zusammengestellt von Norbert Kollenda
Liebe Leserinnen und Leser!
Die jüngsten Drohneneinsätze auf polnischem Gebiet haben für Aufsehen gesorgt. Ich habe verschiedene Kommentare in den Medien dazu gesichtet – eine Auswahl davon lesen Sie in dieser Presseschau. (Norbert Kollenda)
Angst als Regierungsinstrument
Przeglad, 15. September 2025
Frage: Nachdem mehrere russische Drohnen in Polen eingedrungen waren, rief Premierminister Donald Tusk zur Einheit auf und sagte, die Polen seien „wie eine Faust“. Hält das Gefühl der Bedrohung die Gesellschaft zusammen?
Dr. Michal Wenzel, Soziologe:
Zunächst wissen wir nicht, wie groß die Bedrohung tatsächlich ist – ob sie real oder eher eingebildet ist. Den Politiker:innen fehlt dieses Wissen nicht, aber sie nutzen es, um uns einzuschüchtern.
Sie rufen zur Einheit auf, dazu, sich unter der Fahne zu versammeln. Das halte ich für übertrieben, doch es zeigt, wie leicht sich mit Angst Politik machen lässt. Angst wirkt – sie bringt Ergebnisse.
In der Soziologie gibt es den Begriff der moralischen Panik. Damit ist eine Reaktion auf eine existenzielle Bedrohung für die Gemeinschaft gemeint. Sie führt oft dazu, dass Menschen die Aussetzung alltäglicher Regeln und Freiheiten im gesellschaftlichen Leben akzeptieren.
Moralische Panik bedeutet also eine übertriebene Reaktion – größer als die tatsächliche Gefahr. Die entscheidende Frage ist: Wann endet eine berechtigte Reaktion, und wann beginnt die übertriebene, unbegründete?
Der Krieg ist eine reale Bedrohung, die Drohnen sind tatsächlich eingeflogen. Wir wissen nicht, was die Russen planen – vielleicht reagieren wir richtig, vielleicht übertreiben wir auch.
Es gibt dabei auch eine allgemeine Wahrnehmung: Wenn Behörden aus dem Osten in Polen aktiv werden, spricht man sofort von Desinformation. Kommen die gleichen Aktivitäten aus dem Westen, nennt man es „öffentliche Diplomatie“. Und wenn westliche NGOs handeln, gilt es als Engagement der Zivilgesellschaft.
„Provinzielle Akteure“ – Robert Walenciak über Drohnen und Politik
Przeglad, 15. September 2025
Ist es gefährlich oder nicht? Rund 20 russische Drohnen sind in Polen gelandet. Und wir, die wir Politiker beobachten – ihre Worte, ihre Mimik, ja sogar ihre Kleidung –, stellen uns die einfachste Frage: Müssen wir uns fürchten?
Präsident Donald Trump schlüpfte in die Rolle der Pythia und erklärte: „Das könnte ein Versehen gewesen sein.“ Oh! Während Polens Premierminister und Präsident unisono (!) versicherten, die Drohnen seien russisch und absichtlich abgeschossen worden, meinte Trump, es könne auch anders gewesen sein.
Welch Ermutigung für uns Polen – unser großer Verbündeter, Garant unserer Sicherheit, unser Fels in der Brandung! Mit einem Satz sagte er: „Die Russen haben sich geirrt, also ist die Sache erledigt.“
Noch wenige Stunden zuvor hatte Präsident Karol Nawrocki mit Trump über die Drohnen gesprochen. Er schilderte ihm den Vorfall – und konnte ihn offenbar nicht überzeugen. Worüber haben sie dann eigentlich gesprochen?
Es bleibt nur eine Frage: Stehen wir schon auf der Speisekarte – oder noch nicht?
Karol Nawrocki scheint sich solche Fragen, nach dem zu urteilen, was er sagt, nicht zu stellen. Er erklärte gegenüber den Medien, er führe eine Reihe internationaler Konsultationen – zur Drohnenfrage. Also, kein Grund zur Sorge.
Allerdings hat der Präsident keinerlei Weisungsbefugnis – weder gegenüber dem Verteidigungsminister noch dem Innen- oder Außenminister. Alles wird so zum Spektakel, ähnlich wie der Auftritt von Donald Tusk, der sich als erfahrener Politiker an den entscheidenden Stellen vor Ort und beim Militär präsentierte.
Drohnen und Desinformation: Russlands doppelter Angriff
OKO.press, 11. September 2025
Zwanzig Drohnen und Zehntausende Kommentare mit falschen Narrativen, die die Verantwortung von Russland auf die Ukraine abwälzen sollten – so sah am Mittwoch in Polen ein moderner hybrider Angriff aus. Die Waffen in diesem Krieg sind nicht nur Drohnen, sondern auch Desinformation.
Am 10. September, unmittelbar nach den ersten Meldungen großer polnischer Medien über die Drohnen, tauchten unter deren Facebook-Posts Dutzende nahezu identischer Kommentare auf.
