Wehrpflicht und Zwangsarbeit für junge Erwachsene
von Tobias Michel
Gesellschaftlich bringt es keinen Nutzen: in einem ersten Schritt 80.000 zusätzliche Bundeswehrsoldaten und die Ankurbelung des Baus von Drohnen und Panzern. Die Nachfrage nach Arbeitszeit steigt. Die Regierung setzt auf Zwang. Ein Blick zurück ist aufschlussreich.
„Jeder männliche Deutsche vom vollendeten siebzehnten bis zum vollendeten sechzigsten Lebensjahre ist, soweit er nicht zum Dienste in der bewaffneten Macht einberufen ist, zum vaterländischen Hilfsdienst während des Krieges verpflichtet.“
So mobilisierten Kaiser Wilhelm und seine Generäle im Jahr 1916 mehr Menschen in die Produktionshallen, da sich das Schlachten im Grabenkrieg festgefressen hatte. Ihr Hilfspflichtgesetz stellte zugleich die sozialdemokratischen Gewerkschaften ruhig. Es gab deren Forderung nach Einrichtung von Betriebsräten nach.
Diese „ständigen Arbeitsausschüsse“ moderierten nun in der „Kriegsindustrie, in der Land- und Forstwirtschaft, in der Krankenpflege, in kriegswirtschaftlichen Organisationen jeder Art oder in sonstigen Berufen oder Betrieben…“
Ein Pakt mit dem Teufel. Das Recht, die Arbeit mitzubestimmen, gegen die Pflicht zu dieser Arbeit für den Krieg. Hier lebte die Fronarbeit wieder auf.
1935 brauchte es keine Zugeständnisse an die Gewerkschaften mehr: die Faschisten hatten sie längst zerschlagen. Sie griffen mit ihrem Reichsarbeitsdienst gleich auch auf die deutschen Frauen zu. Wenige Jahre später schlug mit dem Zweiten Weltkrieg die Zwangsarbeit in einen Kriegshilfsdienst um.
Mit der Niederlage endete diese „Dienstverpflichtung“. Vorerst. Art. 12 Grundgesetz verbietet jede Form von Zwangsarbeit. Aber in den Krankenhäusern und Pflegeheimen lebt die Verpflichtung in den Köpfen der Vorgesetzten fort. Bis heute.
Kolleginnen, die sich weigern, an ihren freien Tagen einzuspringen, hören den bedrohlichen Befehl: „Dann muss ich Sie eben dienstverpflichten!“ Die Verpflichtung durch den Staat hallt so wider im individuellen Arbeitsrecht, im Kittel der vermeintlichen Autorität.
Notstandsgesetze 1968
Sie wurde auch rechtlich verankert. Erneut mit Hilfe der SPD: Ihr erster Eintritt in eine große Koalition gab den Weg für den Rückfall frei.
Im Mai 1968 ergänzte der Bundestag das Grundgesetz unter anderem mit den Artikeln 12a und 80a. Seitdem darf der Staat – bereits im inneren „Spannungsfall“ – Männer zum Wehr- oder Ersatzdienst zwingen, Frauen zum Sanitätsdienst. Selbst das individuelle Recht, dem Arbeitgeber zu kündigen, kann nun aufgehoben werden. Der spätere Friedensnobelpreisträger Willy Brandt beschwichtigte, dies sei bloß „erforderliche Vorsorgegesetzgebung“.
Mehr als fünfzig Jahre später, im Mai 2025, verspricht der frischgekürte Kanzler Merz auf dem Wirtschaftstag: „Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten … Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand unseres Landes nicht erhalten können.“
Der Applaus der anwesenden Unternehmer war ihm sicher. Sie dürfen zunächst hoffen, dass die Hürden beim Schutz der täglichen Höchstarbeitszeit fallen. Noch versprechen Christ- und Sozialdemokraten ihnen kein Recht, Menschen zu zusätzlicher Arbeit zu zwingen.
Erfassen und Mustern
Dieses „wir müssen“ übersetzt Verteidigungsminister Pistorius (SPD) als staatliche Aufgabe.
Obwohl es anders geplant war, sank die Truppenstärke in den letzten Jahren auf rund 181.000 Soldat:innen. 113.000 davon dienten mit einem Zeitvertrag, kaum mehr als 10.000 schoben einen 7- bis 23monatigen freiwilligen Wehrdienst ein.
Denn die Arbeit für den Krieg ist auch was den Sold angeht wenig attraktiv: Die unteren Dienstgrade lassen sich mit kaum mehr als dem Mindestlohn abspeisen.
Ein neues Gesetz, das Wehrpflicht, Ersatzdienst und Dienstverpflichtungen als Sprungbrett nutzt, soll die Lücke füllen – und bis zu 80.000 neue Soldaten und Soldatinnen rekrutieren. Für die Feststellung, dass ein Angriff irgendwie droht (Verteidigungsfall), genügt bereits die einfache Mehrheit im Bundestag.
Die wiedererweckte Wehrpflicht würde die Rückkehr des Zivildienstes unmittelbar nach sich ziehen. Teile der Opposition sind dafür zu gewinnen: Auch Frauen sollen „perspektivisch“ einen Fragebogen zur Tauglichkeit ausfüllen, meint die Grünen-Fraktionschefin Dröge.
Je nach Ausgestaltung drohen jährlich etwa 180 Millionen Stunden billige Zwangsarbeit für junge Erwachsene. Mit ihnen werden wohl Personallücken in Heimen, in Kliniken und Rettungsdiensten gestopft. Der tiefe Einschnitt für die Betroffenen mobilisiert gerade einmal 0,4 Prozent zusätzliche Arbeitszeit in der Statistik der Arbeitsagenturen. Weitere Maßnahmen drohen.
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