Volker Kutscher: Westend. Illustriert von Kat Menschik. Berlin: Galiani, 2025. 112 S., 23 Euro
von Gerhard Klas
Wer die Krimiserie über den Polizisten Gereon Rath in den 1920er und 1930er Jahren und deren Verfilmung als »Babylon Berlin« kennt, sollte sich dieses Buch nicht entgehen lassen.
Im Rahmen eines fiktiven Interviews läßt Gereon Rath seine Zeit als Polizist von der Weimarer Republik bis in die 50er Jahre Revue passieren und offenbart lang gehegte Geheimnisse.
Gereon Rath, einst Kriminalkommissar im brodelnden Berlin der 20er Jahre, lebt 1973 zurückgezogen in einem Seniorenheim im beschaulichen Westend. Hans Singer, ein Historiker, kommt zu Besuch. Er interessiert sich für die Rolle der Polizei in den politischen Umbrüchen des 20.Jahrhunderts und zeichnet das Gespräch mit dem Tonband auf.
Rath ist nicht mehr der aktive Held, sondern ein Zeitzeuge. Es geht um Erinnerungen, Auslassungen, das Ringen mit der eigenen Vergangenheit, um Schuld und Rechtfertigung.
Singer fragt Rath nach Kontinuitäten und Brüchen. Rath war 1936 für tot erklärt worden – tatsächlich hatte er sich in die USA abgesetzt. Seine damalige Frau, Charly, heiratete später seinen ehemaligen Kollegen Böhm, der in drei Systemen Karriere gemacht hatte: in der Weimarer Republik, im Faschismus und dann in der DDR. Doch mit Singer verbindet Rath offensichtlich noch mehr als ein rein historisches Interesse.
Das literarische Experiment ist Kutscher gelungen: Der Dialog, der völlig ohne Erzähler auskommt, entwickelt im Laufe der Lektüre eine spannende Dramaturgie. Ein kleiner Wermutstropfen: Wer weder die Krimireihe gelesen, noch ihre Filmadaption gesehen hat, dem fehlen wichtige Hintergrundgeschichten aus der Vergangenheit Raths, die vor allem in den ersten Kapiteln das Verständnis erschweren.
Seit mehr als anderthalb Jahrzehnten prägt Kutscher mit der Gereon-Rath-Reihe historische Kriminalliteratur – stets an der Schnittstelle von Fakt und Fiktion. Westend ist ein Epilog, der einige Fragen beantwortet und neue aufwirft – gerade vor dem Hintergrund der Aktualität geschichtlicher Ereignisse.
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