer der israelischen Kriegsführung wird.

Am 16. Dezember 2024 starb auch Khaled Nabhan nach einem israelischen Bombenangriff auf das Flüchtlingslager, in dem er lebte. Er ist einer der wenigen Toten dort, die mit ihren Gesicht und mit ihren Gefühlen bekannt sind.

Zu oft sind es reine Ziffern, wenn wir von Tausenden von Toten im Gazastreifen lesen, die dann im Zweifelsfall auch noch alle mit der islamistischen Hamas in Verbindung gebracht werden. Dabei wird vergessen, dass die Hamas auch im Gaza als Unterdrückerorganisation auftritt. Es ist so wichtig, dass auch die Bewohner:innen im Gaza und in der Westbank ein Gesicht bekommen, dass sie als Menschen gezeigt werden, die Träume und Hoffnungen für ihr Leben haben und sich nicht einfach zu Kollateralschäden in einem Krieg machen lassen, der nicht der ihre ist.

Deshalb ist der Film No Other Land so wichtig. Er gibt Basel Adra ein Gesicht, einem jungen Mann, der in einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Hebron aufgewachsen ist. Schon als Jugendlicher hielt er mit seiner Kamera fest, was in seiner Umgebung passierte. Dazu muss man wissen, dass in Hebron eine kleine Gruppe von israelischen Ultranationalist:innen die palästinensische Bevölkerung täglich provoziert und dabei von den israelischen Soldat:innen oft Rückendeckung bekommt, besonders seit die ultrarechte Regierung an der Macht ist.

Dabei soll nicht vergessen werden, dass in Hebron seit Jahrtausenden auch Jüdinnen und Juden lebten, die dort von palästinensischen Nationalisten 1929 mit Gewalt vertrieben wurde. Das rechtfertigt allerdings nicht das Auftreten der Mehrheit der Siedler:innen in Hebron, die die übrige Bevölkerung nicht als Nachbar:innen betrachtet, mit denen man zusammenleben will, sondern als Feind, den man vertreiben muss.

Einen anderen Weg ist Yuval Abraham gegangen. Der israelische Journalist und Dokumentarfilmer freundete sich mit Basel Adra an. Nur so war es möglich, No other Land zu drehen, einen Film, in dem die Aktivitäten von Adra und seiner Familie im Mittelpunkt steht. Sie wehren sich dagegen, dass sie ihr Haus für einen Übungsplatz der israelischen Armee räumen sollen. Wir sehen im Film die selbstbewußten Menschen, die sich in einem Akt des zivilen Ungehorsams der schwerbewaffneten Polizei und dem Militär entgegen stellen. Ihre einzige Waffen sind ihre Körper.

Die Polizei wird im Film allerdings nicht als schießwütige Rambos gezeigt, manchen Soldat:innen ist es durchaus unangenehm, die Menschen aus ihren Häusern räumen zu müssen. Nachdem ihr Haus abgerissen wurde, kampieren sie weiterhin in der Nähe in provisorisch selbstgebauten Behausungen. Ein Verwandter von Basel Adra wird durch ein Geschoss so schwer am Rücken verletzt, dass er gelähmt ist und später stirbt.

Hier wird auch deutlich, wie gefährlich auch gewaltfreier ziviler Ungehorsam sein kann. Es ist ein Verdienst des Films, etwas vom Mut und Entschlossenheit dieser Menschen vermittelt zu haben. In dem Film kommen keine Islamist:innen vor, wir sehen keine Fanatiker:innen, die Israel auslöschen wollen. Nein, wir sehen Menschen, die einfach nur auf ihrem Land leben wollen und dafür unbewaffnet, aber mit zivilem Ungehorsam kämpfen.

Mit Yuval Abraham sehen wir einen Israeli, der bereit ist, diesen Menschen zuzuhören. Es gibt auch einige Szenen, wo das Machtgefälle zwischen den beiden Männern angesprochen wird. Basel Adra sagt, dass er auch andere Ziele und Träume habe, als immer nur im Widerstand zu sein. Aber er habe anders als sein israelischer Freund nicht die Möglichkeit, durch die Welt zu reisen, sagt er fast resigniert. Doch das stimmt nicht mehr. Der Film machte auch ihn weltbekannt. Bei der Berlinale 2024, wo der Film preisgekrönt wurde, konnten beide Co-Autoren gemeinsam auftreten.

Auch diesem Film wurde vorgeworfen, er würde antisemitische Inhalte verbreiten. Das ist absolut falsch. Im Gegenteil, der Film zeigt am Beispiel von Basel Adra und Yuval Abraham, wie ein Zusammenleben von jüdischen und palästinensischen Menschen aussehen könnte. Dann wäre Gaza frei von der Hamas und in Israel hätten Netanjahu und seine kahanistischen Koalitionspartner:innen keine Macht mehr. Das wäre die einzige Alternative für ein gutes Leben für alle Menschen. Denn der Titel des Films beschreibt die Realität: Es gibt kein anderes Land.

