Kritik an DGB-Gewerkschaften unerwünscht?
von Christiaan Boissevain
Mit ihrem Text »Gegenmacht im Gegenwind – Gewerkschaftliche Erneuerung in Zeiten von Autoritarismus, Krise und Krieg« wollen Fanny Zeise und Florian Wilde auf die sechste Gewerkschaftskonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung einstimmen. Leider erfüllt er nicht nicht den selbst formulierten Anspruch, eine Perspektive für gewerkschaftliche Erneuerung zu eröffnen.
Dafür wäre etwa ein kritischer Blick auf das aktuelle Tarifergebnis der IG Metall notwendig. Aber der fehlt. Der Text beschönigt das Ergebnis sogar, das für die Gewerkschaft wie für die Kolleg:innen eine veritable Niederlage darstellt. Kein Wort findet sich im RLS-Text zu den großen Zugeständnissen, die von den Belegschaften erbracht werden müssen, damit einige – nicht einmal alle – Standortschließungen verhindert werden.
Die RLS-Autor:innen feiern Sozialtarifverträge als zielführendes Mittel, mit dem angeblich die Gewerkschaften in die Offensive kommen. Doch sie problematisieren nicht, dass diese Verträge bestenfalls einem Teil der Kolleg:innen zu guten bis sehr guten Abfindungen verhelfen, Arbeitsplätze, Produktionsstandorte und der kollektive Zusammenhalt der Belegschaften damit aber aufgegeben werden.
Auch der Aktionstag der IG Metall am 15. März kommt viel zu gut weg. Mobilisierungsmäßig blieb die Gewerkschaft unter ihren Möglichkeiten. Und die Kundgebungen erinnerten streckenweise an die Animationsmethoden des Club Mediterranee in den 70er und 80er Jahren: La-Ola-Wellen und viel Eigenlob von der Bühne.
In Stuttgart brachte Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall, seine Bitte an Regierung und Kapital, sich im weltweiten Konkurrenzkampf doch mehr um den Industriestandort Deutschland zu kümmern, auf den Punkt: Es müsse allen Kolleg:innen der Zugang zur Elektromobilität ermöglicht werden. Jedem sein E-Auto und die Welt ist gerettet?
Für Hunderttausende Kolleg:innen sind die Zukunftsaussichten düster. Doch die Autor:innen des Beitrags schlagen keine einzige Forderung vor, für die es sich lohnen würde zu kämpfen: keine Arbeitszeitverkürzung, keine Vergesellschaftung der von Schließung bedrohten Betriebe, keine Produktverlagerung auf öffentliche Verkehrsmittel, keine gleitende Anpassung der Löhne und Gehälter an die steigende Inflation. Eine »gewerkschaftliche Erneuerung« sieht anders aus.
Sogar der Verlauf der Tarifrunde öffentlicher Dienst wird schön geredet. Dabei waren zum Zeitpunkt der Verfassung des Textes das Ergebnis der Schlichtung und die zugemuteten »Kröten« schon bekannt. Es steht zu befürchten, dass diese Haltung auch auf der Streikkonferenz der RLS eingenommen wird.
Die Autor:innen schweigen auch zum Kriegs- und Aufrüstungskurs des Kapitals. Das 500 Milliarden schwere Infrastrukturpaket reduzieren sie auf Maßnahmen, deren Umsetzung aktuell alles andere als garantiert ist, etwa die Renovierung von Schulen und Universitäten. Dass dieses Paket dazu dienen soll, die Verkehrsinfrastruktur (Brücken, Straßen, Tunnel, Eisenbahnen) und das Gesundheitswesen »kriegstüchtig« zu machen, wird im RlS-Papier nirgends erwähnt.
Nicht einmal die Bereitwilligkeit, mit der die IG Metall ihre Werkstore für Rüstungsunternehmen öffnet, ist den Autor:innen ein kritisches Wort wert. Um eine Parole aus den 60er Jahren zu paraphrasieren: »Alle reden von Aufrüstung und Krieg – Wir nicht!« Dabei wissen sie genau, wie sehr Aufrüstung und Krieg die Tarifpolitik der Gewerkschaften beeinflussen.
Nimmt man diesen Beitrag, der ja »motivieren« soll, zum Maßstab, hätten wir von dieser Konferenz nichts zu erwarten. Aber wir sind zuversichtlich, dass es viele Kolleg:innen auf der Konferenz geben wird, die soviel – nennen wir es beim Namen – politische Feigheit nicht hinnehmen und zum Thema machen werden. Wie soll es anders sein bei den Horrorszenarien und den Belastungen, die der arbeitenden Bevölkerung bevorstehen?
Ganz allgemein Gegenwehr predigen und gleichzeitig die defensive Politik der DGB Gewerkschaftsführungen »gutreden«, das kann’s jedenfalls nicht sein.
Der Autor ist Mitglied im Seniorenausschuss der IG Metall München, Ex-Betriebsrat und Vertrauensmann in der Münchner Flugzeugindustrie und aktiv in der Vernetzung für Kämpferische Gewerkschaften (VKG).
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