Das alte Recht
von Angela Klein
Der Rechtsboden, auf dem die Bauern in Deutschland bislang gestanden hatten, war ein Gewohnheitsrecht, von den Vorfahren überliefert. Es wurzelte in der germanischen Rechtsauffassung, wonach das Recht ein Stück der Weltordnung war, von Gott oder den Göttern geschaffen und darum unerschütterlich. Das Recht stand auch über dem Staat. Kein König und kein Fürst konnte neues Recht schaffen. Das von Alters her gegebene Recht konnte nur vom gemeinsamen Prozess von Kläger und Beklagtem »gefunden« werden.
Da das Recht von Gott stammte, war es unverjährbar und die, die es ändern wollten, im Unrecht. Der Kampf gegen sie war nicht Rechtsbruch, sondern Rechtswahrung und sittliche Pflicht. Einen Unterschied zwischen dem Recht, und dem, was recht ist, gab es nicht. Recht und redlich waren noch sinnesgleich.
Diese Rechtsauffassung musste mit den damaligen Bestrebungen geistlicher wie weltlicher Fürsten, ihre Flickenteppiche mit jeweils unterschiedlichen Rechts- und Verwaltungsordnungen hinter sich zu lassen und zusammenhängende Territorialstaaten zu gründen, in Konflikt treten. Sie wollten eine Zentralgewalt schaffen, die ihnen die Mittel an die Hand gab, Recht zu schaffen, wie sie es brauchten; dass alle Teile ihrer Herrschaft diesem neuen Recht gehorchten und ein zentralisierter Beamtenapparat es einheitlich durchsetzte. Mit dem deutschen Recht ging das nicht, dafür bot sich das Römische Recht an, das ja ein Privatrecht ist (siehe SoZ 7-8/25).
Der Bauer hatte durchaus nicht unrecht, wenn er den Fürsten Rechtsbruch vorwarf. Der Umsturz kam von oben, er äußerte sich u.a. darin, dass er die Rechtsstellung des Bauern kündigte. Hatte dieser bislang in den Dorfgerichten Sitz und Stimme, weil die Gerichte von der Gemeinde besetzt wurden, gingen die Herren nun dazu über, sie von oben zu besetzen und sie anzuweisen, nach neuen Gesetzen und Rechtsordnungen zu richten. Wollte der Bauer gegen eine Übergriffkeit der Herrschaft klagen, so wurde ihm das neue Recht unter die Nase gehalten, und wenn er verlor, gab es für ihn keine Appellationsinstanz mehr.
Seine Entrechtung ging mit seiner Enteignung einher, indem die Herrschaft sich widerrechtlich und gewaltsam sein Hab und Gut, insbesondere sein Erbe aneignete. Und sie ging einher mit dem Verlust seiner Freizügigkeit, indem freie Bauern und Freizinser zu Leibeigenen wurden, wenn sie eine oder einen Leibeigene/n heirateten. Diese Maßnahme sollte die Freizügigkeit der Bauern behindern.
Die Bauern haben immer wieder darum gekämpft, dass das Alte Recht wieder gelten sollte, das war für sie auch das gottgewollte, das natürliche Recht. Sie waren nicht diejenigen, die die alte Ordnung umstießen. Sie wandten sich auch nicht gegen die Grundherrschaft und die ihr schuldigen Abgaben als solche. Sie wandten sich gegen die willkürliche Belastung mit neue Abgaben und Einschränkung ihrer Rechte.
Indem ihnen der Boden des Alten Rechts entzogen wurde, mussten sie einen neuen finden, aus dem sie die Berechtigung ihrer Forderungen ableiteten. Das war ein Prozess, der in den 90er Jahren des 15.Jahrhunderts begann (siehe SoZ 5/25) und neue materielle wie geistige Entwicklungen aufnahm. Er mündete in dem, was die Bauern nunmehr das »göttliche Recht« nannten.
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