Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Gewerkschaften 1. Juni 2025


von Angela Klein

Die 6.Konferenz für gewerkschaftliche Erneuerung hat alle vorhergehenden weit in den Schatten gestellt.

Es war die größte Zusammenkunft linker Gewerkschafter:innen seit Jahrzehnten, konnte Fanny Zeise schon am zweiten Konferenztag sagen; 2300 hatten sich zur 6.Gewerkschaftskonferenz »Gegenmacht im Gegenwind« angemeldet, am Ende kamen rund 3000. Angefangen hat die »Streikkonferenz« vor zwölf Jahren in Stuttgart mit 500 Teilnehmenden.

Die Konferenz platzte buchstäblich aus allen Nähten. Nicht einmal das Audimax der TU Berlin – der größte Konferenzraum in Berlin, der solche Veranstaltungen aufnimmt – konnte alle Besucher:innen fassen, die Plenarsitzungen mussten in einem zweiten Hörsaal übertragen werden. Dasselbe passierte auch mit der Abendveranstaltung, die die Falken mit gemeinsamem Singen von Arbeiterliedern gestaltet hatten: in zwei brechend vollen Hörsälen schmetterten ausschließlich junge Leute die Chöre von vor 100 und mehr Jahren. Auch bei manchen Arbeitsgruppen standen Zuhörer:innen auf dem Gang.
Ein noch viel größeres Nadelöhr war der Raum für die Verpflegung. Die Mensa stand nicht zur Verfügung, nur zwei Cafeterias, vor denen sich Schlangen bis auf die Straße hinaus bildeten. Räumlich ist die Konferenz somit an ihre Grenzen gelangt.
Das Publikum wie auch die Stimmung spiegelten die Radikalisierung eines Teils der Jugendlichen nach links, die bereits in der Wahlkampagne für die Linke festzustellen war. Die massive Anwesenheit dieser jungen Aktiven hat die Konferenz geprägt und ihr den Charakter eines Aufbruchs gegeben, den sie ohne sie nicht gehabt hätte.

Das Programm wies eine gewisse Dreiteilung auf: eine Zeitschiene »Handwerk« für die tägliche gewerkschaftspolitische Arbeit; eine Schiene »Branchentreffen/Vernetzung«; zwei Schienen »Arbeitsgruppen« zu verschiedenen inhaltlichen Fragen. Ein Plenum pro Tag, wobei Heinz Bierbaum in seinem Eingangsreferat eine explizit politische Einordnung der Konferenz in die aktuelle politische Situation vornahm, die alle kniffligen Punkte benannte – den Krieg, die notwendige Konversion der Produktion, die problematische Haltung der Gewerkschaftsführungen. Das Abschlussplenum am Sonntag endete mit einem deutlichen Nein zum Krieg und der Erinnerung an den Friedensauftrag der Gewerkschaftsbewegung.
Das Plenum am Samstag stellte wichtige Arbeitskämpfe aus verschiedenen wirtschaftlichen und gewerkschaftlichen Bereichen vor – hervorragend choreographiert etwa der Einzug von 50 Beschäftigten des aus der Charité ausgelagerten Versorgungsunternehmens CFM, die in gebrochenem Deutsch über ihre Arbeitsbelastung sprachen – sie streiken für ihre Aufnahme in den Tarifvertrag Öffentlicher Dienst (TVÖD). Wie schon beim Auftaktplenum gab es dafür tosenden Applaus – es herrschte eine Bombenstimmung von Anfang bis Ende.

Die Organisator:innen hatten die 6.Konferenz »Gewerkschaftliche Erneuerung« unter das Motto gestellt: konfliktorientierter, demokratischer, politischer werden.
Die Gewerkschaftskonferenzen der Rosa-Luxemburg-Stiftung rufen allerdings nicht zu Aktionen auf. Sie bieten Raum für vielfältige Initiativen politischer und gewerkschaftspolitischer Art, ergreifen aber selbst keine. In diesem Sinne ähneln sie eher den früheren Sozialforen, allerdings fokussiert auf gewerkschaftliche Kämpfe (Vorbild sind natürlich die zweijährlichen Labor-Notes-Konferenzen in den USA). Ob das Format auf die Dauer reicht?
Einige Interventionen haben diese Frage gestreift: In der Podiumsrunde auf dem Auftaktplenum meinte ein VW-Kollege, angesprochen auf die Frage nach der Entwicklung von Alternativen zum derzeitigen Kahlschlag in der Autoindustrie, dafür fehlten die betrieblichen Kader, die, wie früher, eine politische Sozialisation bei den Falken oder anderen Jugendverbänden durchlaufen hätten.
In einem ganz anderen Zusammenhang merkte ein Kollege in einer Arbeitsgruppe am letzten Tag an, das Konzept des Organizing werde an seine Grenzen stoßen, wenn es darum geht, dass Gewerkschaften politischer werden müssten.
Politisch werden müssen sie, wenn sie die notwendigen, über den Betrieb hinausgehenden Bündnisse schmieden wollen, die sie brauchen, um in Tarifrunden etwa oder in betrieblichen Abwehrkämpfen das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten zu neigen. Das zeigt gerade die aktuelle Krise in der Automobilindustrie. Dann allerdings können die politischen Differenzen, die jetzt unter dem Deckel gehalten werden, weil es ja »nur« darum geht, Gewerkschaften wieder zu einem konfliktfreudigen Instrument in den Kämpfen gegen die alltäglichen Zumutungen zu machen, aufbrechen – das ist unvermeidlich.

Das starke Drängen der Jungen nach Gewerkschaften, die ein wertvolles und verlässliches Instrument in den kommenden Auseinandersetzungen sind, gibt Hoffnung, dass verknöcherte Strukturen aufgebrochen werden können. Es wurden dazu auf der Konferenz auch viele Verabredungen getroffen, eine diesbezügliche Kontinuität kann die Konferenz selbst allerdings nicht schaffen, dazu ist ihr Zweijahresrhythmus nicht geeignet.
Möglicherweise kann eine Initiative der Linken die Lücke füllen: Ines Schwerdtner konnte nämlich auf der Konferenz berichten, dass die Linke damit anfangen will, Betriebsgruppen zu gründen – eine erste existiert bereits: in der EVG, ausgerechnet! Auf deren Branchentreffen war auch ordentlich Dampf und die Verärgerung über die Gewerkschaftsführung groß.
Für die Konferenz und die Frage, welche Rolle sie für die kommenden Auseinandersetzungen spielen kann, ist der Drang nach politischeren Antworten eine große Herausforderung. Die Frage wird sich stellen, ob sich Formate finden lassen, beides unter einen Hut zu bringen: die Breite der gewerkschaftlichen Organisierung und die Zuspitzung politischer Antworten. Und ob es gelingt, in größtmöglicher Gemeinsamkeit Schritte zu gehen, die dem Klassenkampf wieder eine politische Stoßrichtung geben – diesmal basierend auf einem soliden Fundament gewerkschaftlicher und politischer Präsenz im Betrieb. Das allerdings ist eine Frage, die sich an alle Teilnehmenden der Konferenz richtet, nicht allein an die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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