1. Dezember 2024

Erstarrtes Land

Die Viennale 2024
von Kurt Hofmann

Auch in ihrer 62.Ausgabe bot die Viennale, der Höhepunkt des österreichischen Kinojahrs, wieder ein hochwertiges und variantenreiches Programm.

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1. Dezember 2024

Die Rote Kapelle im Film

In Liebe, Eure Hilde, Deutschland 2024, Regie: Andreas Dresen; Drehbuch: Laila Stieler
von Peter Nowak

Nur mit einem Schal vermummte junge Leute überkleben mit weißen Papierstreifen, auf denen politische Parolen stehen, Plakate in einer Unterführung. Die Szene sieht auf den ersten Blick wie die Aktion junger Leute aus, die heute mit Adbusting-Aktionen politische Plakate bspw. der Bundeswehr oder der Polizei verfremden. Doch was machte der Mann in Offiziersuniform in dem Bild?

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1. Oktober 2024

Antifa ist mehr als Militanz

Ein Anstoß zur Diskussion über Strategien gegen Rechts
von Peter Nowak

Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte. Deutschland 2024, 92 Min. Regie und Drehbuch: Marco Heinig, Steffen Maurer; Produktion: leftvision;
www.antifa-film.de/

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1. Oktober 2024

Düsteres Verlangen

Das Filmfestival in Locarno 2024
von Kurt Hofmann

Juryentscheidungen sind häufig Kompromisse. Dies gilt wohl auch die Preisverleihung des »Goldenen Leoparden« an den litauischen Film Akiplesa (Regie: Saula Biluvalté).
Der Film erzählt die Geschichte einer Mädchenfreundschaft rund um eine erhoffte Modelkarriere. Zwei Außenseiterinnen halten gegen Mobbing zusammen, machen sich Gedanken über schlanke Körper, aber mehr noch über das Entfliehen aus der Provinz in die große Stadt. Der Film ist ein intimes Porträt, sensibel erzählt.

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1. Oktober 2024

Verkehrswendestadt Wolfsburg

Filmtipp
von Matthias Becker

Verkehrswendestadt Wolfsburg. Den automobilen Konsens aufbrechen
Deutschland 2024
Regie: John Mio Mehnert
film.verkehrswendestadt.de/

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1. Juni 2024

Tarnen und Täuschen

Filmfestival Crossing Europe
von Kurt Hofmann

Crossing Europe, das Festival des europäischen Films in Linz, bot auch in seiner Ausgabe 2024 ein vielfältiges Programm mit gesellschaftspolitisch relevanten Themen.

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1. April 2024

Hinter der Mauer

Jonathan Glazers The Zone of ­Interest
von Kurt Hofmann

Fein säuberlich getrennt. So verläuft das Leben des Ehepaares Höß in Auschwitz. Die Trennlinie ist nicht nur die Mauer zwischen dem von Frau Höß liebevoll angelegten Garten und den von ihrem Gatten Rudolf Höß geleiteten KZ. Sie steht auch paradigmatisch für die Ignoranz all derer, die ja, bewahre, keine Täter:innen waren, und nur »ihr Leben gelebt haben«, dabei alles relativierend, was außerhalb von Haus und Herd, »hinter der Mauer« vorging.

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1. März 2024

Europa, Europa

Ein Film über die Flüchtlingsabwehr an Polens Grenze zu Belarus
von Gaston Kirsche

Green Border – Zielona granica
Polen, Frankreich, Tschechische ­Republik, Belgien 2023
Regie: Agnieszka Holland
152 Minuten

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1. Dezember 2023

Zur Viennale 2023

Alte Gewissheiten, neue Konzepte
von Kurt Hofmann

Auch heuer war die Viennale, ein Festival von überregionaler Bedeutung, wieder der Höhepunkt des österreichischen Kino­jahres. Es wurde ein innovatives Programm geboten.

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1. Dezember 2023

Es kamen Menschen

Dokumentarfilm: Liebe, D-Mark und Tod
von Ayse Tekin

Liebe, D-Mark und Tod
Deutschland 2022
WDR-Mediathek bis 25.1.2024

Deutschlandlieder – Almanya Türküleri
Deutschland 2022
3sat-Mediathek bis 26.1.2024

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1. November 2023

Brandfilme

Vergiss Meyn nicht, Deutschland 2023, Dokumentarfilm. Regie: Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl, Jens Mühlhoff
von Peter Nowak

Am 19.September 2019 stürzte der Student der Medienakademie Köln, Steffen Meyn, im Hambacher Forst von einem Baum in den Tod. Er wollte eine Langzeitdokumentation über die Besetzung des Hambacher Forsts drehen. Als er starb, fand ein Polizeieinsatz statt, den er im Baumhaus dokumentieren wollte.
Vier Jahre nach seinem Tod haben Freund:innen und Kommiliton:innen mit dem Film Vergiss Meyn nicht seine Arbeit vollendet.

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