Darin wurde behauptet, die Ukraine trage die Schuld an der Anwesenheit der Drohnen. Die Frequenz war enorm: Innerhalb weniger Minuten erschienen unter einem Beitrag bis zu zweihundert solcher Kommentare.
Das Ziel dieser Kommentare war klar:
- In der polnischen Öffentlichkeit Zweifel an der Verantwortung Russlands für die Verletzung des Luftraums durch Drohnen zu wecken.
- Die Ukraine als Schuldige für die Situation darzustellen.
Diese Darstellungen hatten mit den Fakten nichts zu tun. Sie deuteten darauf hin, die Drohnen seien eine ukrainische Provokation – eine Reaktion auf Präsident Nawrockis Ankündigung, keine polnischen Truppen in die Ukraine zu entsenden.
Teilweise wurde sogar behauptet, die Drohnen seien gar nicht russisch. Und selbst wenn doch, dann seien sie angeblich von der ukrainischen Armee abgeschossen worden. Das wiederkehrende Argument lautete: Russland habe kein Interesse, Polen mit Drohnen anzugreifen – die Ukraine hingegen schon.
Der Drohnenangriff ist eine Fortsetzung des hybriden Krieges, den Russland schon lange gegen den Westen führt. Konventionelle militärische Maßnahmen spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle; die eigentliche Wirkung entsteht durch das Hervorrufen bestimmter Emotionen und Einstellungen in der Gesellschaft des angegriffenen Staates.
Ziel ist, Angst zu säen, zu polarisieren und die Gemeinschaft zu schwächen — und so die Anzahl der Menschen zu vergrößern, die anfällig für prorussische Narrative werden.
Was wir beobachteten, war eine koordinierte Aktion: die Wiederholbarkeit der Narrative in vielen Beiträgen, die hohe Frequenz der Veröffentlichungen, die Unechtheit einiger Konten und die enge Übereinstimmung mit den Meldungen staatlicher russischer Medien und Online-Propagandisten.
All das deutet darauf hin, dass es sich am Morgen des 10. September um eine gesteuerte Online-Kampagne gehandelt haben könnte — sehr wahrscheinlich aus Russland.
Doch es waren nicht nur „russische Trolle“. Bei der Analyse der Facebook-Kommentare am Mittwoch fiel auf, dass ein Großteil der Beiträge von echten polnischen Konten stammte. Das macht das Phänomen nicht weniger gefährlich: Desinformation wirkt sowohl über gefälschte als auch über echte Profile.
Auch echte Nutzer verbreiteten die prorussischen Narrative. Kommentare wie der von Waldemar Ch., einem Kleinunternehmer aus Lódz, oder Przemyslaw S. aus Kleinpolen, stellten die Drohnen als ukrainische Provokation dar und fanden breite Zustimmung in ihren Netzwerken.
Besonders wirksam war zudem ein Video des Kickboxers Marcin „Rózal“ Rózalski, das innerhalb eines Tages Hunderttausende Aufrufe und zehntausende Likes erhielt und von Abgeordneten der Konföderation geteilt wurde – ein Beispiel dafür, wie Desinformation durch prominente Stimmen verstärkt wird.
21 Drohnen im polnischen Luftraum
OKO.press, 12. September 2025
Marcin Przydacz, Minister im Präsidialamt, erklärte am Morgen im Sender Radio ZET:
Nach unseren Informationen haben 21 Drohnen die Grenze überschritten.
Einige der Flugkörper seien in den polnischen Luftraum eingedrungen und dann umgekehrt.
Przydacz betonte:
Nach Angaben des Militärs stellten die Drohnen eine Gefahr dar und wurden deshalb kinetisch neutralisiert. Genauere Informationen, weshalb sie als Bedrohung eingestuft wurden, müssen noch in einem Bericht geklärt werden. Allein eine 200 Kilogramm schwere Drohne, die über polnischem Gebiet fliegt, ist bereits eine Gefahr.
Am Abend meldete Karolina Galecka, Sprecherin des Innenministeriums:
In der Ortschaft Przymiarki, Gemeinde Ksiezopol im Kreis Bilgoraj wurden 17 Drohnen gefunden wurden. Polizei und Sicherheitsdienste seien eingeschaltet, das Gebiet werde abgesichert.
„Russische Drohnen scheren sich nicht um Tusk“ — Lage in Podlasie
Krytyka Polityczna / Paulina Siegien, 10. September 2025
Russische Drohnen scheren sich nicht um das Einigeln von Tusk in Beton. Im vierten Jahr des umfassenden Krieges in der Ukraine ist Polen immer noch nicht auf die Krise vorbereitet.
Podlasie kennt bereits den Klang der Shaheds, weiß aber immer noch nicht, wie man sich im Falle eines Angriffs verhalten soll.
Es gibt weder klare Anweisungen noch Schulungen, die versprochenen Broschüren sind nie angekommen. Stattdessen stehen Betonbarrieren und vage Zusagen über Schutzräume irgendwann in der Zukunft.
