Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Europa 1. Juli 2025

Der Verlierer heißt Tusk
von Angela Klein

Der PiS-Kandidat, Karol Nawrocki, hat, wenn auch knapp, die Wahl zur polnischen Präsidentschaft gewonnen (50,9 zu 49,1 Prozent, rund 370.000 Stimmen Vorsprung). In Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten ist das Gejammer jetzt groß, weil der neue Präsident »antiukrainisch und antideutsch« (Taz) eingestellt ist, weil er die Stellung Trumps in Europa stärkt, weil er jedes Gesetz der Regierung Tusk blockieren kann…

In der linksliberalen polnischen Presse liest es sich anders. Jerzy Domanski, Chefredakteur der Wochenzeitung Przeglad, schreibt: »Diejenigen, die gestohlen und betrogen haben, ihre Verwandten und Kumpel in leitende Positionen staatlicher Unternehmen befördert haben, Millionen Zloty für ihre Leute abzweigten, haben acht Jahre regiert und dank des kurzen Gedächtnisses der Wähler wollen sie wieder zurück auf ihre Posten. Dieses Comeback könnte ihnen gelingen, denn die Unfähigkeit der Regierungskoalition ist noch größer als das, was der Stab von Trzaskowski gezeigt hat.« (Trzaskowski war der Gegenkandidat auf der Liste der Bürgerplattform, die die Regierung stellt.)
Die Regierung Tusk hatte versprochen, Schwangerschaftsabbrüche zu legalisieren und die Gerichte wieder rechtsstaatlichen Normen zu unterwerfen. Nichts davon ist geschehen, und das kann man nicht allein der Obstruktionspolitik des ausgehenden Präsidenten Duda anlasten, ebenfalls ein Mann der PiS.
Nawrocki hat unter den Männern deutlich mehr Stimmen geholt als unter den Frauen (55,5 zu 45,5 Prozent); Trzaskowski holte weniger Stimmen unter den Männern, aber nicht wesentlich mehr unter den Frauen (52,8 zu 47,2 Prozent). Die Hauptthemen des Wahlkampf waren Krieg, Migration und Wirtschaft. Die Zeitung schreibt: »Für viele junge Polen war eines der wichtigsten Anliegen, sich vor der Möglichkeit zu schützen, in den Krieg zu ziehen und ihr Leben zu verlieren. Die meisten jungen Männer wollen nicht in der Situation enden, in der sich junge Männer in der Ukraine befinden.« »So wie für Frauen zuvor die Frage der reproduktiven Rechte eine Verteidigung ihres Lebens war, so ist jetzt für Männer der Krieg zum Ansporn geworden.«
In bezug auf die Migration hatte die Bürgerplattform schon vor der Wahl die Aussetzung des Asylrechts beschlossen und damit den wesentlichen Programmpunkt von Na­wrocki übernommen.

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