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Europa 1. Oktober 2025

Die Neutralität – ein Schild gegen Kriegstreiberei
von Wilhelm Langthaler, Wien

Am 18.Oktober demonstriert die demokratische und soziale Opposition in Wien für Frieden, Neutralität und Souveränität.

In der österreichischen Bevölkerung ist die im Staatsvertrag von 1955 verankerte »immerwährende Neutralität«, die dem Land seine Selbständigkeit zurückgab, tief verankert. Spätestens seit der Wende 1989–91 betreiben die Herrschenden allerdings systematisch die Annäherung an die NATO.

Formal gelang ihnen der Anschluss bis heute nicht – einzig wegen des massiven Widerstands aus der Bevölkerung. Aber sie hören ihre Wühlarbeit gegen die Verfassung nicht auf. Erst kürzlich wieder haben die ultrazionistische Außenministerin Meindl-Reisinger sowie der ehemalige Generalstabschef General Brieger für ein Nachdenken über den NATO-Beitritt plädiert und die Neutralität für obsolet erklärt.
Doch im Gegensatz zu den skandinavischen Ländern hat die Eskalation des Krieges gegen Russland, hervorgerufen durch die NATO-Ostexpansion und die Übernahme der Ukraine in die westliche Kontrollsphäre, die Zustimmungswerte zur Neutralität noch weiter erhöht.

Nationale Identität
Die Neutralität ist nicht nur eine Verfassungsbestimmung, sie ist die Quintessenz der Zweiten Republik, ja der nationalen Identität.
Mit dem Zerfall des Vielvölkerstaats nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg haben sehr viele das kleine Österreich von Gnaden der Entente als nicht lebensfähig erachtet. Auch die Linke strebte im Sinne der demokratischen Revolution von 1848 den Anschluss an Deutschland an.
Als Nazideutschland dann den Anschluss Österreichs an Deutschland betrieb, kämpften die KPÖ und mit ihr gewichtige Teile der im Untergrund operierenden Arbeiterbewegung für die Selbständigkeit Österreichs.
Österreichs Schicksal nach dem Zweiten Weltkrieg war überhaupt nicht ausgemacht. Die UdSSR bot nach der von den USA forcierten Spaltung Deutschlands als Gegenmodell die Selbständigkeit an, unter der antifaschistischen Bedingung, sich nie mehr dem großen Nachbarn anzuschließen. Also keine Beteiligung mehr an imperialistischen Raubkriegen und Völkermorden. Neutralität meinte vor allem keine Aggression mehr gegen Russland, auch nicht unter der Führung der Sieger in Washington.
Das Bürgertum schwankte, denn es wollte die Westbindung, aber dann nahm es die einmalige Gelegenheit doch wahr. Erst mit dem Aufschwung der Nachkriegszeit und vor allem mit der »goldenen Zeit« der keynesianischen 70er Jahre unter Bruno Kreisky trat der Deutschnationalismus in den Hintergrund.
Österreich war als Nation von der Bevölkerung in überwältigendem Maß angenommen worden. Seine Unterstützung ruhte auf einem gezähmten Kapitalismus mit sozialem Ausgleich und gelenkter Partizipation nach innen, sowie einer den Imperialismus dämpfenden Außenpolitik nach außen. Diese bestand in einer bahnbrechenden Kooperation mit dem Ostblock und der UdSSR (»Ostpolitik«), sowie in der Anerkennung der PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes.
Nur die FPÖ hielt noch an der Zugehörigkeit zur deutschen Nation fest und drohte damit zur Marginalie zu werden.