In letzter Zeit hört man überall denselben Satz: „Für den Fall der Fälle.“ – „Ich werde auf dich warten, für den Fall der Fälle.“ – „Mach lieber mehr Sandwiches, für den Fall der Fälle.“ – „Ruf deinen Vater an, für den Fall der Fälle.“
Diese Redewendung irritiert mich maßlos, denn hinter ihr verbirgt sich unausgesprochen das Wort „Krieg“ – und damit die Vorstellung einer Katastrophe.
Und dann wache ich eines Morgens in meinem Haus in Podlasie auf – und da ist es. Blutrote Schlagzeilen berichten von einem Angriff russischer Drohnen auf Polen.
„Aufrufe, zu Hause zu bleiben. Podlasie gehört zu den am stärksten gefährdeten Gebieten“, lese ich im Kurier Poranny.
Doch als mich diese Informationen erreichen, ist alles schon vorbei: Die polnische Armee hat F-16 gestartet, die Verbündeten haben unterstützt, die Drohnen wurden abgeschossen. Die Gefahr ist gebannt – bis zum nächsten Mal. Hat überhaupt jemand eine Drohne gesehen?
Ich gebe zu: Ich habe diesen Luftangriff verschlafen – so wie Jaroslaw Kaczynski einst den 13. Dezember, den Beginn des Kriegsrechts. Keine schlechte Strategie, denn so blieb mir die Angst und Panik erspart, die durch russische Desinformation im Netz zusätzlich geschürt wurde. Wie hätte ich auch wach werden sollen – es gab ja keinerlei Alarmsignale.
Ich erinnere mich, dass ein Nachbar aus einem grenznahen Dorf gestern auf Facebook schrieb, das Militär gehe dort von Haus zu Haus und frage, ob jemand eine Drohne gesehen habe – ob sie vielleicht in einen Hof oder auf ein Feld gefallen sei. Oder ob Pilzsammler im Wald etwas entdeckt hätten.
In den Kommentaren hieß es mit einem Augenzwinkern: „Haben sie nach ihrer eigenen oder nach einer fremden gesucht?“ Nach dem Übersehen zweier belarussischer Hubschrauber über Bialowieza ist das Vertrauen in die Aufklärungsfähigkeiten unserer Armee hier ohnehin erschüttert.
Heute Morgen herrscht in den sozialen Gruppen an der Grenze eine ganz andere Stimmung. „Wie ist die Lage bei euch?“, fragt ein Bekannter aus einem Dorf nahe Krynki. „Bei uns schauen die Leute in den Himmel, und meine Nachbarin überlegt, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken soll.“
Freunde aus dem östlichen Podlasie posten Karten aus ukrainischen Telegram-Kanälen, die die Flugbahnen russischer Drohnen zeigen. Das Lesen fällt hier nicht schwer – im orthodoxen Podlasie beherrscht fast jeder das kyrillische Alphabet.
„Die Drohne sagt dir die Wahrheit“ — Tests, Gewöhnung und die Gefahr einer Eskalation
Ernest Skalski, studioopinii, 10. September 2025
Höchstwahrscheinlich handelte es sich um einen Test — vielleicht ein Begleitelement der großen „Zapad“-Manöver in Belarus. Putin wollte offenbar sehen, wie Polen, die NATO und auch Trump reagieren würden.
Bevor die russische Führung ihre Schlussfolgerungen zieht, könnte sie noch andere Nachbarn testen: Rumänien, die baltischen Staaten oder Finnland. Die Reaktion der NATO dürfte in vielen Fällen ähnlich ausfallen.
Wer glaubt, Russland werde nach dieser Aktion zu dem Schluss kommen, dass sich solche Provokationen nicht lohnen, irrt. Moskau hat nichts verloren.
Vielleicht gibt es keine Wiederholung in derselben Form, doch das gewonnene Material reicht, um einen echten Angriff vorzubereiten. Möglich ist auch, dass ähnliche Aktionen wiederholt werden – nicht um Schaden anzurichten, sondern um uns an solche Vorfälle zu gewöhnen.
Tote gab es keine, die materiellen Schäden sind minimal – also geht das Leben im Land weiter wie bisher.
Beim ersten Mal hat die gesamte politische Klasse die Prüfung bestanden. Doch wenn russische Angriffe keine spürbaren Schäden verursachen, rückt das eigene Hemd schnell näher als der Rock.
Putin hat Kaczynski, Nawrocki und Co. nicht getroffen, während Tusk und sein Lager weiterhin den Machtanspruch der Rechten blockieren. Mentzen und die pro-russische Konföderation könnten zwar kurzfristig Probleme bekommen, doch an den grundlegenden Überzeugungen wird das wenig ändern.
Russische Trolle und Bots sind bereits aktiv, Sabotageakte werden zunehmen. Einflussagenten und Spione in Regierung und Institutionen setzen ihre Arbeit unbeirrt fort.
So wird es bleiben – bis zu einem echten Angriff. Und dass es dazu kommt, ist sehr wahrscheinlich.
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