Keine Gemeinsame Sache mit der Hamas!
von Hermann Nehls
Wir erleben in Gaza und im Westjordanland eine systematische Zerstörung der Lebensgrundlagen der Palästinenser:innen. Viele empfinden angesichts dieser Situation und der unfassbaren Grausamkeit der Verbrechen, die den Menschen in der Region angetan werden, Ohnmacht und Entsetzen. Diesem Grauen dürfen wir nicht tatenlos zusehen.
In Neukölln hat deshalb die Linke am 9. August 2025 gemeinsam mit Vertreter:innen der palästinensischen Community ein Soli-Kiez-Event organisiert, das zu einem Aufruhr in der Medienlandschaft geführt hat. Der Vorwurf: Wir würden gemeinsame Sache mit der Hamas machen.
Das ist kompletter Unsinn. Die Springer-Presse hat den Vorwurf vor allem an einem Redner des Vereinigten Palästinensischen Nationalkomitees (UNPK) festgemacht, das im Berliner Verfassungsschutzbericht von 2025 Erwähnung findet. Wir weisen diese Diffamierung zurück.
Der Verfassungsschutz hat sich in der Vergangenheit immer wieder als unzuverlässige Quelle erwiesen. Seine Quellen legt er nicht offen, Belege liefert er nicht, er dient politischen Zwecken. Als Partei Die Linke haben wir seit unserer Gründung im Jahr 2007 leidvolle Erfahrungen mit ihm gemacht. Erst nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts endete die Überwachung unserer Partei.
Wir haben uns nicht beirren lassen und eine erfolgreiche Veranstaltung mit 500 Teilnehmenden durchgeführt.
Uns war wichtig, das Soli-Kiez-Event gemeinsam mit Akteuren der palästinensischen Community durchzuführen. In Neukölln haben viele Nachbarn Angehörige in Gaza, um deren Leben sie täglich fürchten müssen, da sie vom israelischen Militär bombardiert, ausgehungert und vertrieben werden. Hier müssen wir Raum für Austausch und Solidarität organisieren.
Von den rund 200.000 Menschen palästinensischer Herkunft lebt ungefähr ein Fünftel in Berlin. Das sind etwa 45.000 Palästinenser:innen, mehr als in jeder anderen deutschen Großstadt. Damit ist Berlin Heimat der größten palästinensischen Minderheit in Europa.
Die Behörden haben Menschen mit Migrationshintergrund im ganzen Land im Visier. In Neukölln, wo große türkische, kurdische und arabische Gemeinschaften leben, ist die Polizei ständig präsent. Sie patrouilliert durch die Straßen und sucht nach Unterstützungsbekundungen für Palästina.
Zu den Festgenommen gehören häufig auch jüdische Israelis, nicht nur syrische und palästinensische Aktive. In Schulen sind palästinensische Flaggen und Keffiyeh verboten, während andere Nationalflaggen erlaubt sind.
Rassistische Vorverurteilungen spielen bei der gezielten Verfolgung von Verdächtigen eine wichtige Rolle. Kultureinrichtungen zensieren sich selbst, indem sie kritische Veranstaltungen zur israelischen Politik und palästinasolidarische Veranstaltungen absagen und Referent:innen und Künstler:innen ausladen. Dies geschieht unter dem Vorwand, Juden zu schützen.
Berlin sieht sich selbst als internationale, multikulturelle Stadt. Aber dieses Bild hat nicht erst seit dem erneuten Nahostkrieg Risse bekommen. Es gab immer Vorbehalte gegen palästinensische Einwanderung, rassistische wie politische.
Nach dem Ende des Arabischen Frühlings galt Berlin als Sehnsuchtsort für arabische Intellektuelle, die aus ihrem Land fliehen mussten. Berlin zog damals viele Künstler, Wissenschaftlerinnen und Intellektuelle an, auch viele Palästinenser:innen.
Die größte palästinensische Diaspora in Europa wird von der deutschen Politik hauptsächlich als Sicherheits- oder Integrationsproblem betrachtet und in den Medien kam sie bis vor kurzem kaum vor. Ihre Geschichte wurde negiert, ihre Gewalterfahrung ausgeblendet, ihr Anliegen ignoriert.
Es leben in Berlin auch viele Jüdinnen und Israelis, geschätzt 30.000, die aus Ablehnung der israelischen Regierung nach Berlin gekommen sind. Viele von ihnen protestieren gegen den Gazakrieg, engagieren sich häufig in der Palästinasolidarität und werden deshalb auf vielfältige Weise drangsaliert.
Bereits 2022 und 2023 wurden in Berlin über Wochen hinweg sämtliche Versammlungen, bei denen der Nakba, der Flucht und Vertreibung der Palästinenser:innen vor 75 Jahren, gedacht werden sollte, verboten. Seit dem 7. Oktober 2023 werden propalästinensische Proteste noch stärker kriminalisiert und das palästinensische Leid ignoriert oder relativiert.
Deutsche Medien berichten im Vergleich zu englischsprachigen, französischen oder spanischen Medien nur bruchstückhaft über den Gazakrieg. Von hiesigen Politikern kommen, wenn überhaupt, nur zögerliche Worte des Beileids. Kulturförderung wird an Auflagen geknüpft. Viele Menschen aus der palästinensischen Community denken über Auswanderung nach.
Als Partei Die Linke sind wir an einem friedlichen Zusammenleben aller Communities interessiert und lehnen Antisemitismus genauso ab wie Rassismus. Die unterschiedlichen Communities müssen gleichberechtigt hier leben können.
Hermann Nehls ist Sprecher der Linken Neukölln.
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