Globalisierung und Abkehr von der Neutralität
Mit der Wende zum Neoliberalismus und zur Globalisierung vollzogen die Eliten eine radikale Kehrtwende, am deutlichsten wurde sie in der Schuldfrage. Vom einem Opfer des Nationalsozialismus wurde Österreich nun zum Täter erklärt – beide Male natürlich kollektiv, um die Verantwortung der kapitalistischen Eliten zu verschleiern. Das einfache Volk wurde zur eigentlichen Gefahr stilisiert, das nochmals einer »Re-education« (das Programm der US-Militärverwaltung nach dem Krieg) unterzogen werden müsse. Antifa wurde zu einem Herrschaftsinstrument umgedeutet und die historische Linke in den linksliberalen Ideologieapparat eingesogen. Der progressive Inhalt der österreichischen Nation konnte auf diese Weise mit einer vermeintlich linken Begründung entsorgt werden.
Im Beitritt zur EU kam das alles zusammen: der entfesselte Kapitalismus, der radikale Abbau der demokratischen Rechte, die Beteiligung am westlichen Imperialismus. Die Anschlussbedingungen wurden von der EU klar formuliert: weg mit Sozialstaat und Neutralität.
Um das der Bevölkerung verdaubar zu machen, wurde der »Neutralitätsvorbehalt« formuliert. Die EU belächelte das, aber sie verstand, dass sie dem österreichischen politisch-medialen Komplex bei der Verschleierung helfen musste. So konnte dieser die permanenten Anstrengungen der EU für mehr politisch-militärische Zentralisierung unterstützen und sie gleichzeitig als mit der Neutralität vereinbar umdeuten.
Nicht nur wurden alle Souveränitätsverluste akzeptiert wie Beistandsverpflichtungen, gemeinsame Truppen und Rüstung. Es wurden auch einige Verfassungs- und Gesetzesänderungen vorgenommen, um beispielsweise NATO-Truppentransporte durch Österreich legal zu machen – die ein enormes Ausmaß angenommen haben.
Hinzu kamen Fleißaufgaben, wie die Beteiligung an der »NATO Partnership for Peace« (PfP) oder die militärische »Ständige Strukturierte Zusammenarbeit« der EU (PESCO), die laut EU-Verträgen nicht einmal zwingend gewesen wäre.
So war Österreich dann auch bei jeder imperialistischen Schweinerei dabei – angefangen vom Krieg gegen Jugoslawien, wo einige sogar von der Einverleibung Sloweniens träumten; über die NATO/EU-Osterweiterung bis hin zum heutigen Krieg in der Ukraine gegen Russland. Es war beim US-»Krieg gegen den Terror« zum Abbau demokratischer Grundrechte dabei und natürlich bei der bedingungslosen Unterstützung des zionistischen Kolonialismus und seiner Apartheid – alles wider Buchstabe und Geist der Neutralität.
In dem Maße, in dem die (links)liberalen Eliten die Neutralität und den positiven Bezug zur österreichischen Nation aufgaben, sprang die FPÖ ein. Die konnte zur Massenpartei aufsteigen, weil sie zumindest nach außen hin den Deutschnationalismus ablegte und zu dem zuvor so verhassten Österreichpatriotismus überging – während die Linke die Globalisierung und das Ende des Nationalismus feierte (unter der alleinigen Vorherrschaft der USA). Allgemeiner Unmut darüber, aber auch soziale Opposition dagegen wurden nun sehr schnell ins rechte Eck gestellt.
Das Herrschaftssystem der Brandmauer ward geboren: Gegen die vermeintliche rechte Gefahr (und den Populismus, also das einfache Volk) müsse unter allen Umständen der (Links-)Liberalismus (also die transatlantisch-kapitalistischen Eliten) unterstützt werden. Damit löste sich die historische Linke auf und wurde als Schatten ihrer selbst ins System eingemeindet.

Ein Gegenprogramm zur FPÖ
Nun sind wir an einem Punkt angelangt, wo dieses Regime zu kollabieren droht. Während der US-Präsident einen Kompromiss mit Russland versucht, setzt die EU auf Eskalation für den totalen Sieg über Russland. Die Bundesregierung und der Bundespräsident sekundieren. Gleichzeitig unterstützen sie den israelischen Völkermord an den Palästinensern (etwa durch die Aussetzung der Zahlungen an das UN-Hilfswerks UNRWA auf Geheiß Israels). Das kombiniert sich mit massiven sozialen Angriffen, auch weil die USA für die Verteidigung ihrer globalen Vorherrschaft zum Wirtschaftskrieg übergehen und das Freihandelsregime nicht mehr respektieren, dessen extremster Ausdruck die EU ist.
Um die Macht der neoliberalen Eliten gegen die wachsende Opposition zu erhalten, kommt es allerorten zur autoritären Panzerung, dessen extremstes Beispiel die Verfolgung der Solidaritätsbewegung mit Palästina ist. Das Offensichtliche soll unausgesprochen bleiben: »Nie wieder« ist eine funktionale Lüge der Herrschenden, um Imperialismus und Krieg »antifaschistisch« anzustreichen. Ihr Gerede von den überlegenen »westlichen Werten« ist offener Rassismus, der universelle demokratische Anspruch wird immer unglaubwürdiger.
Die FPÖ wiederum macht sich, mit Trump im Rücken und den Schwierigkeiten an der russischen Front, zum Champion der Neutralität und erhält dafür breite Unterstützung weit über ihre klassische Klientel hinaus.
Seit vielen Jahrzehnten rührt sich auch erstmals wieder eine demokratische und soziale Opposition, beginnend mit der Bewegung gegen den Corona-Autoritarismus, über die Ablehnung der Russland-Sanktionen bis hin zum Aufschrei gegen den israelischen Völkermord. Unter dem Motto »Stimmen für Neutralität« geht ein Bündnis für Frieden, Neutralität und Österreichs Souveränität auf die Straße. Inhaltlich mit dabei sind immer Forderungen nach Erhalt der akut gefährdeten demokratischen Grundrechte sowie nach sozialer Gerechtigkeit.
Neutralität steht dabei als pars pro toto, letztlich für die Errungenschaften der Zweiten Republik. Im Gegensatz zu damals erfordert sie heute die Bereitschaft zum Bruch mit den kapitalistischen Eliten. Wir verfolgen ein Programm zur Verhinderung des Dritten Weltkriegs, in den uns die EU-Eliten mit aller Gewalt hineinzuführen versuchen. Dazu müssen wir die nationale Souveränität Österreichs zurückerobern – und zwar über die Plattform der Neutralität.

www.selbstbestimmtes-oesterreich.at; www.stimmenfuerneutralitaet.at; www.stoppwk3.at.

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